- Jahrestag der Befreiung der Gefangenen im Zuchthaus Brandenburg Görden am 26. April 2015
Begrüßung
Prof. Dr. Günter Morsch
Sehr geehrte Angehörige von Opfern des nationalsozialistischen Strafvollzugs,
sehr geehrter Herr stellvertretender Landtagspräsident Dombrowski,
Herr Justizminister Dr. Markov,
Frau Oberbürgermeisterin Dr. Tiemann,
sehr geehrte Vertreter des diplomatischen Chors
Herr Landtagsabgeordneter Holzschuher,
verehrte Stadtverordnete,
Frau Wellnitz,
liebe Frau Dr. de Pasquale,
liebe Schülerinnen und Schüler,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
Im Namen der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten möchte ich Sie in diesen dankenswerterweise von der Direktorin der Justizvollzugsanstalt, zur Verfügung gestellten Räumen ganz herzlich zu unserer heutigen Gedenkveranstaltung aus Anlass des 70. Jahrestages der Befreiung der Gefangenen des Zuchthauses Brandenburg-Görden begrüßen. Ich freue mich sehr, dass auch Angehörige und Freunde der ehemaligen Gefangenen des Zuchthauses Brandenburg-Görden heute unter uns sind.
Die Strafanstalt Brandenburg-Görden wurde 1927 als eine Musteranstalt des modernen preußischen Strafvollzuges erbaut. Sie galt damals als ein Vorbild für einen modernen, auf die Erziehung und Besserung der Gefangenen ausgerichteten Strafvollzug in der Weimarer Republik. Doch es bedurfte nur weniger Jahre um nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 aus dieser vorbildlichen Strafanstalt eines der am meisten gefürchteten Zuchthäuser des „Dritten Reiches“ zu machen.
Auch die zum großen Teil übernommene Beamtenschaft in der Strafanstalt Brandenburg-Görden, allen voran der in seinem Amt bestätigte Anstaltsdirektor Dr. Schwerdtfeger, propagierten gleich nach dem Amtsantritt des neuen deutschnationalen Justizministers Franz Gürtner den Görden, dem neuen Wind des Zeitgeistes folgend, als Ort für einen harten Strafvollzug. Ohne erkennbaren Widerstand der Vollzugsbeamten hielt die nationalsozialistische Ideologie Einzug in den Alltag der Strafanstalt. Auch Anstaltsdirektor Schwerdtfeger erwies sich als ein echter Hardliner, der die nationalsozialistischen Prinzipien der Verbrechensbekämpfung mit erbarmungsloser Konsequenz in der Anstalt durchzusetzen verstand.
Das Zuchthaus Brandenburg-Görden, wie es ab 1938 hieß, wird bislang zurecht vor allem als eine Strafanstalt charakterisiert, in der ein hoher Anteil politischer Gefangener, darunter zahlreiche Prominente, ihre durch die Nazi-Justiz wegen Hoch- oder Landesverrat oder anderer politischer Delikte verhängten langjährigen Haftstrafen verbüßte. Besonders berüchtigt wurde das Zuchthaus, als ab 1940 mitten in der Strafanstalt eine Hinrichtungsstätte eingerichtet wurde, die nach Plötzensee zweitgrößte im Deutschen Reich. Auch andere Maßnahmen der Anstaltsleitung, wie z. B. die Einrichtung eines Judenflügels ab 1938, die drastische Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges oder die sprunghafte Ausweitung der Zwangsarbeit der Gefangenen markieren die exemplarische Bedeutung des Zuchthauses für den Strafvollzug im „Dritten Reich“.
Weniger bekannt ist dagegen, dass das Zuchthaus auch bei Einführung, Durchsetzung und Realisierung der rasseanthropologischen, eugenischen und erbbiologischen Prinzipien des nationalsozialistischen Strafvollzugs, die sich schon 1934 in dem Gesetz über die so genannten Gewohnheitsverbrecher niederschlugen, eine führende und aktive Rolle spielte. Mit diesem Gesetz wurde nicht nur die unbegrenzte Inhaftierung von so genannten Gewohnheitsverbrechern eingeführt, sondern auch die Beurteilung der Strafgefangenen nach ihren angeblichen erbbiologischen Belastungen und weniger nach der Schwere ihrer Straftat durchgesetzt. Eine ganz wichtige Bedeutung bei der Einstufung der Sicherungsverwahrten kam dabei den Gutachten der Anstaltsbeamten zu. Innerhalb kurzer Zeit stieg die Anzahl der Sicherungsverwahrten in Brandenburg in der Folge auf 600-700 Gefangene, was in den Jahren 1936-42 einem Anteil von fast einem Drittel aller Inhaftierten entsprach. Anders als heute immer noch kolportiert wird, waren die allermeisten Sicherungsverwahrten Kleinkriminelle sowie nicht wenige Homosexuelle.
Nur ein ganz geringer Anteil der Sicherungsverwahrten wurde von den Anstaltsbeamten positiv begutachtet und folglich entlassen. Das hatte für die Zurückgebliebenen ab 1942 tödliche Konsequenzen. Denn mit der Vereinbarung zwischen dem Reichsführer SS und dem Reichsjustizminister zur Auslieferung der so genannten Asozialen aus dem Strafvollzug zur Vernichtung durch Arbeit wurden fast alle Sicherungsverwahrten in die Konzentrationslager überstellt. Innerhalb von wenigen Wochen waren die allermeisten tot, erschlagen oder sonst wie ermordet durch die SS. Unter den an die Konzentrationslager zur Vernichtung überstellten Strafgefangenen befanden sich auch alle Juden, Sinti und Roma, alle Russen und Ukrainer, sowie alle Polen mit einer Haftstrafe über drei und alle Tschechen und Deutsche mit einer Haftstrafe über acht Jahre.
So endete ein moderner, auf die Erziehung der Gefangenen abzielender Strafvollzug innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums von gerade einmal 15 Jahren in einem von den meisten Vollzugsbeamten mit getragenen und durch ihre Gutachten ermöglichten Massenmord. Wie schnell und wie widerstandslos dies geschah, sollte allen bewusst gemacht werden, die heute allzu leichtfertig über angebliche Luxusgefängnisse herziehen.
Gerade deshalb brauchen wir ganz dringend eine Gedenkstätte, die sich als modernes zeithistorisches Museum darauf konzentriert, die Geschichte der Strafanstalt und des Zuchthauses Brandenburg-Görden im Kontext mit der Geschichte der NS-Justiz vor allem an junge Menschen zu vermitteln. Mit dem ehemaligen Direktorenhaus, das ein Teil des denkmalgeschützten Ensembles ist, haben wir endlich, nach mehr als zwanzig Jahren vergeblicher Bemühungen einen solchen geeigneten Ort gefunden. Dafür danke ich vor allem Ihnen, sehr geehrter Herr Minister Dr. Markov, der Sie zunächst als Finanzminister und dann als zuständiger Justizminister den Weg dazu gemeinsam mit der Kulturministerin Prof. Dr. Kunst, dem damaligen Justizminister Dr. Schöneburg und Herrn Innenminister Holzschuher bahnten. Ich danke der Landesregierung Brandenburg, die sich bereits in ihrem neuen Koalitionsabkommen zu diesem wichtigen und herausragenden Gedenkstättenprojekt bekannte. Diesem guten Beispiel des Landes folgend, ließ sich auch die Staatsministerin für Kultur und Medien, Prof. Dr. Grütters, von der Sinnhaftigkeit einer finanziellen Förderung unseres Vorhabens überzeugen. Ich bin daher sehr froh, vor allem Ihnen, sehr geehrte Angehörige ankündigen zu dürfen, dass wir noch in diesem Jahr mit den Bauarbeiten sowie den Ausstellungsvorbereitungen beginnen werden.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.