Stellungnahme zum offenen Brief des Vorstandsvorsitzenden der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) Dieter Dombrowski vom 2. Dezember 2021 betr. Straßenbenennung auf dem Gelände des ehemaligen KZ-Außenkommandos „Zeppelin“ nach Gisela Gneist

Betr.: Stellungnahme des vormaligen Direktors der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten (1997-6/2018) zum  Brief des Vorstandsvorsitzenden der UOKG vom 2.12.2021 betr. Straßenbenennung Gisela Gneist

                                                                                         Oranienburg, den 4. Dezember 2021

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte Stadtverordnete,

im Internet wird oben genannter offener Brief des Vorsitzenden der UOKG verbreitet, in dem auch meine Person namentlich in einem, wie ich meine, nicht richtigen Zusammenhang kritisiert wird. Dazu sende ich Ihnen folgende Stellungnahme mit der Bitte zu, diese auch allen Stadtverordneten zukommen zu lassen. Sollten sich daraus Fragen an mich ergeben, so würde ich mich freuen, diese auf die eine oder andere Weise beantworten zu dürfen:                                        

Es ist zweifellos richtig, dass, wie in dem oben genannten Brief angeführt wird,  es“ kein Sakrileg“ war und ist, sich kritisch mit der u. a. vom Stiftungsdirektor verantworteten Erinnerungspolitik  auseinanderzusetzen – und dies gilt nicht nur hinsichtlich der Bewertung der Geschichte der sowjetischen Speziallager. Dabei verschweigt der Vorstand der UOKG bedauerlicherweise aber, dass diese nicht allein vom Stiftungsvorstand, sondern vor allem auch von den Beratungs- und Beschlussgremien der Stiftung konsensual erarbeitet und getragen wurde. Lange Jahre, während derer u. a. das neu errichtete Museum sowjetisches Speziallager eröffnet wurde, stand an der Spitze des von Bund und Land sowie von den Repräsentanten der Opferverbände getragenen Stiftungsrates Kulturministerin Prof. Dr. Johanna Wanka, Mitglied und zeitweise sogar Vorsitzende der brandenburgischen CDU. Der Vorsitzende der UOKG Dieter Dombrowski gehörte seinerzeit  auch zur CDU-Fraktion des Brandenburgischen Landtages. Die Abgeordneten haben über viele Jahre regelmäßig, mindestens einmal jährlich, den Bericht des Stiftungsvorstandes zur Kenntnis genommen. Kritische Nachfragen von Abgeordneten daran hat es dabei höchstens vereinzelt gegeben. Hingegen kamen Abgeordnete, insbesondere  des Kulturausschusses, nicht selten zur Ortsbesichtigung in die Gedenkstätte Sachsenhausen. Ganz überwiegend drückten sie dabei ihr Lob und ihre Anerkennung für die Arbeit der Gedenkstätte gerade auch im Hinblick auf den Umgang der Stiftung mit der zweifachen Vergangenheit Sachsenhausens aus. Der Stiftungsdirektor hatte dazu eine neun Punkte umfassende Erklärung der Leitlinien zum Gedenken an Orten zweifacher Vergangenheit schriftlich vorgelegt, die nicht nur von den beiden Arbeitsgruppen des internationalen Beirats, sondern dezidiert auch vom damaligen Innenminister und CDU-Vorsitzenden Jörg Schönbohm (CDU) gebilligt wurden.

 Leider verschweigt das Anschreiben der UOKG auch , dass sich die „Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945-1950“ (AG)  in ihren Kampagnen gegen die die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten im Allgemeinen und den Stiftungsdirektor im Besonderen – im Sprachgebrauch der AG wurde er als „ultralinker Alt-68-iger“ denunziert –   jedoch auch Methoden der Verleumdung bediente, die von einem ordentlichen Gericht als Lügen enttarnt und im Falle der Wiederholung mit einer hohen, sechsstelligen Geldstrafe sanktioniert wurden. Trotzdem hat sich die AG dieser formellen Rechtsprechung nicht gebeugt, sondern selbst bei offiziellen Anlässen ihre nachweislich falschen Behauptungen wiederholt, weshalb sie teilweise sogar in Publikationen Eingang fanden. Auch hat sich die AG zur Amtszeit von Gisela Gneist trotz vielfacher Bitten des Stiftungsdirektors nicht öffentlich von rechtsextremistischen Aktivitäten im Umfeld der Gedenkstätte Sachsenhausen distanziert, sondern in dieser Zeit eher Kontakte in dieses Milieu gesucht. So hat sich die AG auch nicht gegen Mordaufrufe in den einschlägigen sozialen Medien der Neonazis gewandt, die sich mit Verweis auf Kritik der AG an der Erinnerungspolitik der Stiftung gegen den damaligen Stiftungsdirektor persönlich richteten. Dies gilt nicht weniger für die Gedenkveranstaltung für den Massenmörder und maßgeblichen Gutachter der sogenannten Kindereuthanasie Prof. Heinze. Vielmehr hat die Vorsitzende der AG  in einer öffentlichen Veranstaltung, an der sie gemeinsam mit dem Stiftungsdirektor auf dem Podium teilnahm,  das Gedenken an den Massenmörder Heinze noch nachträglich mit dem Verweis auf seine Rehabilitation durch die russische Staatsanwaltschaft gerechtfertigt. Weitere Beispiel ließen sich leicht ergänzen. Einige wenige davon sind , wie die antisemitischen Ausfälle von Frau Gneist gegenüber dem Stiftungsdirektor, im Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte erwähnt.

Der im letzten Absatz des Briefes formulierte Grundsatz „Auch wenn das NS-Unrecht…als Begründung herangezogen werden.“ – war eine in der Stiftung  sowohl von den Stiftungsgremien als auch von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stets getragene Leitlinie ihrer historischen Bewertung des sowjetischen Speziallagers. Nachzulesen ist eine solche Passage etwa in dem von Günter Morsch und Ines Reich herausgegebenen Band „Sowjetisches Speziallager Nr. 7/Nr. 1 in Sachsenhausen (1945-1950)“, Berlin 2005, S. 49, wo es heißt: „Mindestens 12.000 Menschen starben zwischen 1945 und 1950 an Hunger, Krankheiten und Seuchen in diesem Lager, in dem neues Leid und Unrecht geschah, das selbst vor dem Hintergrund der Völker- und Kriegsverbrechen des Nationalsozialismus nicht zu rechtfertigen ist. In Sachsenhausen, wo auf das Nationalsozialistische Konzentrationslager das sowjetische Speziallager folgte, darf das eine durch das andere weder relativiert noch bagatellisiert werden.“ Dieser Satz ist Teil des einleitenden Museumstextes. Nicht nur in der nach wie vor existierenden Dauerausstellung des Museums, die von Wissenschaft und Öffentlichkeit ganz überwiegend als beispielhaft gelobt wurde, sondern auch in den zahlreichen Reden des damaligen Stiftungsdirektors  finden sich ähnliche Formulierungen. Sie spiegeln den Forschungsstand, wie er in zwei  von der Wissenschaft allgemein als Standartwerke bezeichneten und u. a. auch von Günter Morsch herausgegebenen, dickleibigen Publikationen zur Geschichte der sowjetischen Speziallager veröffentlicht wurde. Auch andere in der Amtszeit von Günter Morsch von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gedenkstätte Sachsenhausen publizierte Schriften zur Geschichte der sowjetischen Speziallager in Brandenburg, werden nach wie vor als Grundlagenwerke verlegt.

Spätestens mit der Wahl von Dieter Dombrowski  2015 zum Vorstandsvorsitzenden der UOKG und  eines neuen Vorsitzenden der AG begann nach schwierigen Jahren der Zusammenarbeit in der Amtszeit von Frau Gneist eine erneute Phase des Dialogs mit der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Konstruktive Lösungen wurden gemeinsam gesucht und erreicht;  polemische und verleumderische Angriffe auf Wissenschaftler und Gedenkstättenmitarbeiter seitens einzelner Verbände  der UOKG , wie die von einem Gericht verurteilten tätlichen Angriffe eines Repräsentanten der UOKG auf die Leiterin der Gedenkstätte  Potsdam-Leistikowstraße, gehören zunehmend der Vergangenheit an. Dieser erfolgversprechende und kooperative Weg sollte weiter verfolgt werden. Dazu gehört aber auch, dass sich die Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft von revisionistischen, rechtsradikalen, antisemitischen  und verleumderischen Angriffen und Tendenzen der Vergangenheit endlich öffentlich und ehrlich distanzieren.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Günter Morsch