Neujahrsansprache 2. Februar 2018

NEUJAHRSEMPFANG DES ARBEITSKREISES DER BERLIN-BRANDENBURGISCHEN NS-GEDENKSTÄTTEN
AM 2. Februar 2018
GRUSSWORT
Prof. Dr. Günter Morsch

Sehr geehrte Frau Dr. Kaminsky,
Exzellenz,
sehr geehrter Herr Staatssekretär,
lieber Herr Eppelmann,
sehr geehrter Herr Sello,
sehr geehrte Mitglieder des Deutschen Bundestages, des Berliner Abgeordnetenhausen und des Brandenburgischen Landtages,
verehrte Mitglieder des diplomatischen Corps,
sehr geehrte Vertreter der Opferverbände und der religiösen Gemeinschaften,
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

im Namen der Mitglieder des Arbeitskreises I der NS-Gedenkstätten in Berlin und Brandenburg möchte ich mich zunächst ganz herzlich bei denjenigen bedanken, die nun zum dritten Mal diesen Neujahrsempfang ermöglicht und organisiert haben. Ich danke vor allem der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur ganz herzlich dafür, dass wir nach unserem turnusmäßigen Ausflug zur „Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ in Ihren Räumen wieder zu Gast sein dürfen. Ich freue mich, dass so viele Kolleginnen und Kollegen zusammen mit unseren Gästen aus Politik, Wissenschaft und Kultur die Chance nutzen wollen, um im zwanglosen Rahmen miteinander hoffentlich nicht nur über die Geschichte beider Diktaturen und ihre Darstellung ins Gespräch zu kommen.

In den ersten Wochen des neuen Jahres haben die Gedenk- und Dokumentationsstätten zur Erinnerung an die Opfer nationalsozialistischer Verbrechen eine besondere und unerwartete Aufmerksamkeit in Politik und Medien erfahren. Anlass dafür gaben Äußerungen der Berliner „Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales“ Sawsan Chebli. Auf dem Hintergrund skandalöser Vorkommnisse in der Mitte Berlins, als im Rahmen einer Protestaktion gegen die Beschlüsse der amerikanischen Regierung zur Verlegung ihrer Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem israelische Fahnen verbrannt wurden, forderte sie, dass jeder, der in diesem Land lebt, verpflichtet wird, mindestens einmal in seinem Leben eine KZ-Gedenkstätte zu besuchen. Obwohl die in Berlin geborene Tochter palästinensischer Flüchtlinge, die für ihren Kampf gegen Antisemitismus bekannt ist, ihre Anregung auf alle Teile der in Deutschland lebenden Bevölkerung ausgedehnte hatte, rückten schnell Migranten und Geflüchtete in den Fokus der Diskussion.

Grundsätzlich müssen wir Frau Chebli dafür dankbar sein, dass sie den Anstoß zu einer danach schon sehr bald intensiv geführten Debatte gab, die auf dem Hintergrund der Veranstaltungen zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus bis in bekannte Talk-shows-Formate des Deutschen Fernsehens hinein reichte. Einige von uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind in diesem Zusammenhang von Journalisten und Politikern nach unserer Meinung zu den Forderungen der Berliner Staatssekretärin befragt worden. Auch mich hat das große Medieninteresse gerade auch ausländischer Journalisten überrascht. Glaubten wir doch in den vergangenen Jahren uns schon des Öfteren mit der immer wieder von unterschiedlicher Seite aktualisierten Forderung nach verpflichtenden Gedenkstättenbesuchen auseinandergesetzt und dabei mehrheitlich eine sorgfältig erwogene und diskutierte, kritische Haltung dazu formuliert zu haben.

Nun ist nicht zu leugnen, dass es zahlreiche Anlässe gibt, um diese aufgeworfenen Fragen erneut zu diskutieren. Denn es scheinen, wie nicht nur vielfach Beobachtungen und Stimmungen, sondern auch repräsentative Umfragen bestätigen, antisemitische, rassistische und fremdenfeindliche Einstellungen erneut zu wachsen. Die erschreckend hohe Anzahl von zumeist rechtsextremistisch motivierten Anschlägen auf Leben und Gesundheit von Geflüchteten und Asylbewerbern, fremdenfeindliche Demonstrationen wie Pegida und vor allem auch die Ergebnisse der letzten Bundestagswahlen geben, wie auch ich meine, allen Grund zur Besorgnis. Dass nun sogar im Deutschen Bundestag eine Partei fast einhundert Sitze einnimmt, aus deren Reihen offen und unverblümt die mühselig in vielen Jahrzehnten vorwiegend bürgerschaftlichen Kampfes errungene Erinnerungskultur in Deutschland in ihren Grundüberzeugungen in Zweifel gezogen und nationalistische, revisionistische sowie negationistische Forderungen nach einer Neubewertung der Geschichte des Nationalsozialismus erhoben werden, habe ich mir, wie ich zugeben muss, nicht mehr vorstellen können.

Auch wir müssen daher, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, manche scheinbare Gewissheiten der vergangenen Jahre erneut auf den Prüfstand stellen. Wir müssen die Rolle und Bedeutung der Gedenk- und Dokumentationsstätten im Kontext historisch-politischer Bildung auf dem Hintergrund gewandelter Einstellungen und politischer Bedingungen kritisch hinterfragen. Sicher können wir auch in der Zukunft nur ein Mosaikstein im Gesamtbild der Erziehung zu einem demokratischen Geschichtsbewusstsein sein. Trotzdem sollten wir uns selbstkritisch fragen, inwieweit in den genannten gesellschaftlichen und politischen Abirrungen auch ein partielles Scheitern unserer Bildungsarbeit zum Ausdruck kommt? Haben wir uns rechtzeitig auf neue Herausforderungen eingestellt? Erreichen wir mit unseren Veranstaltungen, Ausstellungen und pädagogischen Konzepten noch unser Zielpublikum? Auch wenn der enorme Zuwachs an Besucherinnen und Besuchern von NS-Gedenk- und Dokumentationsstätten, der seit Jahren anhält, eine andere Sprache zu sprechen scheint, so wissen wir, wie auch die meisten anderen Bildungseinrichtungen, im Grunde wenig über die pädagogischen Effekte und die Nachhaltigkeit unserer Arbeit.

Immer wieder begegnen uns besorgte Fragen und Behauptungen, wonach es vor allem das Ende der Zeitzeugenschaft sei, das die Bedeutung der NS-Gedenk- und Dokumentationsstätten in der gesellschaftlichen Debatte verändert. Das ist zweifellos nicht falsch, denn wir können die emphatischen und emotionalen Begegnungen mit den Überlebenden des NS-Terrors nicht ersetzen. Gerade deshalb aber haben die Gedenkstätten seit den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts einen grundsätzlichen Wandel von Orten in erster Linie des Gedenkens und Trauerns sowie emotionaler Betroffenheit und Erschütterung einerseits hin zu zeithistorischen Museen mit besonderen humanitären und bildungspolitischen Aufgaben andererseits in Gang gesetzt. Historisches Lernen, das sich unter Zuhilfenahme überkommener Relikte, Artefakte und Zeugnisse selbständig eine konkrete Vorstellung von Geschichte und ihrer Bedeutung für die Gegenwart erarbeitet, scheint uns nachhaltiger zu wirken als eine Didaktik, die die Lernenden zur Replikation eines vorab festgeschriebenen Lehrstoffs verpflichtet. Doch dafür brauchen unsere Pädagogen nicht nur Zeit und Freiräume, wir brauchen vor allem auch mehr Personal. Insoweit irritiert es mich schon, wenn bei der breit geführten Debatte über die Verbesserung historisch-politischer Bildung in den Gedenk- und Dokumentationsstätten die personellen und logistischen Voraussetzungen, die für eine nachhaltige Bildungsarbeit unverzichtbar sind, kaum mit reflektiert, sondern vielfach sogar schlicht ausgeblendet werden.

Das Forum für zeitgeschichtliche Bildung, das die beiden Arbeitskreise der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten im vergangenen Jahr zum vierzehnten Mal durchführten, ist zweifellos eine wichtige und unbedingt beizubehaltende Veranstaltung, auf der ein Teil der genannten selbstkritischen Fragen reflektiert werden kann. In der Gedenkstätte und dem Museum Sachsenhausen, die im vergangenen Jahr Gastgeber des Forums sein durfte, haben wir in kontinuierlicher Aufnahme der Kontroversen und Debatten über die richtigen Wege zur Vertiefung und Verbesserung historisch-politischer Bildung und in Zusammenarbeit mit Schulen und Schulverwaltungen versucht, verschiedene Methoden zu diskutieren, um die Brücke zwischen der Vergangenheit und der Lebenswelt der Jugendlichen immer wieder neu zu befestigen. Ich meine, dass wir diese Diskussionsplattformen, auf denen NS- und SED-Gedenkstätten zusammen mit Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern sowie mit der Wissenschaft und den Einrichtungen der Kultur- und Bildungseinrichtungen exemplarische Projekte vorstellen und diskutieren, angesichts der genannten neuen Herausforderungen eher noch vertiefen, intensivieren und verstetigen sollten. Gerade in unserer dezentralen Gedenkstättenlandschaft kommt es darauf an, den kontinuierlichen Dialog zwischen allen Beteiligten zu organisieren.

Dabei sollten sich die NS-Gedenk- und Dokumentationsstätten auch noch stärker als bisher bewusst und aktiv in die Debatten um die zukünftige Erinnerungspolitik einbringen. Wir dürfen den Parteien, den Medien und gesellschaftlichen Organisationen nicht den sich verschärfenden Diskurs um die Bedeutung historischer Bildung über den Nationalsozialismus überlassen. Viele Äußerungen aus diesen Bereichen belegen, wie wenig manchen Protagonisten der Erinnerungspolitik unsere tägliche Arbeit bekannt ist. Wenn wir nicht von vermeintlichen Sachzwängen oder Vorurteilen, bewussten Verfälschungen oder politischen Zielsetzungen und Instrumentalisierungen bestimmt werden wollen, dann müssen wir den Mut haben, uns auch öffentlich zu äußern, selbst wenn wir dadurch möglicherweise in schwierige Konflikte mit Mittelgebern und Entscheidungsträgern geraten. Denn anders als die meisten Museen befinden sich die Gedenkstätten an einer sensiblen Nahtstelle zwischen Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit einerseits sowie Aufgabenerfüllung und Alltag andererseits. Dieser eminente Bedeutungszuwachs ist das Ergebnis eines gesellschaftlichen Bewusstseinswandels, wie er z. B. von Pierre Nora oder Hermann Lübbe schon in den achtziger Jahren beschrieben wurde. Er erreichte die NS-Gedenkstätten zwar erst in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre, er hält seitdem aber an. Die NS-Gedenk- und Dokumentationsstätten sind daher selbst politische Akteure, die sich bei gesellschaftlichen Debatten nicht verstecken dürfen.

Das Jahr 2018 und erst recht das darauf folgende Jahr 2019 ermöglichen uns, im Rückblick auf entscheidende historische Wegmarken der Jahre 1938 und 1939, als der Terror gegen politische, soziale und sogenannte rassische Feinde des NS-Regimes erheblich ausgeweitet und erste militärische Interventionen und Gewaltakte der geplanten Entfesselung des Zweiten Weltkrieges durch das „Dritte Reich“ den Weg bereiteten, das historische Bewusstsein für gegenwärtige innen- und außenpolitische Bedrohungen und Probleme zu schärfen. Zugleich können wir auf das weit verbreitete Versagen einer Weltgemeinschaft hinweisen, die die meisten vom Terror Betroffenen im Stich ließ und keine Hilfe leistete. Das Bewusstsein für den notwendigen und aus der Erfahrung der historischen Katastrophe des Zweiten Weltkrieges erwachsenen Zusammenhalt vor allem auch in Europa zu stärken, das ist nicht nur eine Aufgabe, sondern eine Chance für die NS-Gedenkstätten. Es gilt das in der Geschichte ihrer Orte eingeschlossene Potential zu entfalten, denn wir sind nicht allein deutsche Einrichtungen, sondern von europäischer und internationaler Bedeutung. Denn nicht nur die Geschichte Europas zwischen 1933 und 1945, sondern gerade auch die europäische Nachkriegsgeschichte ist an unseren historischen Orten eingeschrieben.

In seinem vor kurzem mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichneten Roman „Die Hauptstadt“ schildert der österreichische Schriftsteller Robert Menasse das Scheitern eines auf die Gründungsgeschichte der Europäischen Union rekurrierenden Projekts. Um die allmählich sich auflösende Europa-Begeisterung zu stärken, plant die europäische Kommission anlässlich ihres fünfzigsten Gründungstages einen Festakt in Auschwitz. Dabei soll ein KZ-Überlebender noch einmal an das Vermächtnis und den Schwur der Häftlinge erinnern, den Frieden durch die europäische Einigung herzustellen und auf Dauer zu sichern. Das Vorhaben scheitert schließlich, weil den unterschiedlichen Repräsentanten der EU-Staaten die Verteilung der Quoten für Schweinefleisch wichtiger und präsenter ist als die Befestigung europäischer Einheit auf dem Hintergrund historischer Erfahrung. Dieser deprimierende Schluss des Romans, der m. E. weniger fiktional als realistisch ist, sollte uns Ansporn sein, um unseren kleinen, aber, wie ich meine, nicht unmaßgeblichen Teil dazu beizutragen, dass aus der Geschichte die richtigen Schlüsse gezogen werden.

Die Neujahrsempfänge der beiden Arbeitskreise der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten sind auch eine gute Gelegenheit, um allen unseren Mitstreiterinnen und Mitstreitern, um unseren Verbündeten in Politik und Verwaltung, in den Medien ebenso wie in den verschiedenen Bildungseinrichtungen, in den Opfer- und Interessenverbänden ebenso wie in den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen den herzlichen Dank von allen Gedenkstätten und Dokumentationsorten auszusprechen. Wir wissen um ihre steten Anstrengungen und sind ihnen dankbar dafür. Wir ahnen oder kennen die Herausforderungen und Probleme, denen sie begegnen müssen, um unsere Interessen und Bedürfnisse zu vertreten. Umso dankbarer sind wir nicht nur für Ihre Unterstützung und Hilfe, sondern auch für Ihre Empathie und Sympathie, aus denen nicht selten Freundschaften entstanden sind. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und uns ein gutes und erfolgreiches Jahr 2018.

Neujahrsempfang des Arbeitskreises der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten 2. Februar 2017

NEUJAHRSEMPFANG DES ARBEITSKREISES DER BERLIN-BRANDENBURGISCHEN GEDENKSTÄTTEN

AM 2. FEBRUAR 2017

Prof. Dr. Günter Morsch
Sehr geehrter Herr Senator Lederer

Sehr geehrter, lieber Herr Dr. Eberhardt,

lieber Herr Gutzeit,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

im Namen des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten in Berlin-Brandenburg heiße ich Sie alle zu unserem vierten Neujahrsempfang der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten willkommen. Ich begrüße insbesondere die Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses und des Brandenburgischen Landtages. Wir freuen uns über die Anwesenheit von Mitgliedern des diplomatischen Chors sowie von Vertretern der Opferverbände, der christlichen Kirchen jüdischen Gemeinden sowie des Zentralrats der Juden in Deutschland. Ich möchte vor allem Herrn Dr. Eberhardt sowie der „Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ meinen ganz herzlichen Dank dafür sagen, dass wir nicht nur hier bei Ihnen zu Gast sein dürfen, sondern dass sie auch diesen Empfang ausrichten. Bis zum heutigen Neujahrsempfang war die „Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ Gastgeber unserer kleinen Veranstaltung. Daher war es höchste Zeit, dass die Lasten und Pflichten, die die SED-Aufarbeitungsstiftung immer gerne übernommen und vortrefflich ausgefüllt hatte, einmal auf andere Schultern wechseln. Es hat meinerseits wenig Überzeugungsarbeit bedurft, um Herrn Dr. Eberhardt, der spätestens seit seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter  im „Verein gegen Vergessen für Demokratie e. V.“ den Gedenkstätten auch persönlich verbunden ist, für die Ausrichtung unserer heutigen Veranstaltung zu gewinnen. Nochmals: ganz herzlichen Dank, Ihnen, lieber Herr Eberhard, und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dafür!

Der Neujahrsempfang ist für die beiden Arbeitskreise der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten ein guter Anlass, um im zwanglosen Rahmen mit Kolleginnen und Kollegen sowie mit unseren Gästen hoffentlich nicht nur über die Geschichte beider Diktaturen ins Gespräch zu kommen. In beiden Arbeitskreisen arbeiten auch Verbände und Organisationen mit, die die Arbeit der Gedenkstätten begleiten und unterstützen. Diese Zusammenarbeit steht für eine Besonderheit der deutschen Erinnerungskultur, die eben nicht nur durch mehr oder weniger staatlich finanzierte Institutionen ausgestaltet wird, sondern auch durch Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft, insbesondere auch durch die Betroffenen. Allerdings sind letztere in den NS-Gedenkstätten, anders als in den SED-Gedenkstätten, fast ausschließlich inzwischen engagierte Bürgerinnen und Bürger sowie maximal Angehörige ehemalige Opfer des NS-Terrors. Leider gibt es nur noch vereinzelt Zeitzeugen, die die nationalsozialistische Diktatur am eigenen Leibe erleiden mussten. Die NS-Gedenkstätten haben über viele Jahre sehr eng mit den Überlebenden des NS-Terrors und des Widerstandes zusammengearbeitet. Diese Menschen, die uns, die Vertreter der Gedenkstätten, neben ihrer Erfahrung, ihrem Wissen und ihrem Rat vor allem auch ein gutes Stück weit die Kraft und die Motivation gegeben haben, um manchen nicht einfachen Kampf um die Erinnerung durchzustehen, sie fehlen uns und wir vermissen sie schmerzlich.

Dieser unersetzliche Verlust, den das Ende der Zeitzeugenschaft für uns bedeutet,  wird uns besonders jetzt vor Augen geführt. Wieder einmal mehren sich Stimmen, die die mühsam in den vergangenen 72 Jahren in vielen heftigen Kämpfen erstrittene Erinnerungskultur an die Verbrechen des „Dritten Reiches“ in Deutschland zur Disposition stellen. Dabei muss man nicht allein an solche Extremisten denken, die die NS-Gedenkstätten als Ausdruck einer Kultur der Schande denunzieren. Unter dem Verdikt der „politcial correctness“ und des sogenannten „Gutmenschentums“ verbergen sich nicht selten, grundsätzliche Bedenken, wonach Deutschland endlich seinen, wie es heißt, „Schuldkult“ aufgeben solle. Das, wie Aleida Assmann, formuliert hat „Neue Unbehagen an der Erinnerungskultur“ scheint auch in den Feuilletons selbst liberaler Zeitungen gelegentlich auf und bemäntelt sich geschickt mit ernster Sorge vor einem angeblich vor allem unter deutschen Jugendlichen um sich greifenden Überdruss an der Geschichte des Nationalsozialismus. Nun soll  hier nicht bestritten werden, dass manche Lehrerinnen und Lehrer und auch manche Medien des Guten zu viel tun. Doch unsere Erfahrungen in den Gedenkstäten sind andere: Zum einen erfreuen wir uns fast alle eines wachsenden Interesses, gerade auch junger Menschen. Das Problem der Gedenkstätten ist nicht etwa, Besucher zu mobilisieren, sondern im Gegenteil, wie wir angesichts der ständig zunehmenden, die logistischen und personellen Kapazitäten der Gedenkstätten weit überfordernden Anfragen noch eine, unseren selbst gesteckten Ansprüchen gemäße qualitativ hochwertige Bildungsarbeit realisieren können.  Da sich nun die vorliegenden Besucherzahlen nicht leugnen lassen, unterstellt der eine oder andere Kritiker, dass die Jugendlichen unter mehr oder weniger starkem Zwang die Gedenkstätten aufsuchen. Lässt sich auch dies überwiegend widerlegen, so bewerten andere das Interesse der Millionen Besucherinnen und Besucher als Ausdruck eines „dark tourism“, bei dem es den Menschen weniger um Information und Geschichtsbewusstsein als um emotionale Erlebnisse und geschichtsblinden Authentizitätskult ginge.

Es lässt sich nicht abstreiten, dass unter den Millionen Menschen, die aus aller Welt die Gedenkstätten besuchen, auch solche Motive eine Rolle spielen. Doch wer sich z. B. den in den Feuilletons viel rezensierten und überwiegend positiv besprochen Film „Austerlitz“ in ganzer Länge anschaut, der findet für die herablassende Arroganz des Regisseurs gegenüber anonymen Menschenmassen viele Belege, für die von ihm behauptete Gleichgültigkeit und Würdelosigkeit jedoch kaum. Es sei denn, man hält Besucher, die sich bei über 40 Grad Hitze im Schatten auf den offenen, der Sonne ungehindert ausgesetzten Freiflächen mit luftiger Kleidung oder sogar mit Regenschirmen schützen, per se für Kultur- und Gedenkbanausen. Bezeichnenderweise fehlen in den neunzig Minuten schwarz-weißer, durch Teleobjektive verzerrten Aufnahmen, Bilder aus den (häufig überfüllten) Ausstellungen. Dort kann die drängende, sachlich fundierte  Neugier und das überwiegend große Interesse der meisten Besucherinnen und Besucher an der Geschichte der Orte leicht in Bildern festgehalten werden, wenn der Regisseur es denn gewollt hätte.

 

Zum anderen müssen wir den angeblichen Überdruss vieler Jugendlicher an der NS-Geschichte mit dem nicht selten von unseren Pädagogen beklagten allgemeinen Rückgang der Geschichtskenntnisse in einem Zusammenhang betrachten. Repräsentative Evaluationen haben zeigen können, dass häufig ausgerechnet diejenigen Jugendlichen eine „Überfütterung“ beklagen, die die geringsten Geschichtskenntnisse haben. Trotzdem müssen wir solche Abwehrreaktionen ernst nehmen, auch wenn umfangreiche Befragungen, wie sie etwa vom „Zeit-Magazin“ oder der Friedrich-Ebert-Stiftung vorgenommen wurden, übereinstimmend ein nach wie vor vorhandenes oder sogar eher wachsendes großes Interesse an der Geschichte des Nationalsozialismus im Allgemeinen und an den Gedenkstätten im Besonderen belegen.

Der Arbeitskreis der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten hat sich deshalb in den beiden vergangenen „Foren zur zeithistorischen Bildung“, auf denen Lehrkräfte und Gedenkstättenmitarbeiter in einen Austausch treten, verstärkt und intensiv mit den Fragen einer stärkeren Subjektbezogenheit historisch-politischer Bildung beschäftigt. Wie kann es gelingen zwischen der heutigen Lebenswelt von Jugendlichen einerseits und der Geschichte der Diktaturen andererseits Brücken des Interesses zu bauen? Nicht nur die Vermittlung von Gegenwartsbezügen war damit gemeint, sondern intendiert waren auch Fragen nach den Folgen für die Bildungsarbeit der Gedenkstätten, wie sie sich aus der zunehmenden Diversität und Multikulturalität unserer Gesellschaft ergeben. Beide Arbeitskreise der Berlin-Brandenburgische Gedenkstätten werden sich auch im zukünftigen „Forum für zeitgeschichtliche Bildung“, das voraussichtlich im Oktober diesen Jahres stattfinden wird, weiter damit auseinandersetzen, wie die Formen außerschulischer Pädagogik an den Gedenkstätten den  veränderten Sozial-, Kultur- und Bildungsstandards besser angepasst werden können.

 

Bei all meiner Kritik an einer sich modisch gebenden Skepsis gegenüber der Erinnerungskultur in Deutschland will ich es nicht versäumen auch auf das Gegenteil hinzuweisen. In den meisten politischen Parteien, unter den Abgeordneten von Bundestag und Landtagen, bei Ministerien und Verwaltungen finden die Gedenkstätten auch viel Unterstützung und Hilfe. Gerade vielen Politikern ist bewusst, wie wichtig die Fundierung einer historisch-politischen Bildung angesichts der in Teilen der Bevölkerung zunehmenden Demokratieskepsis und der sich in Europa und Übersee immer mehr verbreitenden nationalen Bewegungen ist. Dort, wo sich gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und nationale Hybris ausbreitet, benutzen Demagogen und Populisten gerne Versatzstücke der Geschichte und rühren sie zu einem kruden, zumeist alten Brei zusammen, um neuen Hass wachsen zu lassen. Wir konnten in den vergangenen Jahren erleben, wie aus der Erinnerung an verlorene oder gewonnene Schlachten, die hunderte von Jahren zurücklagen, nationale Überheblichkeit, Rassismus und Menschenverachtung erzeugt werden. Geschichte hat ein malignes Potential, das wie aus der Büchse der Pandora emporsteigen und menschliche Empfindungen vergiften kann. Wir, die Gedenkstätten, die an die Folgen staatlicher Gewalt erinnern und darüber informieren, können etwas dagegen tun, vielleicht sogar mehr als andere Bildungseinrichtungen. Wenn sich die Gesellschaft und die Politik aber bewusst sind, dass auch die Gedenkstätten nur ein Puzzleteil im Mosaik der historisch-politischen Bildung sind, dann brauchen auch wir, die Gedenkstätten, uns vor Überfrachtung und Überforderung nicht zu fürchten, sondern sollten auch weiterhin die Herausforderungen im Sinne von Demokratieerziehung und Menschenrechtsbildung  annehmen.

 

Ich danke Ihnen!

Zehn Jahre Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Berlin-Schöneweide

10 Jahre Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit

Grußwort

Prof. Dr. Morsch

  1. September 2016

 Liebe Frau Dr. Glauning,

lieber Kollege Nachama,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

Die Jahr nach der deutschen Einheit, zwischen 1990 und der Jahrtausendwende, sie können in gewisser Hinsicht auch als das Jahrzehnt der Gedenkstätten bezeichnet werden. Das wiedervereinte Deutschland, damals die Berliner Republik genannt, sah sich jedoch im In- und im Ausland einem verbreiteten Misstrauen gegenüber, das sich zu einem nicht geringen Teil aus der auch nach fünfzig Jahren vielfach noch unaufgearbeiteten Vergangenheit der nationalsozialistischen Diktatur speiste. Allen Bundesregierungen dieses Gedenkstättenjahrzehnts stand daher klar vor Augen, dass nur eine dauerhafte und tief gehende Institutionalisierung einer kritischen Erinnerungskultur in Deutschland die Vorbehalte und Befürchtungen gegenüber dem neuen Nationalstaatsgedanken auf Dauer eindämmen könnte. Diesen primär außenpolitischen Überlegungen verdanken wir es vor allem, dass die schon in den achtziger Jahren in der alten Bundesrepublik und in West-Berlin quasi „von unten“ erkämpften Gedenkstätteninitiativen sich etablieren und die historischen Orte zu einem Teil in moderne zeithistorische Museen mit besonderen humanitären und bildungspolitischen Aufgaben umwandeln konnten. Ein gutes Beispiel dafür ist die „Stiftung Topographie des Terrors“, die erst mit einer erheblichen Verspätung das von Bürgerinitiativen und Geschichtswerkstäten Ende der achtziger Jahre erkämpfte Barackenprovisorium in ein festes Gebäude mit Veranstaltungs- und Büroräumen, Bibliothek und viel Platz für Dauer- und Wechselausstellungen überführen konnte.

Im Zuge der Etablierung, Professionalisierung und Modernisierung der bundesdeutschen Erinnerungskultur weitete sich der bis dahin stark eingeschränkte Blick von Gesellschaft und  Öffentlichkeit, der primär die Opfer von Holocaust und politischem Widerstand betrachtete, auf die vergessenen und verdrängten Opfergruppen, wie Sinti und Roma oder Homosexuelle, Opfer der Wehrmachtsjustiz oder sowjetische Kriegsgefangene, aus. Und obwohl Ulrich Herbert und andere Autoren schon Mitte der achtziger Jahre die Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des „Dritten Reiches“ wissenschaftlich erforscht, aber auch Kunst und Medien,  wie der Ende der siebziger Jahre publizierte und 1983 vom polnischen Starregisseur Andrzej Wajda verfilmte Tatsachenroman von Rolf Hochhuth über „Eine Liebe in Deutschland“,  das Thema über den Kreis des Experten hinaus bekannt gemacht hatten, bedurfte es staatlicher Unterstützung, um eine Dokumentationsstätte auch für die zu dieser Zeit mit dem historischen Begriff der „Fremdarbeiter“ bezeichnete Opfergruppe zu schaffen.

Dabei solle bei aller Würdigung und Anerkennung der Anstrengungen und Leistungen engagierter Ehrenamtlicher aus Opferverbänden, Geschichtswerkstätten und Bürgerinitiativen, über die sicherlich Thomas Irmer noch sprechen wird, die durch ökonomische Ursachen und Erfordernisse in der globalisierten Wirtschaft erzwungene Entschädigungsinitiative von Staat und Wirtschaft nicht gering geschätzt werden. Seit der Befreiung vom Nationalsozialismus 1945 hatten die allermeisten Profiteure der Zwangsarbeit, unter ihnen fehlte kaum ein einziger großer Wirtschaftskonzern, mit dem Verweis auf angeblichen Zwang der politischen Führung der NS-Diktatur jegliche Verantwortung für die Zwangsarbeit abgestritten und Historikern den Zugang zu den Akten in ihren Betriebsarchiven versperrt. Das war nun nicht mehr möglich und in der Folge legten Staat und Wirtschaft ab dem Jahre 2000 ein etwa fünf Milliarden Euro umfassendes Entschädigungsprogramm auf, das in die „Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ überführt wurde.

Als schließlich nach mehr als zehn Jahren vorwiegend ehrenamtlichen Engagements und nach voran gegangenen Beschlüssen des Berliner Abgeordnetenhauses und des Senats 2005 ein Teil des Geländes des einzigen in Berlin noch weitgehend erhaltenen Zwangsarbeiterlagers angekauft und institutionell der „Stiftung Topographie des Terrors“ zugeordnet wurde, waren wichtige inhaltliche, gestalterische und konzeptionelle Grundsätze moderner Gedenk- und Dokumentationsstätten, wie vor allem der Umgang mit den Relikten historischer Orte, bereits anderenorts entwickelt und erprobt worden. Der internationale Beirat, der von der Stiftung Topographie des Terrors im Auftrag von Abgeordnetenhaus und Senat im August 2005 als ein Gremium von internationalen Experten berufen wurde, konnte daher nicht nur auf umfangreiche Vorarbeiten der Gedenkstätteninitiativen, Geschichtswerkstätten und des Fördervereins  sowie des Bezirksamtes und der Architekten rekurrieren, sondern auch auf die bereits vorliegenden Erfahrungen mit der Transformation authentischer Orte in zeithistorische Museen und offene Lernorte.  Trotzdem war der enorme Termindruck, unter dem im August 2005 der internationale Beirat seine Arbeit aufnahm, bemerkenswert. Die damalige Kulturstaatssekretärin Barbara Kisseler formulierte gleich zu Beginn die ehrgeizige Zeitvorgabe des Senats: noch vor der Sommerpause des Parlaments 2006, also in einem knappen Jahr, sollte die in Teilen des 1943 erbauten ehemaligen Doppellagers Nr. 75/76 eine Erinnerungs- und Dokumentationsstäte mit einer Ausstellung  sowie ein moderner Lernort entstehen. In maximal vier Sitzungen sollten, so formulierte der Direktor der „der Stiftung Topographie des Terrors“ Dr. Andreas Nachama,  seine Erwartungen, der internationale Beirat die gestalterische und inhaltliche Konzeption sowie das künftige Arbeitsprogramm der zu schaffenden Einrichtung beraten. Aus dem miteinander eng verschlungenen Bündel der Fragen, die der Beirat diskutieren und beschließen sollte, will ich einige wenige aufzählen: Welchen Teil des ehemaligen Lagers soll die künftige Einrichtung umfassen? Welche Empfehlungen werden hinsichtlich Erhalt, Rückbau und Rekonstruktion des historischen Ortes gegeben? Welche primäre Ausrichtung soll die Einrichtung haben, soll sie primär Museum, Gedenkstätte, Dokumentationszentrum oder Lernort sein? Welchen Stellenwert soll die Nachkriegsnutzung haben? Was folgt aus der bauhistorischen Untersuchung für den Umgang mit dem Ort? Soll eine Sammlung aufgebaut und folglich ein Archiv und ein Depot eingerichtet werden? Welchen Stellenwert soll die wissenschaftliche Forschung einnehmen? Welche Zielgruppen sollen angesprochen werden? Wie ist das Verhältnis zu den Nachbarn sowohl in den umliegenden Wohnhäusern als auch den Nutzern der Lagerbaracken und des Geländes zu entwickeln?

Ich könnte diese Aufzählung leicht fortsetzen, zumal selbstverständlich im Laufe der Besichtigungen des Ortes und der Debatten auch mit externen Beratern, Fachleuten und Politikern immer neue Perspektiven sich öffneten, Fragen und Probleme, Hindernisse und Sachzwänge sich auftürmten. Aus den dankenswerterweise akribisch und genau geführten Verlaufsprotokollen der drei jeweils zweitägigen Sitzungen des internationalen Beirates lassen sich m. E.  folgende zentralen Diskussionskomplexe zusammenfassen. Doch bevor ich dies tue, möchte ich die Mitglieder des internationalen Beirates, die sich diesem ungewöhnlichen Arbeits- und Termindruck unterworfen haben namentlich nennen: Gabriele Hammermann, damals stellvertretende Leiterin der KZ.-Gedenkstätte Dachau, Tanja Ronen, die das israelische Getto-Kämpfer-Museum Beit Lohamei Hagetaot vertrat, Andrea Theissen, Sprecherin des Arbeitskreises Regionalgeschichtlicher Museen Berlin, Karen Till von der Universität of Minnesota, Jacub Deka von der Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung, Thomas Jelinek vertrat den Deutsch-tschechischen Zukunftsfond und der Historiker Pavel Polian, nahm als ein Experte für die Aufarbeitung der Zwangsarbeit von Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion an den Beratungen teil. Als Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen hatte ich die Ehre, die Sitzungen des Beirats als Vorsitzender zu leiten. Trotz der im Beirat versammelten Fachkenntnis hätte das ehrgeizige Programm zweifellos nicht ohne die Unterstützung und den Rat zahlreicher weiterer Sachverständiger bewältigt werden können. Einige wenige will ich stellvertretend nennen: Gisela Wenzel von der Berliner Geschichtswerkstatt, Cord Pagenstecher vom Förderverein,  Thomas Lutz von der „Stiftung Topographie des Terrors“, der Historiker Helmut Bräutigam, der Bauhistoriker Axel Drieschner, die Bezirksstadträtin Eva Mendl, Rainer Klemke und Michaela Werner von der Verwaltung des Berliner Kultursenators sowie Gabriele Layer-Jung, die Vorsitzende des Fördervereins. Neben Frau Kisseler engagierten sich auch viele Berliner Politiker persönlich, indem sie  an den einzelnen Beratungen des Beirates teilnahmen, so Kultursenator Thomas Flierl, Abgeordnetenhauspräsident Walter Momper, Vizepräsident Christoph Stölzl und die Vorsitzende des Kulturausschusses Alice Ströver.

Folgende drei Schwerpunkte der Diskussionen und Fragestellungen lassen sich m. E. zusammenfassen und bündeln, auch wenn dabei die wichtigsten Sachfragen, die es zu entscheiden galt, nur angedeutet werden können:

  1. Auf der Grundlage des vom Architektenbüro Rother& Rother bereits weit entwickelten Gestaltungsentwurfs mussten Empfehlungen hinsichtlich der unterschiedlichen Nutzung der Baracken, des denkmalpflegerischen Umgangs mit den teilweise stark infolge der Nachnutzungen im Innern und Äußeren veränderten Bauten sowie den Umgebungsflächen beraten werden. Grundsätzlich begrüßte der Beirat den Entwurf des Architektenbüros, konnte ihm allerdings nicht in der Ausgestaltung verschiedener ästhetischer Elemente folgen, etwa in der vorgeschlagenen Fassadengestaltung mittel Gabionen oder einer Besucherführung mittels aufgelegter Stege. Auch über eine vom Beirat fast einstimmig empfohlene Verlegung des Eingangs des Dokumentationszentrums von der Britzer in die Köllnische Straße wurde lange beraten. Vor allem die symmetrische Anlage des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers, dessen südlicher, in historischen, mehr oder weniger original erhaltenen Gebäuden umgenutzter Teil erfahrbar bleiben und damit eine perspektivische Erweiterung des Dokumentationszentrums erleichtern sollte, sprach aus Sicht des Beirats für einen, ggf. zusätzlichen Eingang am ehemaligen Wirtschaftsgebäude.
  2. Die Bezeichnung des neue zu schaffenden Ortes als Dokumentationszentrum ließ weitgehend offen, inwieweit neben der Information von Besucherinnen und Besuchern auch forschen, sammeln, gedenken und lernen zu seinen Zielen gehören sollten, wie es im Begriff des zeithistorischen Museums mit besonderen humanitären und bildungspolitischen Aufgaben inkludiert ist, der sich in den neunziger Jahren als Standard von modernen Gedenkstätten herausgebildet hatte. Obwohl die bewilligte Personalausstattung aus Sicht des Beirates äußerst knapp war, wollte er letztlich auf diesen umfassenden Anspruch nicht verzichten.
  3. Sehr viel schwieriger als die Aufgabenbestimmung gestaltete sich die inhaltliche Fokussierung. Sollte der neu zu schaffende Lernort hauptsächlich einen regionalen Schwerpunkt bilden oder ein nationales, vielleicht sogar europäisches Zentrum schaffen. Gerade die ausländischen Beiratsmitglieder drängten auf eine internationale Perspektive. Ähnlich verliefen die Debatten über die Fragen der Repräsentativität und Diversität der darzustellenden Opfergruppen. Dabei erwies sich der in der Entschädigungsfrage durchgesetzte, jedoch historisch schillernde und pauschalisierende Begriff der „Zwangsarbeiter“ als wenig hilfreich. Angesichts einer relativ kleinen Ausstellungsfläche von 400 Quadratmetern war es, wie der Beirat festgestellte, ein schwieriges Unterfangen, möglichst alle Gruppen von Zwangsarbeitern, von zivilen Fremdarbeitern über italienische Militärinternierte, Ostarbeiter, sowjetische Kriegsgefangene, Juden bis hin zu Häftlingen der Konzentrationslager, darzustellen. Dabei könnten, so die ergänzenden Befürchtungen des Beirates, historische Kontexte, insbesondere auch die unverzichtbare Darstellung der Verstrickung der privaten Wirtschaft in die NS-Verbrechen, angesichts des Platzmangels nicht ausreichend thematisiert werden. Der Beirat empfahl daher, den Schwerpunkt in der Dauerausstellung auf die Behandlung der zivilen Zwangsarbeit zu legen und  andere Opfergruppen lediglich im Kontext mit der Geschichte des Ortes bzw. in wechselnden Sonderausstellungen zu behandeln.

 

Die letzte Sitzung des Beirates fand am 16. und 17. Januar 2006 statt, rechtzeitig vor dem Beginn der Bauarbeiten. Die sehr intensiven Diskussionsergebnisse und umfangreichen, teilweise detaillierten  Empfehlungen des internationalen Beirates wurden danach dem Stiftungsrat der „Stiftung  Topographie des Terrors“ übergeben. Dabei fanden sie zum großen Teil Eingang in das formell beschlossene Konzept für das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Berlin-Schöneweide.