Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion 1941-1945. Ausstellungseröffnung am 75. Jahrestag des Überfalls, 21. Juni 2016

ERÖFFNUNG DER Sonderausstellung „Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion 1941-1945“
Der Ständigen Konferenz der Leiter NS-Gedenkorte im Berliner Raum
21. Juni 2016

Begrüßung: Staatsministerin Frau Prof. Grütters,
Exzellenz, Herr Botschafter Grinin,
Damen und Herren,
Kolleginnen und Kollegen

STäKO: HdW, GuMS, Denkmal Juden, GdW, Topographie,

Verweis auf Ausstellung zum 75. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkrieges mit Überfall auf Polen 2014 auf Pariser Platz, große Aufmerksamkeit

Der Krieg gegen die Sowjetunion, der vor 75 Jahren begann, war ein rassistisch, antislawisch und antisemitisch motivierter Weltanschauungs-, Vernichtungs- und Eroberungskrieg. Brutalität und Grausamkeit, mit der Vernichtungskrieg und Völkermord durchgeführt wurden, waren und sind beispiellos. Die Einzelheiten und Details entziehen sich fast jeder Vorstellung. Sie lassen selbst den Historiker, der mit den Quellen, den amtlichen Dokumenten ebenso wie mit den Berichten der Zeitzeugen, vertraut ist, immer wieder erschaudern. Die Wurzeln von Vernichtungskrieg und Völkermord lassen sich mindestens bis in die ersten Jahre der Weimarer Republik zurückverfolgen. Ihre große Breitenwirkung, die nicht nur fanatische Nationalsozialisten, sondern auch die Träger von Wehrmacht, Staat und Wirtschaft sowie zweifellos auch einen Großteil der deutschen Soldaten erfasste, lässt sich gerade aus dem Zusammenwirkung der in ihren Anfängen unterschiedlichen Ursachen erklären. Das furchtbare, spätestens nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 immer wieder durch die Propaganda eingeübte Amalgam von Antislawismus, Antisemitismus, Antibolschewismus und imperialen Eroberungs- und Herrschaftsplänen lieferte für jede Gruppe, jede Institution und jede Organisation des „Dritten Reiches“ die den jeweiligen entweder lange tradierten oder neu erzeugten Feindbildern gemäße Rechtfertigung zum geplanten Massenmord an Millionen von Menschen.
Für Hitler und die allermeisten seiner Anhänger, aber auch für einen Großteil der deutschnationalen Eliten in Staat, Wirtschaft und Wehrmacht galt schon lange das Dogma, dass Deutschland seinen Lebensraum im Osten suchen müsse. 1933, nur vier Tage nach dem Beginn seiner Kanzlerschaft, kündigt Hitler daher vor den höchsten Offizieren der Reichswehr die rücksichtslose Germanisierung des neu zu gewinnenden Lebensraumes im Osten an. Zuvor allerdings müsse er den „Marxismus“ in Deutschland ausrotten, was den Schluss nahe legt, dass die Ausrottung des Bolschewismus darauf unmittelbar folgen soll. Zur gleichen Zeit debattiert man in führenden Wirtschaftskreisen über die angeblich unendlich großen Chancen und Möglichkeiten eines deutschen Großwirtschaftsraumes, der sich vom Baltikum über die Ukraine bis in den Kaukasus erstrecken soll. Polen ist zunächst die Rolle eines Glacis zugedacht, von dessen Boden aus der entscheidende Kampf beginnen soll. Mit dem deutsch-polnischen Nichtangriffsvertrag 1934 verknüpft die NS-Diktatur die Hoffnung auf eine mit mehr oder wenig Druck erreichte einvernehmliche Lösung, um den Durch- und Aufmarsch der hochgerüsteten deutschen Armeen zu ermöglichen. Im Antikominternpakt will man alle anti-bolschewistischen Kräfte sammeln, um die Sowjetunion einzukreisen. Ein „Kreuzzug Europas gegen den Bolschewismus“ wird proklamiert. Bekanntlich scheitern diese Pläne, obwohl Frankreich und Großbritannien Hitler im Münchener Abkommen weit entgegen kommen. Deutschland vollzieht mit dem Ribbentrop-Molotow-Pakt eine taktische Kehrtwende, die alle Gegner Hitlers, sowohl im deutschen Widerstand als auch im Ausland, in tiefe Ratlosigkeit und Resignation stürzt.
Die Spitzen des NS-Regimes sind sich jedoch darin einig, dass die Realisierung ihrer Vorstellungen vom Lebensraum im Osten nur aufgeschoben und nicht aufgehoben ist. Schon im November 1939 deutet Hitler an, dass er eine große Operation gegen Rußland plane. Indes üben vor allem SS und Polizei im besetzten Polen bereits die Methoden des Vernichtungskrieges ein, vor allem polnische Intellektuelle, Militärs und Lehrer aber auch psychisch Kranke und Juden sind die Hauptopfer.

Die konkreten Vorbereitungen der Wehrmacht für den großen Ostkrieg setzen bereits im Frühsommer 1940 ein. Mit dem Kriegsgerichtsbarkeitserlass vom 13. Mai 1941, verfasst vom Chef des OKW Wilhelm Keitel, wird der Truppe weitgehend freie Hand bei Gewalttaten gegen Zivilisten gelassen, ein Freibrief für den Vernichtungskrieg.
Nach dem Kommissarbefehl vom 6. Juni 1941, unterzeichnet von Alfred Jodl, gleichfalls OKW, sollen alle politischen Kommissare sofort hinter der Front ermordet werden. In den Bestimmungen des Befehls kommt die Vermischung von antijüdischen und antibolschwistischen Feindbildern, wie sie auch von der Wehrmacht geteilt werden, klar und deutlich zum Ausdruck. Etwa zur gleichen Zeit arbeiten Wissenschaftler der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft an gigantischen Plänen zur Besiedlung der durch Hunger, Massenmord und Vertreibungen leer gesäuberten neuen Siedlungsgebiete für deutsche Bauern und Kriegsgewinnler, von ca. 30 Millionen Opfern auf Seiten der sowjetischen Bevölkerung gehen die Wissenschaftler dabei aus. SS und Polizei bereiten sich darauf vor, im Rücken der Front eine schon in Polen eingeübte und noch zu steigernde Terrorherrschaft aufzubauen.

Die allumfassende Gewalt beginnt schon in den ersten Tagen nach dem Angriff. In Litauen verüben die Deutschen mit Unterstützung der örtlichen Bevölkerung die ersten Massaker an Juden. Schon im Sommer 1941 gehen diese vereinzelten Massaker in die Praxis der systematischen Judenvernichtung, den Holocaust, über. Zusammen mit den Juden werden, ohne dass es eines besonderen Befehls bedurft hätte, Roma sowie Kranke in psychiatrischen Anstalten und Pflegeheimen ermordet. Der Krieg gegen die SU beseitigt jegliche möglicherweise noch existierende Skrupel. Die unvergleichlichen Völkermordverbrechen beginnen zwar in der Sowjetunion, sie dehnen sich aber bald von dort auf das ganze besetzte Europa aus.
In den Kriegsgefangenlagern setzt die geplante Vernachlässigung der sowjetischen Soldaten ein mit der Folge, dass bis zum Ende des gleichen Jahres bereits etwa 1,4 Millionen Rotarmisten, das sind fast 60 Prozent aller sowjetischen Kriegsgefangenen, unter erbärmlichsten Bedingungen an Hunger und Seuchen sterben. Die dem Kommissarbefehl folgenden, vielfach willkürlichen Selektionen, die immer häufiger auch einfache Soldaten erfassen, führen auch schon im Juli zu ersten Massenmordaktionen. Am 1. September 1941, also nur 10 Wochen nach Kriegsbeginn, werden auch die reichsdeutschen Konzentrationslager zu Tatorten der Massenmorde an den sowjetischen Kriegsgefangenen. In der zentralen Verwaltung des KZ Terrors, im sogenannten T-Gebäude von Oranienburg, wird von den KZ-Kommandanten über die Tötungsmethoden an Zehntausenden Rotarmisten diskutiert. 13.000 von ihnen werden mit Hilfe einer Genickschußanlage, nur 30 Kilometer entfernt von hier im KZ Sachsenhausen innerhalb von zehn Wochen ermordet. Zur gleichen Zeit füllen sich die Massengräber, die neben den zahlreichen Stalags der Wehrmacht in der Nachbarschaft deutscher Städte und Dörfer ausgehoben werden.
Als sich im besetzten Hinterland nicht zuletzt aufgrund der großen Brutalität des Vernichtungskrieges der erste Widerstand regt, steigern sich auch die Anti-Partisanen-Aktionen zu einem massenhaften Gemetzel. Wir wissen bis heute nicht, wie viele Dörfer zusammen mit ihren Bewohnern, mit Kindern, Frauen und Männern, völlig zerstört, niedergebrannt und von der Landkarte getilgt werden. Sind es Hunderte, sind es Tausende? Vor allem in Weißrußland tobt der als Anti-Partisanenkampf verharmloste und bis in unsere Tage hinein als unvermeidliche Repressalie gerechtfertigte Vernichtungskrieg,
Gemäß den schon 1941 formulierten ausgearbeiteten Plänen, wie sie der Generalplan Ost oder der Kahlfraß- und Hungerplan von Staatssekretär Herbert Backe vorsehen, rauben die deutschen und die mit ihnen verbündeten Truppen der Bevölkerung in der SU nicht nur jegliche Lebensgrundlagen, sondern zerstören sie auch langfristig. Viele Privatbilder der Soldaten, die sie in die Heimat zurückschicken, zeigen die Männer unter den Stahlhelmen, wie sie lachend Schweine und Kühe aus den Ställen heraustreiben, wohl wissend, dass sie die Bauern und ihre Familien damit dem Hungertod überantworten. Das völlige Aushungern ganzer Städte, wie Leningrad, gehöre zum Monate zuvor kühl kalkulierten Schlacht- und Kriegsplan der Wehrmacht, wie Panzerangriffe und Luftterror. Besonders schwer betroffen von der Hungerpolitik sind u. a. die Städte in der Nordostukraine.

Nach dem Scheitern des Blitzkrieges vor Moskau im Winter 1941 erkennen die Spitzen von Staat, Wehrmacht, Partei und Wirtschaft, dass sie den Krieg nur weiter führend können, wenn sie Millionen von Zwangsarbeitern nach Deutschland verschleppen. Für viele Männer, Frauen und sogar Kinder, die die die systematischen Menschenjagden, veranstaltet u. a. von Beamten deutscher Arbeitsämter, überleben, bedeutet der Arbeitseinsatz jedoch keinesfalls, dass sich ihre Situation entscheidend verbessert. Die als Ostarbeiter stigmatisierten Menschen leben unter den Deutschen vielmehr wie Parias, erhalten kaum Nahrung und sterben auch weiterhin in großer Zahl an Misshandlungen, Hunger und Krankheiten und werden bei der geringsten Widersetzlichkeit an Ort und Stelle oder in Konzentrationslagern hingerichtet. Besonders schlimm ist z. B. die Situation der sowjetischen Kriegsgefangenen in den Kohlengruben des Ruhrgebietes, in denen Krupp und andere Unternehmer die Arbeitskräfte der Zwangsarbeiter bis zum Tod durch völlige Erschöpfung skrupellos auspressen. Das Leben eines „Russen“, wie man die vor sich hin taumelnden Skelette abfällig nennt, ist keines Aufhebens wert. So beteiligt sich nicht nur die Front, sondern auch die Heimat am Vernichtungskrieg.
Mit dem Vormarsch der Roten Armee und der sich abzeichnenden Niederlage des „Dritten Reiches“, das jetzt an allen Fronten harte militärische Abwehrkämpfe führt, sind nicht etwa die Massenmorde an den Zivilisten rückläufig, sondern sie steigern sich erneut. Die Politik der verbrannten Erde hinterlässt kein lebendiges Wesen mehr. Die Menschen werden vor den sich zurückziehenden Truppen her getrieben und, wenn sie den Rückzug behindern, ohne große Umstände getötet. Das unermessliche Ausmaß der Rückzugsverbrechen liegt weitgehend immer noch im Dunkeln. Die Sicherheitspolizei richtet eigene Sonderkommandos ein, um die über alle vorhandenen Massengräber auszuheben und die Leichen zu verbrennen.
Auch in Deutschland steigert sich die Politik der allgemeinen Lebensvernichtung immer mehr, je näher die Fronten rücken. Selbst wenn der Geschützdonner der alliierten Armeen schon zu hören ist, werden die Opfer zusammen getrieben und auf die unterschiedlichste Art und Weise grausam ermordet, so z. B. in Zuchthäusern und in den verschiedensten Lagern. Dabei fällt auf, dass neben den Juden vor allem die sogenannten Ostarbeiter als erste selektiert und getötet werden.

Es hat in Deutschland sehr lange gedauert, bis die schrecklichen Dimensionen des Vernichtungskrieges in der SU zumindest in groben Zügen anerkannt wurden. Eine Strafverfolgung fand wenn überhaupt dann ab dem Ende der fünfziger Jahre nur gegen SS- und Polizeieinheiten statt. Schon im Nürnberger Prozess hatte die Wehrmachtsführung alle Schuld auf Hitler, Himmler und seine SS-Einheiten geschoben. Trotz zahlloser Wehrmachtsverbrechen kam es vor deutschen Gerichten nur in ganz wenigen Ausnahmefällen zur Anklageerhebung gegen Offiziere und Soldaten. Die Lüge von der „sauberen Wehrmacht“ ermöglichte es vielmehr, dass jemand wie Adolf Heusinger, der für die Koordination des Anti-Partisanen-Kampfes zuständig gewesen war, zum ersten Generalinspekteur der Bundeswehr ernannt wurde. Zahlreiche Kasernen trugen noch in den achtziger und neunziger Jahren die Namen von ranghohen Wehrmachtsoffizieren, wie z. B. die in Füssen nach Generaloberst Eduard Dietl benannte Unterkunft der Bundeswehrsoldaten. Der von Hitler sehr geschätzte Wehrmachtsoffizier hatte sich aktiv an den Massenmorden im Rahmen des Kommissarbefehls beteiligt. Erst 1995 wurde die Kaserne gegen den heftigen Widerstand der Traditionsverbände umbenannt. Über viele Jahrzehnte wurden die geplanten und mit großer Grausamkeit begangenen Massenmorde und Verbrechen des Vernichtungskrieges gegen die SU entweder verharmlost oder relativiert, indem man auf die Übergriffe und Verbrechen von Soldaten der Roten Armee bei der Besetzung Deutschlands hinweist.
Zwar hat sich seit der Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung Mitte der neunziger Jahre die Beurteilung des Vernichtungskrieges gegen die SU und insbesondere die Einschätzung der Rolle der Wehrmacht geändert, aber nach wie vor liegen die im Rahmen des Barbarossa-Feldzuges begangenen, heute hier nur in Ansätzen zu beschreibenden Verbrechen im Erinnerungsschatten, wie Bundespräsident Joachim Gauck im vorigen Jahr zurecht gesagt hat. Immer noch begegnet man nicht selten einer irritierenden Reserviertheit bei nicht wenigen Deutschen, wenn nicht sogar einer von starken Vorurteilen gegenüber Rußland geprägten Ablehnung, obwohl sich diese nur noch bei ganz wenigen Menschen mit eigenen möglicherweise schlimmem Erfahrungen begründen läßt. Daher ist es an der Zeit, nein es ist lange überfällig, dass endlich hier im Zentrum Berlins ein Gedenkort und ein Erinnerungszeichnen für die Millionen Opfer der geplanten Lebensvernichtung im Osten errichtet werden.
Hinweis auf Beschluss des Arbeitskreises I der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten auch deshalb den Schwerpunkt der Veranstaltungen in diesem Jahr auf die Erinnerung an die Millionen Opfer des Vernichtungskrieges gegen die SU zu legen. Bis Dezember werden mindestens 15 Veranstaltungen in den Berlin.-Brandenburgischen Gedenkstätten dazu stattfinden, Lesungen, Zeitzeugengespräche, Ausstellungen, Filmvorführungen und Gedenkveranstaltungen. Damit wollen die NS-Gedenkstätten die besondere Bedeutung dieses 75. Jahrestages würdigen.

Dank an:
– Kulturstaatsministerin für Finanzierung der Ausstellung
– An das Bezirksamt Mitte für die Erlaubnis die Ausstellung am Potsdamer Platz zu zeigen,
– An Frau Dagmar von Wilcken für die Gestaltung
– An Frau Breithoff, der Koordinatorin der Ausstellung

Laudatio Reinhard Strecker 28. September 2017 im Auswärtigen Amt

Veranstaltung aus Anlass des 75. Jahrestages des „Generalplans Ost“ im Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland am 28. September 2017
Laudatio zu Ehren von Herrn Reinhard Strecker
Günter Morsch
Sehr geehrter Herr Staatsminister Roth,
sehr geehrter, lieber Herr Strecker,
sehr geehrte Frau Strecker,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen und vor allem auch liebe Angehörige, Freundinnen und Freunde von Reinhard Strecker,
[Dank an AA]
Die Gedenkstätte und das Museum Sachsenhausen sowie die Stiftung Topographie des Terrors haben gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland die heutige Veranstaltung aus Anlass des 75. Jahrestages des „Generalplan Ost“ organisiert und ausgerichtet. Ich danke zunächst Dr. Peter Jahn ganz herzlich für seinen wissenschaftlichen Vortrag, in dem er die Entstehung und Bedeutung dieses wichtigen und in der breiten Öffentlichkeit leider noch immer viel zu wenig bekannten „Drehbuchs des Vernichtungskrieges“ herausgearbeitet hat. Mit der heutigen Veranstaltung wollen wir aber auch Reinhard Strecker für seine zahlreichen Verdienste um die Erinnerungskultur in Deutschland und in Europa ehren. Die Idee, beide Anlässe miteinander zu verbinden, verdanken wir Matthias Burchard. Der an der Berliner Humboldtuniversität ausgebildete Diplomlandwirt hat mit seinem von ihm gegründeten „Verein zur Völkerverständigung mit Mittel-, Süd- und Osteuropa“ viel dazu beigetragen hat, dass dieser gigantische, von namhaften Wissenschaftlern ausgedachte und ausgearbeitete Genozid nicht in Vergessenheit gerät. Leider kann Herr Burchard aufgrund einer schweren Erkrankung heute nicht bei uns sein.
Wer jedoch das vielfältige Lebenswerk von Reinhard Stecker kennt, dem wird die Verbindung beider Anlässe sofort einleuchten. Denn im Wissen um die zahllosen Verbrechen des NS-Regimes an den aus rassistischen Gründen für minderwertig erachteten Slawen baute Strecker schon spätestens seit dem Ende der fünfziger Jahren zahlreiche Brücken der Verständigung und der menschlichen Beziehungen vor allem in Polen und in der Tschecheslowakei auf. So war es ihm auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges gelungen, als Westdeutscher und West-Berliner über die Militärmission der Volksrepublik Polen in Deutschland Kontakt zu Professor Jerzy Sawicki aufzunehmen. Der damalige Generalstaatsanwalt und Chefankläger für alle polnischen NS-Verfahren leitete zugleich die Hauptkommission zur Ermittlung von NS-Verbrechen. Diese sammelte zehntausende von Dokumenten und anderen Unterlagen, die den seit dem 1. September 1939 geführten Vernichtungskrieg Deutschlands gegen das östliche Nachbarland dokumentieren. Hier und auch in anderen mittel- und osteuropäischen Archiven fand der hartnäckige und akribische Forscher viele der Beweise und Belege für die Verbrechen des NS-Regimes, die ihm die bundesdeutschen Archive und Institutionen über lange Jahre beharrlich verweigerten.
Weitere Verdienste um die Beziehungen zu den Staaten hinter dem Eisernen Vorhang erwarb sich Strecker als Mitinitiator der bis heute tätigen deutsch-polnischen Schulbuchkommission. Aus Vorträgen, die Strecker an der Evangelischen Akademie hielt, entstand ein Buch mit dem bezeichnenden Titel „Polen – ein Schauermärchen oder Gehirnwäsche für Generationen“. Darin wiesen die Autoren nach, dass in deutschen Schulbüchern nach wie vor das durch die rechtsradikale Propaganda von Vertriebenenverbänden bestimmte, verzerrte Polen-Bild des „Dritten Reiches“ weiter unter den Kindern und Jugendlichen verbreitet wurde. Zahlreiche Kontakte unterhalb der Regierungsebene zu polnischen Kollegen und Freunden ergaben sich daraus. Auch ein Einreiseverbot nach Polen, das in der Stimmung der damaligen Jahre gegen den vermeintlichen „zionistischen Agenten“ erlassen worden war, hielt den Mitbegründer der im Sozialistischen Studentenbund (SDS) 1959 an der Freien Universität Berlin entstandenen Deutsch-israelischen Studiengruppe nicht davon ab, dieser Kommission über viele Jahr treu zu bleiben und seine Arbeit der Völkerverständigung fortzusetzen.
In der Absicht, das für manche von Ihnen nicht sich selbst erklärende Konzept unserer Veranstaltung zu begründen, bin ich natürlich sowohl in der Biographie von Reinhard Strecker als auch, was die Entwicklung seiner vielfältigen Initiativen und Aktionen anbetrifft, zumindest chronologisch etwas vorausgeeilt. Doch obwohl es im Rahmen meiner Laudatio weder möglich noch sinnvoll ist, einen auch nur annäherungsweise vollständigen Überblick zu geben, will ich einige Stationen seines Lebensweges skizzieren: Der 1930 geborene Berliner stammt aus einer Juristenfamilie, was sicherlich zum Teil sein persönliches Interesse am Verhalten und der Einstellung der Richter und Staatsanwälte im „Dritten Reich“ erklärt. Darüber hinaus gehörte sein Vater zur Bekennenden Kirche und lehnte die Nationalsozialisten ab. Trotzdem trat Reinhard Strecker nicht in die Fußstapfen seines Großvaters und Vaters, sondern verließ schon bald nach der Befreiung vom Nationalsozialismus und einer aufgrund der materiellen Entbehrungen schwierigen Übergangszeit Deutschland, um im Ausland, zuerst in Italien und danach in Frankreich, in Distanz zu dem nach wie vor im Schatten nationalsozialistischer Vergangenheit wieder aufgebauten Deutschland frei zu leben. „Es war eine sehr gute Zeit“, wie Reinhard Strecker in einem Interview sein Leben in Paris schilderte, „Die deutsche Angst war weg“ – die Furcht vor der nie vorhersehbaren Willkür.
Doch schon 1954 kehrte der damals 24 Jahre alte, nicht zuletzt vom französischen savoire vivre beeindruckte und überzeugte Europäer auf Wunsch seiner Eltern in ein Deutschland zurück, wo inzwischen unter Bundeskanzler Adenauer die alten Eliten immer unbefangener an die Schalthebel der Macht, in der Wirtschaft, im Staat und in der Gesellschaft, zurück gerufen wurden. Von Niedersachsen führte ihn sein Weg schon bald in seine Geburtsstadt, wo er an der gerade erst gegründeten Freien Universität das Studium der Judaistik begann. Inwieweit bei der Wahl des Studienfachs auch die Geschichte seiner Familie eine Rolle spielte, in der es auch berühmte jüdische Vorfahren gegeben hatte, darüber kann nur er selbst Auskunft geben. Jedenfalls war sich Strecker viel stärker als das bei der Mehrzahl seiner damaligen Kommilitonen der Fall war, der ungeheuren Dimensionen und der Singularität der Schoah, des Holocaust, des Völkermords an den Juden unter den zahlreichen Menschheitsverbrechen der Nationalsozialisten bewusst. Bis heute empfindet er deshalb mit Israel eine tiefe Verbundenheit. Das ist dann auch die Zeit, in der der junge Student begann, umfangreiches Material gegen bekannte NS-Verbrecher, die wieder in ihre alten Positionen und Stellungen eingerückt waren, zu suchen, auf eigene Kosten zu kopieren und zusammen zu tragen. Das führte zu einer hohen Verschuldung von Strecker, die er über Jahrzehnte zurückzahlen musste.
Im Jahr 1959 bündeln sich schließlich unterschiedliche von ihm initiierte, organisierte oder mit getragene Initiativen, die alle die Skandalisierung dieser unheilvollen personellen und strukturellen Kontinuitäten in der Bundesrepublik zum Ziel hatten. In zwei auf Initiative u. a. von Reinhard Strecker vom Konvent der FU Berlin beantragten Petitionen an den deutschen Bundestag verlangten mehr als 10.000 Studentinnen und Studenten die Überprüfung von NS-belasteten Juristen und Medizinern. In Frankfurt veranstaltete der SDS im Mai des Jahres einen Kongress „Für Demokratie – gegen Militarismus und Restauration“. Erstmals konnte er dort einen Teil seines von ihm und weiteren ca. 30 Studenten gesammelten Aktenmaterials ausbreiten. Schließlich gelang es ihm, die in jahrelanger intensiver und kostspieliger Vorarbeit zusammengetragenen und aufbereiteten in über 100 Heftern akribisch verzeichneten Personendokumente , die die Justizverbrechen zahlreicher ehemaliger NS-Richter, – Staatsanwälte und Justizbeamten zweifelsfrei bewiesen, in einer im November des Jahres eröffneten Ausstellung zu präsentieren. Die Stadt, in der die später an vielen in- und ausländischen Standorten gezeigte und bis heute bekannte Ausstellung mit dem Titel „ungesühnte Nazijustiz und NS-Medizin“ erstmals präsentiert wurde, war gezielt ausgewählt worden. In Karlsruhe befanden sich die beiden höchsten bundesdeutschen Gerichte, das Bundesverfassungsgericht sowie der Bundesgerichtshof. Allerdings musste die Ausstellung schon bald auf den Protest von Bonner Politikern hin von der Stadthalle in ein kleines Lokal mit dem Namen „Krokodil“, einem Treffpunkt Karlsruher Journalisten, verlegt werden, wo sie nur zeitweise gezeigt werden konnte. Zum großen Erfolg der Ausstellung trug sicherlich auch bei, dass nach der Eröffnung in der Stadthalle eine große, mehrere Stunden dauernde Pressekonferenz stattfand, an der auch Journalisten überregionaler Medien in großer Zahl teilnahmen. Mehrere, überwiegend positive Rezensionen der Ausstellung erschienen daraufhin bundesweit. Positiv sieht Strecker heute noch die Rolle, die seinerzeit Generalbundesanwalt Max Güde dabei einnahm. Güde, der 1933 gegen die Verhaftung und Ermordung eines sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten intern protestiert hatte, empfing den SDS-Aktivisten in seinen Karlsruher Amtsräumen und äußerte sich kritisch über die Durchsetzung der bundesdeutschen Justiz mit belasteten NS-Verbrechern.
Dass die von Strecker, dem SDS und anderen bewusst inszenierten Skandale zündeten und zu heftigen Gegenreaktionen bis hin zu persönlichen Angriffen führten, kann man nur verstehen auf dem Hintergrund der sich Ende der fünfziger Jahre immer deutlicher zeigenden Risse im Verschweigekartell des Adenauer-Staates. Denn im Rahmen des immer heftiger und schärfer tobenden Kalten Krieges entfachte die DDR eine Kampagne gegen die aus ihrer Sicht faschistoide Bundesrepublik, um die eigene Bevölkerung von der Massenflucht aus der kommunistischen Diktatur abzuhalten. Unter dem Druck der größtenteils unwiderlegbaren Dokumente über die Verstrickungen bundesdeutscher Eliten in die Verbrechen des „Dritten Reiches“, die auch von den westlichen Bündnispartnern in der NATO aufgegriffen wurden, begann die bundesdeutsche Justiz langsam wieder damit, Strafverfahren gegen NS-Täter vorzubereiten.
Der erste größere Prozess gegen SS-Mörder aus dem KZ Sachsenhausen fand 1958 in Bonn statt und erregte vergleichsweise große Aufmerksamkeit in den Medien und der Öffentlichkeit. Der etwa zur gleichen Zeit durchgeführte Ulmer Einsatzgruppenprozess gab schließlich den Anstoß zur Bildung der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. Während einflussreiche Regierungspolitiker und Juristen eiligst an neuen Gesetzen zur Verjährung nationalsozialistischer Verbrechen in den Hinterzimmern der Parlamente und Behörden arbeiteten, protestierten Neonazis auf ihre Weise gegen die ganz langsam sich entwickelnde „Wiederentdeckung“ der nazistischen Vergangenheit. Es kam zu hunderten von Anschlägen und Propagandadelikten, darunter auch auf die neu errichteten Synagogen in Köln, in Bonn und auch in Wien.
In dieser von heftigen politischen Debatten und Hasskampagnen geschaffenen, von Angst vor der Aufklärung und berechtigter Sorge vor einer Restauration nazistischer Gewalt geprägten, nervösen und konfrontativen Stimmung erreichte die Ausstellung „ungesühnte Nazijustiz“ eine in Medien und Öffentlichkeit bis dahin kaum zu erwartende Aufmerksamkeit. Strecker und seine Mitstreiter ließen dem unerwarteten Erfolg der Ausstellung im In- und Ausland schon bald Strafanzeigen gegen namentlich bekannte Nazijuristen folgen. In einer weiteren Publikation legte er Dokumente über den zur Symbolfigur personeller Kontinuität zwischen NS-Diktatur und Bundesrepublik stilisierten Chef des Kanzleramtes und Verfasser des maßgeblichen Kommentars zu den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 Hans Globke vor. Die heftigen Gegenreaktionen aus Politik und Gesellschaft waren allerdings so stark, dass Strecker seine Kinder in das benachbarte Ausland bringen musste, um sie vor angedrohten Angriffen zu schützen.
Mit dem im bundesdeutschen Fernsehen teilweise übertragenen Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem und dem von Fritz Bauer initiierten Auschwitz-Prozess begann sich die auf Abwehr, Unschuld und Verschweigen orientierte dominante Stimmung und Einstellung in einem kleinen Teil der Bevölkerung, vornehmlich in der jüngeren Generation, zu ändern. Zugleich wehrte sich nach wie vor die große Mehrheit des, wie es damals hieß, „Establishments“ gegen jegliche Formen der Aufarbeitung und Darstellung der nationalsozialistischen Verbrechen. In dieser gesellschaftlichen und kulturellen Krise der Vergangenheitspolitik der sechziger Jahre war es die sogenannte Studentenrevolte von 1968 die die Waagschale allmählich zugunsten der kritischen Aufarbeitung hinsinken ließ.
Reinhard Strecker hat jedoch die in dieser Zeit sich im akademischen Milieu ausbreitende vorwiegend marxistische Gesellschaftskritik, die, einem Diktum von Max Horkheimer folgend, über den Faschismus nur im Zusammenhang mit der Analyse kapitalistischer Strukturen reden wollte, zurecht nicht als Fortsetzung seiner eigenen Aufklärungsarbeit verstanden. „Mir ist allerdings zunächst wichtig zu betonen“, so führte er in einem Interview aus, „dass ich mit ‚1968‘ nichts zu tun habe, sondern mich eher als ‚58er‘ bezeichnen möchte. Vor allem habe ich den 68ern immer diese Banalisierung der NS-Vergangenheit übel genommen, die Gleichsetzung der Zustände vor ‚45 und nach ‚45.“ Tatsächlich standen im Vordergrund der Thematisierung des deutschen Faschismus durch die studentische und akademische Linke, wie der Nationalsozialismus damals bezeichnenderweise hieß, weniger die Opfer der Massenverbrechen als die vermeintlich entdeckten strukturellen Kontinuitäten. Die Verharmlosung des NS-Regimes erreichte ihren stärksten Ausdruck mit der Gleichsetzung des Vietnam-Krieges und der nationalsozialistischen Vernichtungsfeldzüge. Trotzdem animierten die heute kaum noch verständlichen, reichlich abgehobenen akademischen Debatten z. B. über das Primat der Politik oder das Primat der Ökonomie im „Dritten Reich“ zweifellos auch eine wachsende Minderheit von jungen Menschen nicht nur in den Universitäten, sondern auch in Schulen und in Betrieben sowie vor allem auch in den Familien dazu, nach den nationalsozialistischen Wurzeln in ihrem Lebensalltag zu graben und zu forschen.
Gerade in dieser von Strecker selbst scharf formulierten Abgrenzung zwischen den 58igern und den 68igern werden Hauptmotive seiner auch in den darauf folgenden Jahrzehnten unermüdlichen Aufklärungsarbeit deutlich: ihm geht es vor allem um die Opfer des NS-Regimes, die über lange Jahre keine Gerechtigkeit erfahren haben, wohingegen die Täter fast ausnahmslos weder Reue empfanden noch für ihre Taten bestraft wurden. Tief gehende Empathie mit den Opfern und andauernde Empörung über den Skandal des Verschweigens und des Verharmlosens das – so scheint es mir – sind bis heute wichtige Motive seines Handelns und seiner Überzeugungen. Dafür ist es bezeichnend, dass er über viele Jahre als Referent des Goethe-Instituts die ausländischen Journalisten und Multiplikatoren immer wieder an die historischen Orte der NS-Verbrechen, so auch in die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen, führte. Er hat sich in dieser Zeit andauernder und intensiver Beschäftigung mit den nationalsozialistischen Verbrechen ein enzyklopädisches Wissen angeeignet, das immer wieder Staunen auslöst. Referenten, die wie ich häufig auf Veranstaltungen vortragen, kennen ihn als engagierten Diskussionsteilnehmer, dessen fundierte Beiträge – Fragen sind es weniger – immer auch die Sorge aufkommen lassen, bei Wissenslücken ertappt zu werden. Schließlich ist er auch ein unersetzbarer Zeitzeuge, der die Geschichtsschreibung über die Entwicklung der Vergangenheitspolitik und der Erinnerungskultur in der Bundesrepublik und in der DDR mit seinem großen, m. E. nach wie vor unausgeschöpften Erfahrungsschatz nicht nur bereichert, sondern auf hohem Niveau reflektiert und kommentiert.

Die meisten von Ihnen, sehr geehrte Gäste, kennen inzwischen die etwas peinliche Situation, wenn Ausländer die heutige Erinnerungskultur in Deutschland loben und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gedenkstätten ihre große Anerkennung aussprechen. Gelegentlich kann man inzwischen bereits von einer Art Aufarbeitungsstolz sprechen, der sich in bestimmten Kreisen vor allem der Regierungspolitik äußert. Dabei wird häufig vergessen, wie hart, mühselig, frustrierend, aufreibend und langwierig, der von vielen Skandalen und Rückschlägen geprägte Kampf um die Erinnerung über mehr als fünf Jahrzehnte in der Bundesrepublik war. Nicht wenige Engagierte sind wahrscheinlich daran zerbrochen oder haben große private Opfer gebracht. Letzteres gilt gerade auch für Reinhard Strecker. Besondere Bitternis bereiten daher dann neuere wissenschaftliche Studien, in denen behauptet wird, die wenigen Pioniere der Aufarbeitung der NS-Verbrechen hätten sich nicht ernsthaft mit den Tätern auseinandergesetzt, sondern lediglich die bequeme Identifikation mit den Opfern angestrebt. Dieser lange und harte Kampf um die Erinnerung droht über dem Lob vergessen zu werden. Man vergegenwärtige sich nur, dass die von Strecker schon Ende der fünfziger Jahre erhobene Forderung nach einer Überprüfung der personellen Kontinuitäten zwischen NS-Regime und Bundesrepublik erst mehr als fünfzig Jahre später erfolgt. Die inzwischen von nahezu allen Ministerien und staatlichen Einrichtungen in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen Forschungen zur Frühgeschichte ihrer Einrichtungen in der Bundesrepublik, wohl erstmals auf Anregung des damaligen Außenministers Fischer für das Auswärtige Amt entstanden, kommen bezeichnenderweise zu einer Zeit, in der kaum noch Täter leben konnten.
In der Geschichtswissenschaft und in der Publizistik macht sich darüber hinaus eine Wiederbelebung der alten „Volksgemeinschaftsthese“ breit, deren Grundzüge nach 1945 die Hauptargumente für die Restauration der alten Eliten lieferten. Man habe, so argumentierten in den fünfziger und sechziger Jahren viele bundesdeutschen Politiker fast aller Parteien, keine andere Wahl, als die alten Nazis wieder einzustellen und ihre Karrieren weiter zu fördern. Da mehr oder weniger alle ehemalige Volksgenossen zur Mitarbeit in der NS-Diktatur gezwungen waren oder sich dazu bereit erklärte hatten, gäbe es, so wurde argumentiert, keine Alternativen, wolle man nicht die Funktionstüchtigkeit von Verwaltung, Wirtschaft und Justiz gefährden. Die aggressive Bedrohung der Bundesrepublik durch die kommunistischen Diktaturen jenseits des Eisernen Vorhangs ließ, so wurde auch gesagt, darüber hinaus keine andere Wahl zu. Als 1983 Herrmann Lübbe im Reichstag ausgerechnet auf einer Veranstaltung zum 50. Jahrestag der Machtübernahme, diese apologetischen Thesen der Vergangenheitspolitik in der Bundesrepublik erstmals wieder belebte, war der Protest unter den anwesenden Historikern noch sehr groß. Inzwischen jedoch scheint sich diese Behauptung, die den Umgang der Bundesrepublik mit den NS-Verbrechern als alternativlos hinstellt, zu einem von vielen Publizisten und Verfassern dickleibiger Werke über die Geschichte Deutschlands nach 1945 als einheitliche kanonische Sichtweise heraus gebildet zu haben. Aber trifft das wirklich zu? Musste z. B. das Bundeskriminalamt mit ehemaligen Gestapoleuten und Kommandeuren von SD-Einsatzgruppen aufgebaut werden? Mussten tatsächlich verantwortliche Massenmörder in den Bundesnachrichtendienst eingestellt werden. Gab es keine andere Möglichkeit, als die vieltausendfachen Krankenmörder der Euthanasieaktion zu Oberärzten und Leiter psychiatrischer Kliniken zu ernennen? War es unumgänglich, dass Richter und Staatsanwälte der NS-Justiz, die nahezu 30.000 Todesurteile gefällt hatten, als Land- oder Amtsgerichtsdirektoren ihre Karrieren fortsetzen konnten? Wenn tatsächlich der Aufbau der Bundesrepublik, von Demokratie und Rechtsstaat, ohne die Integration von Nationalsozialisten nicht möglich war, wird dann nicht der unter großen persönlich Opfern geführte Kampf von Reinhard Strecker und anderen um die Aufdeckung personeller Kontinuitäten zum Kampf gegen Windmühlen abgewertet? Dieser, wie mir scheint, neuen Art von akademischer Kollektivschuldthese, hinter der sich schon die Täter versteckten, gilt es m. E. nach wie vor den Satz des ehemaligen Buchenwald-Häftlings Eugen Kogon entgegen zu halten: „Wer alle unterschiedslos auf die Anklagebank setzt, setzt niemand auf die Anklagebank“. Das Maß an Verantwortung für staatliche Verbrechen leitet sich eben vor allem auch aus Funktion und Hierarchie ab. Nach diesem funktionalen Prinzip verfuhren auch die Alliierten in den Nürnberger Prozessen, wohingegen die bundesdeutsche Justiz die nur schwer feststellbare subjektive Einstellung zur Tat zum entscheidenden Kriterium der Schuldzumessung erhob.
Auf die inzwischen teilweise so hoch gelobte Erinnerungskultur in der Bundesrepublik kommt deshalb nach meiner Meinung wahrscheinlich jetzt eine entscheidende Bewährungsprobe zu. Dabei denke ich nicht nur an den Einzug von Demagogen in den Bundestag, die die soldatischen Leistungen der Wehrmacht gelobt haben wollen und den angeblichen deutschen Schuldkult bekämpfen. Ich bin mir darüber hinaus nicht sicher, welche Auswirkungen das Ende der Zeitzeugenschaft haben wird, waren es doch zu allererst die Opfer selbst die über viele Jahre allein das Gedenken an ihre ermordeten Kameradinnen und Kameraden wach hielten. Ebenso können der von Teilen des Auslandes bestärkte Aufarbeitungsstolz oder das wieder aus der Versenkung heraus geholte Rot = Braun-Theorem, mit dem Relativierung und Entkontextualisierung einher gehen, das Abgleiten der erkämpften Erinnerungskultur in einen leblosen ritualisierten Kanon von Strategien und Lehrsätzen staatlicher Politik bewirken. Bei allen Unterschieden zur rigiden Aufarbeitungsverweigerung der ersten Jahrzehnte in der Geschichte der Bundesrepublik, gibt es manche déja-vue- Erfahrungen ebenso wie völlig neue Herausforderungen Sie werden Deutschland in den nächsten Jahren auf die Probe stellen, wie ernst die Erinnerung an die Verbrechen der NS-Diktatur auch in der Zukunft genommen wird.
Reinhard Strecker kann uns bei der Bewältigung dieser alten und neuen Herausforderungen in der Erinnerungspolitik ein Vorbild sein. Sie, lieber Herr Strecker, haben durch Ihre Zivilcourage, durch Ihre Beharrlichkeit, durch Ihre Empathie mit den Opfern, durch Ihren anhaltenden Zorn über die ungehinderten Karrieren der NS-Täter, durch Ihr enzyklopädisches Wissen und mit Ihren Mut gegen Mehrheitsmeinungen, gegen Schmutzkampagnen und Verleumdungen Ihren eingeschlagenen Weg beharrlich und über viele Jahre zu gehen, einen ganz wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass der viele Jahrzehnte dauernde Kampf um die Erinnerung in Deutschland schließlich in vielerlei Hinsicht erfolgreich war. Dafür sind wir alle Ihnen zu großem Dank verpflichtet.

Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, Ausstellungseröffnung 21. Juni 2016

ERÖFFNUNG DER Sonderausstellung „Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion 1941-1945“
Der Ständigen Konferenz der Leiter NS-Gedenkorte im Berliner Raum
21. Juni 2016
Begrüßung: Staatsministerin Frau Prof. Grütters,
Exzellenz, Herr Botschafter Grinin,
Damen und Herren,
Kolleginnen und Kollegen

STäKO: HdW, GuMS, Denkmal Juden, GdW, Topographie,

Verweis auf Ausstellung zum 75. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkrieges mit Überfall auf Polen 2014 auf Pariser Platz, große Aufmerksamkeit

Der Krieg gegen die Sowjetunion, der vor 75 Jahren begann, war ein rassistisch, antislawisch und antisemitisch motivierter Weltanschauungs-, Vernichtungs- und Eroberungskrieg. Brutalität und Grausamkeit, mit der Vernichtungskrieg und Völkermord durchgeführt wurden, waren und sind beispiellos. Die Einzelheiten und Details entziehen sich fast jeder Vorstellung. Sie lassen selbst den Historiker, der mit den Quellen, den amtlichen Dokumenten ebenso wie mit den Berichten der Zeitzeugen, vertraut ist, immer wieder erschaudern. Die Wurzeln von Vernichtungskrieg und Völkermord lassen sich mindestens bis in die ersten Jahre der Weimarer Republik zurückverfolgen. Ihre große Breitenwirkung, die nicht nur fanatische Nationalsozialisten, sondern auch die Träger von Wehrmacht, Staat und Wirtschaft sowie zweifellos auch einen Großteil der deutschen Soldaten erfasste, lässt sich gerade aus dem Zusammenwirkung der in ihren Anfängen unterschiedlichen Ursachen erklären. Das furchtbare, spätestens nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 immer wieder durch die Propaganda eingeübte Amalgam von Antislawismus, Antisemitismus, Antibolschewismus und imperialen Eroberungs- und Herrschaftsplänen lieferte für jede Gruppe, jede Institution und jede Organisation des „Dritten Reiches“ die den jeweiligen entweder lange tradierten oder neu erzeugten Feindbildern gemäße Rechtfertigung zum geplanten Massenmord an Millionen von Menschen.
Für Hitler und die allermeisten seiner Anhänger, aber auch für einen Großteil der deutschnationalen Eliten in Staat, Wirtschaft und Wehrmacht galt schon lange das Dogma, dass Deutschland seinen Lebensraum im Osten suchen müsse. 1933, nur vier Tage nach dem Beginn seiner Kanzlerschaft, kündigt Hitler daher vor den höchsten Offizieren der Reichswehr die rücksichtslose Germanisierung des neu zu gewinnenden Lebensraumes im Osten an. Zuvor allerdings müsse er den „Marxismus“ in Deutschland ausrotten, was den Schluss nahe legt, dass die Ausrottung des Bolschewismus darauf unmittelbar folgen soll. Zur gleichen Zeit debattiert man in führenden Wirtschaftskreisen über die angeblich unendlich großen Chancen und Möglichkeiten eines deutschen Großwirtschaftsraumes, der sich vom Baltikum über die Ukraine bis in den Kaukasus erstrecken soll. Polen ist zunächst die Rolle eines Glacis zugedacht, von dessen Boden aus der entscheidende Kampf beginnen soll. Mit dem deutsch-polnischen Nichtangriffsvertrag 1934 verknüpft die NS-Diktatur die Hoffnung auf eine mit mehr oder wenig Druck erreichte einvernehmliche Lösung, um den Durch- und Aufmarsch der hochgerüsteten deutschen Armeen zu ermöglichen. Im Antikominternpakt will man alle anti-bolschewistischen Kräfte sammeln, um die Sowjetunion einzukreisen. Ein „Kreuzzug Europas gegen den Bolschewismus“ wird proklamiert. Bekanntlich scheitern diese Pläne, obwohl Frankreich und Großbritannien Hitler im Münchener Abkommen weit entgegen kommen. Deutschland vollzieht mit dem Ribbentrop-Molotow-Pakt eine taktische Kehrtwende, die alle Gegner Hitlers, sowohl im deutschen Widerstand als auch im Ausland, in tiefe Ratlosigkeit und Resignation stürzt.
Die Spitzen des NS-Regimes sind sich jedoch darin einig, dass die Realisierung ihrer Vorstellungen vom Lebensraum im Osten nur aufgeschoben und nicht aufgehoben ist. Schon im November 1939 deutet Hitler an, dass er eine große Operation gegen Rußland plane. Indes üben vor allem SS und Polizei im besetzten Polen bereits die Methoden des Vernichtungskrieges ein, vor allem polnische Intellektuelle, Militärs und Lehrer aber auch psychisch Kranke und Juden sind die Hauptopfer.

Die konkreten Vorbereitungen der Wehrmacht für den großen Ostkrieg setzen bereits im Frühsommer 1940 ein. Mit dem Kriegsgerichtsbarkeitserlass vom 13. Mai 1941, verfasst vom Chef des OKW Wilhelm Keitel, wird der Truppe weitgehend freie Hand bei Gewalttaten gegen Zivilisten gelassen, ein Freibrief für den Vernichtungskrieg.
Nach dem Kommissarbefehl vom 6. Juni 1941, unterzeichnet von Alfred Jodl, gleichfalls OKW, sollen alle politischen Kommissare sofort hinter der Front ermordet werden. In den Bestimmungen des Befehls kommt die Vermischung von antijüdischen und antibolschwistischen Feindbildern, wie sie auch von der Wehrmacht geteilt werden, klar und deutlich zum Ausdruck. Etwa zur gleichen Zeit arbeiten Wissenschaftler der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft an gigantischen Plänen zur Besiedlung der durch Hunger, Massenmord und Vertreibungen leer gesäuberten neuen Siedlungsgebiete für deutsche Bauern und Kriegsgewinnler, von ca. 30 Millionen Opfern auf Seiten der sowjetischen Bevölkerung gehen die Wissenschaftler dabei aus. SS und Polizei bereiten sich darauf vor, im Rücken der Front eine schon in Polen eingeübte und noch zu steigernde Terrorherrschaft aufzubauen.

Die allumfassende Gewalt beginnt schon in den ersten Tagen nach dem Angriff. In Litauen verüben die Deutschen mit Unterstützung der örtlichen Bevölkerung die ersten Massaker an Juden. Schon im Sommer 1941 gehen diese vereinzelten Massaker in die Praxis der systematischen Judenvernichtung, den Holocaust, über. Zusammen mit den Juden werden, ohne dass es eines besonderen Befehls bedurft hätte, Roma sowie Kranke in psychiatrischen Anstalten und Pflegeheimen ermordet. Der Krieg gegen die SU beseitigt jegliche möglicherweise noch existierende Skrupel. Die unvergleichlichen Völkermordverbrechen beginnen zwar in der Sowjetunion, sie dehnen sich aber bald von dort auf das ganze besetzte Europa aus.
In den Kriegsgefangenlagern setzt die geplante Vernachlässigung der sowjetischen Soldaten ein mit der Folge, dass bis zum Ende des gleichen Jahres bereits etwa 1,4 Millionen Rotarmisten, das sind fast 60 Prozent aller sowjetischen Kriegsgefangenen, unter erbärmlichsten Bedingungen an Hunger und Seuchen sterben. Die dem Kommissarbefehl folgenden, vielfach willkürlichen Selektionen, die immer häufiger auch einfache Soldaten erfassen, führen auch schon im Juli zu ersten Massenmordaktionen. Am 1. September 1941, also nur 10 Wochen nach Kriegsbeginn, werden auch die reichsdeutschen Konzentrationslager zu Tatorten der Massenmorde an den sowjetischen Kriegsgefangenen. In der zentralen Verwaltung des KZ Terrors, im sogenannten T-Gebäude von Oranienburg, wird von den KZ-Kommandanten über die Tötungsmethoden an Zehntausenden Rotarmisten diskutiert. 13.000 von ihnen werden mit Hilfe einer Genickschußanlage, nur 30 Kilometer entfernt von hier im KZ Sachsenhausen innerhalb von zehn Wochen ermordet. Zur gleichen Zeit füllen sich die Massengräber, die neben den zahlreichen Stalags der Wehrmacht in der Nachbarschaft deutscher Städte und Dörfer ausgehoben werden.
Als sich im besetzten Hinterland nicht zuletzt aufgrund der großen Brutalität des Vernichtungskrieges der erste Widerstand regt, steigern sich auch die Anti-Partisanen-Aktionen zu einem massenhaften Gemetzel. Wir wissen bis heute nicht, wie viele Dörfer zusammen mit ihren Bewohnern, mit Kindern, Frauen und Männern, völlig zerstört, niedergebrannt und von der Landkarte getilgt werden. Sind es Hunderte, sind es Tausende? Vor allem in Weißrußland tobt der als Anti-Partisanenkampf verharmloste und bis in unsere Tage hinein als unvermeidliche Repressalie gerechtfertigte Vernichtungskrieg,
Gemäß den schon 1941 formulierten ausgearbeiteten Plänen, wie sie der Generalplan Ost oder der Kahlfraß- und Hungerplan von Staatssekretär Herbert Backe vorsehen, rauben die deutschen und die mit ihnen verbündeten Truppen der Bevölkerung in der SU nicht nur jegliche Lebensgrundlagen, sondern zerstören sie auch langfristig. Viele Privatbilder der Soldaten, die sie in die Heimat zurückschicken, zeigen die Männer unter den Stahlhelmen, wie sie lachend Schweine und Kühe aus den Ställen heraustreiben, wohl wissend, dass sie die Bauern und ihre Familien damit dem Hungertod überantworten. Das völlige Aushungern ganzer Städte, wie Leningrad, gehöre zum Monate zuvor kühl kalkulierten Schlacht- und Kriegsplan der Wehrmacht, wie Panzerangriffe und Luftterror. Besonders schwer betroffen von der Hungerpolitik sind u. a. die Städte in der Nordostukraine.

Nach dem Scheitern des Blitzkrieges vor Moskau im Winter 1941 erkennen die Spitzen von Staat, Wehrmacht, Partei und Wirtschaft, dass sie den Krieg nur weiter führend können, wenn sie Millionen von Zwangsarbeitern nach Deutschland verschleppen. Für viele Männer, Frauen und sogar Kinder, die die die systematischen Menschenjagden, veranstaltet u. a. von Beamten deutscher Arbeitsämter, überleben, bedeutet der Arbeitseinsatz jedoch keinesfalls, dass sich ihre Situation entscheidend verbessert. Die als Ostarbeiter stigmatisierten Menschen leben unter den Deutschen vielmehr wie Parias, erhalten kaum Nahrung und sterben auch weiterhin in großer Zahl an Misshandlungen, Hunger und Krankheiten und werden bei der geringsten Widersetzlichkeit an Ort und Stelle oder in Konzentrationslagern hingerichtet. Besonders schlimm ist z. B. die Situation der sowjetischen Kriegsgefangenen in den Kohlengruben des Ruhrgebietes, in denen Krupp und andere Unternehmer die Arbeitskräfte der Zwangsarbeiter bis zum Tod durch völlige Erschöpfung skrupellos auspressen. Das Leben eines „Russen“, wie man die vor sich hin taumelnden Skelette abfällig nennt, ist keines Aufhebens wert. So beteiligt sich nicht nur die Front, sondern auch die Heimat am Vernichtungskrieg.
Mit dem Vormarsch der Roten Armee und der sich abzeichnenden Niederlage des „Dritten Reiches“, das jetzt an allen Fronten harte militärische Abwehrkämpfe führt, sind nicht etwa die Massenmorde an den Zivilisten rückläufig, sondern sie steigern sich erneut. Die Politik der verbrannten Erde hinterlässt kein lebendiges Wesen mehr. Die Menschen werden vor den sich zurückziehenden Truppen her getrieben und, wenn sie den Rückzug behindern, ohne große Umstände getötet. Das unermessliche Ausmaß der Rückzugsverbrechen liegt weitgehend immer noch im Dunkeln. Die Sicherheitspolizei richtet eigene Sonderkommandos ein, um die über alle vorhandenen Massengräber auszuheben und die Leichen zu verbrennen.
Auch in Deutschland steigert sich die Politik der allgemeinen Lebensvernichtung immer mehr, je näher die Fronten rücken. Selbst wenn der Geschützdonner der alliierten Armeen schon zu hören ist, werden die Opfer zusammen getrieben und auf die unterschiedlichste Art und Weise grausam ermordet, so z. B. in Zuchthäusern und in den verschiedensten Lagern. Dabei fällt auf, dass neben den Juden vor allem die sogenannten Ostarbeiter als erste selektiert und getötet werden.

Es hat in Deutschland sehr lange gedauert, bis die schrecklichen Dimensionen des Vernichtungskrieges in der SU zumindest in groben Zügen anerkannt wurden. Eine Strafverfolgung fand wenn überhaupt dann ab dem Ende der fünfziger Jahre nur gegen SS- und Polizeieinheiten statt. Schon im Nürnberger Prozess hatte die Wehrmachtsführung alle Schuld auf Hitler, Himmler und seine SS-Einheiten geschoben. Trotz zahlloser Wehrmachtsverbrechen kam es vor deutschen Gerichten nur in ganz wenigen Ausnahmefällen zur Anklageerhebung gegen Offiziere und Soldaten. Die Lüge von der „sauberen Wehrmacht“ ermöglichte es vielmehr, dass jemand wie Adolf Heusinger, der für die Koordination des Anti-Partisanen-Kampfes zuständig gewesen war, zum ersten Generalinspekteur der Bundeswehr ernannt wurde. Zahlreiche Kasernen trugen noch in den achtziger und neunziger Jahren die Namen von ranghohen Wehrmachtsoffizieren, wie z. B. die in Füssen nach Generaloberst Eduard Dietl benannte Unterkunft der Bundeswehrsoldaten. Der von Hitler sehr geschätzte Wehrmachtsoffizier hatte sich aktiv an den Massenmorden im Rahmen des Kommissarbefehls beteiligt. Erst 1995 wurde die Kaserne gegen den heftigen Widerstand der Traditionsverbände umbenannt. Über viele Jahrzehnte wurden die geplanten und mit großer Grausamkeit begangenen Massenmorde und Verbrechen des Vernichtungskrieges gegen die SU entweder verharmlost oder relativiert, indem man auf die Übergriffe und Verbrechen von Soldaten der Roten Armee bei der Besetzung Deutschlands hinweist.
Zwar hat sich seit der Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung Mitte der neunziger Jahre die Beurteilung des Vernichtungskrieges gegen die SU und insbesondere die Einschätzung der Rolle der Wehrmacht geändert, aber nach wie vor liegen die im Rahmen des Barbarossa-Feldzuges begangenen, heute hier nur in Ansätzen zu beschreibenden Verbrechen im Erinnerungsschatten, wie Bundespräsident Joachim Gauck im vorigen Jahr zurecht gesagt hat. Immer noch begegnet man nicht selten einer irritierenden Reserviertheit bei nicht wenigen Deutschen, wenn nicht sogar einer von starken Vorurteilen gegenüber Rußland geprägten Ablehnung, obwohl sich diese nur noch bei ganz wenigen Menschen mit eigenen möglicherweise schlimmem Erfahrungen begründen läßt. Daher ist es an der Zeit, nein es ist lange überfällig, dass endlich hier im Zentrum Berlins ein Gedenkort und ein Erinnerungszeichnen für die Millionen Opfer der geplanten Lebensvernichtung im Osten errichtet werden.
Hinweis auf Beschluss des Arbeitskreises I der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten auch deshalb den Schwerpunkt der Veranstaltungen in diesem Jahr auf die Erinnerung an die Millionen Opfer des Vernichtungskrieges gegen die SU zu legen. Bis Dezember werden mindestens 15 Veranstaltungen in den Berlin.-Brandenburgischen Gedenkstätten dazu stattfinden, Lesungen, Zeitzeugengespräche, Ausstellungen, Filmvorführungen und Gedenkveranstaltungen. Damit wollen die NS-Gedenkstätten die besondere Bedeutung dieses 75. Jahrestages würdigen.

Dank an:
– Kulturstaatsministerin für Finanzierung der Ausstellung
– An das Bezirksamt Mitte für die Erlaubnis die Ausstellung am Potsdamer Platz zu zeigen,
– An Frau Dagmar von Wilcken für die Gestaltung
– An Frau Breithoff, der Koordinatorin der Ausstellung