Schlagwort: Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten
„Jeder Stein vermittelt eine Geschichte“
30 Jahre Brandenburg. Jeder Stein vermittelt eine Geschichte. Mit Historiker Günter Morsch in der Gedenkstätte Sachsenhausen.
Claudia Duda, in Märkische Oderzeitung/Oranienburger Generalanzeiger, 29. August 2020




Vergegenständlichte Erinnerung. Die deutsche Einheit und die Folgen für die Erinnerungskultur – eine persönliche Bilanz nach 25 Jahren
Eine Videoaufzeichnung des Vortrages im Rahmen der „Lüdenscheider Gespräche“ im Mai 2019. Moderation Prof. Dr. Wolfgang Kruse
https://www.fernuni-hagen.de/videostreaming/archiv/ksw/luedenscheider_gespraeche.shtml
25 Jahre Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Begrüssung der Gäste anlässlich des Festempfangs des Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg und der Stiftung Brandenburgische Gedenksätten am 18. April 2018 in der Staatskanzlei
Günter Morsch
25 JAHRE STIFTUNG BRANDENBURGISCHE GEDENKSTÄTTEN
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Woidke,
sehr geehrter Herr Landtagsvizepräsident Dombrowski,
Sehr geehrte Überlebende der Konzentrationslager des sowjetischen Speziallagers sowie der Gefängnisse
sehr geehrte Mitglieder der Landesregierung und des brandenburgischen Landtages,
sehr geehrte Mitglieder der drei Gremien der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten sowie der verschiedenen Opfer- und Interessenverbände
Exzellenzen, Vertreter ausländischer Staaten,
Sehr geehrte Frau Bering,
Lieber Herr Faulenbach,
lieber Herr Lutz,
lieber Herr Beattie
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
im Namen der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten möchte auch ich Sie zunächst ganz herzlich zu unserem Festakt aus Anlass unseres fünfundzwanzigsten Geburtstages begrüßen. Im Namen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung bedanke ich mich bei der Landesregierung, insbesondere bei Herrn Ministerpräsidenten Dr. Woidke, für die Ehre, die der Gedenkstättenstiftung mit diesem Festakt hier in der Staatskanzlei erwiesen wird.
Am 9. November 2010 fand im ehemaligen Erschießungsgraben des Konzentrationslagers Sachsenhausen die seit vielen Jahren regelmäßig stattfindende Gedenkveranstaltung für die Opfer einer Massenmordaktion an mindestens 33 polnischen Häftlingen statt. Mühselig und im Rollstuhl sitzend war der damals 95-jährige Sachsenhausen-Überlebende Karl Stenzel aus seinem Altersitz in Groß-Köris nach Sachsenhausen gekommen, um seiner polnischen Kameraden zu gedenken. Seine letzte Rede in der Gedenkstätte, für die er über Jahrzehnte als Generalsekretär des Internationalen Sachsenhausen-Komitees gekämpft und sich eingesetzt hatte, war für uns alle, die wir ihm zuhörten, bestürzend. „Wir, die ehemaligen KZ-Häftlinge, wir haben versagt, so sagte er fast flüsternd. „Wir haben geglaubt, die Welt würde aus unserer Erfahrung lernen, sie würde besser werden, keine Völkermorde mehr, kein Rassismus und Antisemitismus, kein Nationalismus, kein Krieg mehr, so haben wir in unseren unterschiedlichen Erklärungen nach der Befreiung aus den Lagern gefordert. Doch was“, so fragte Karl Stenzel weiter, hat die Welt aus unseren Erfahrungen gemacht?“
Der ehemalige deutsche Kommunist, der in den neunziger Jahren ganz entscheidend an der Neugestaltung der brandenburgischen Gedenkstätten konstruktiv mitgewirkt und sie voran getrieben hat, steht mit dieser Feststellung im Kreise auch seiner internationalen Kameradinnen und Kameraden nicht allein. In dem 2009 von den Präsidenten der verschiedenen Häftlingskomitees, unter ihnen die im internationalen Beirat der Stiftung Brandenburgische Gedenkstäten vertretenen Präsidenten von Ravensbrück und Sachsenhausen, Dr. Annette Chalut und Pierre Gouffault, verfassten das, wie sie es nannten, „Vermächtnis der Überlebenden“ und übergaben es in zahlreichen Veranstaltungen verschiedenen namhaften staatlichen Repräsentanten . Darin heißt es in ganz ähnlicher Weise: „Nach unserer Befreiung schworen wir eine neue Welt des Friedens und der Freiheit aufzubauen. Wir haben uns engagiert, um eine Wiederkehr dieser unvergleichlichen Verbrechen zu verhindern. Zeitlebens haben wir Zeugnis abgelegt, zeitlebens waren wir darum bemüht, junge Menschen über unsere Erlebnisse und unsere Erfahrungen und deren Ursachen zu informieren. Gerade deshalb schmerzt und empört es uns sehr, heute feststellen zu müssen: Die Welt hat zu wenig aus unserer Geschichte gelernt.“
Einige von Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, mögen diese uns in tiefe Zweifel stürzende Zitate der Zeitzeugen des Terrors und der Kriege als unpassend für den heutigen Anlass empfinden. Doch angesichts der gerade im Moment zunehmenden antisemitischen und rassistischen Übergriffe, der Wiederkehr nationalistischer Bewegungen, der zunehmenden Flut aggressiver, die Opfer der Diktaturen beleidigender Äußerungen, angesichts der selbst im Deutschen Bundestag zu hörenden Stellungnahmen von anscheinend ohne jegliches kritisches historische Bewusstsein und jegliche Sensibilität rücksichtslos nach Einfluss und Macht strebenden rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen sowie angesichts des am Horizont drohenden Zerfalls der Europäischen Union und der Zunahme von Konflikten zwischen den europäischen Nachbarn müssen wir uns gerade an einem solchen Tag, an dem wir auf die vergangenen Erfolge zurück blicken wollen, auch den neuen Herausforderungen der Gegenwart stellen. Dabei kommen wir nicht umhin, feststellen zu müssen: Die wirkliche Probe auf die Festigkeit und Nachhaltigkeit der Erinnerungskultur in Deutschland und in Europa, sie scheint erst jetzt zu kommen!
Jetzt – da die ständigen Weckrufe und Mahnungen, die zumeist mit großer menschlicher Wärme und Überzeugungskraft vorgetragenen Erlebnisse und Erfahrungen der Zeitzeugen weitgehend verstummt sind und zu verblassen scheinen.
Jetzt – da die allermeisten Nachbarn Deutschlands, die zweimal im Laufe des vorigen Jahrhunderts unter der aggressiven Kriegspolitik des Deutschen Reiches leiden mussten, der vereinten Bundesrepublik des Grundgesetzes nicht zuletzt aufgrund ihrer offenen und breit entwickelten, fest in der Zivilgesellschaft verankerten, staatlich unterstützten neuen Erinnerungskultur vertrauen.
Jetzt – da die meisten Angehörigen der Opfer in ihrer Trauer einen mitfühlenden Widerhall und ein sympathetisches Verständnis bei vielen Menschen in Deutschland vorfinden und
Jetzt – da die meisten Verbände der verschiedenen Opfergruppen, die über Jahrzehnte immer wieder an das Gewissen der Deutschen appellierten und gegen Verdrängungsprozesse ankämpften entweder sich aufzulösen beginnen oder aber angesichts ihrer begrenzten Kraft den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf neue Herausforderungen legen müssen.
Ich bin allerdings fest davon überzeugt, sehr geehrte Anwesende, dass die vor 25 Jahren in der Einrichtungsverordnung der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten einschließlich ihrer 1997 und 2016 vorgenommenen Novellierungen festgeschriebenen Grundsätze eine nach wie vor sichere Grundlage und Basis bieten, um diesen neuen Herausforderungen stand zu halten und Antworten darauf zu finden. Welche sind dies?
- Im Zentrum der Erinnerungskultur in Brandenburg stehen die historischen, bzw. die authentischen Orte der Verbrechen. Sie zu erhalten und zu bewahren, sollte oberste Aufgabe bleiben, auch wenn das angesichts der zahlreichen baulichen Zeugnisse bedeutet, eine nicht geringe Finanzierung auf Dauer sicher zu stellen, damit sowohl die Denkmale aus der Zeit als auch die Denkmale an die Zeit auch künftigen Generationen erhalten bleiben.
- In den historischen Orten fokussiert sich die Erinnerung; sie geht von ihnen aus. Ihre Kraft darf nicht durch Verwaltungsreformen oder andere in Zeiten von Zentralisierungen und vermeintlich Synergien bündelnden Maßnahmen geschwächt, sondern muss im Gegenteil weiter gestärkt werden.
- Gedenkstätten können nur als zeithistorische Museen mit besonderen humanitären und bildungspolitischen Aufgaben in einer stark von den neuen Medien bestimmten Gesellschaft Wirkung und Nachhaltigkeit erzielen und sich behaupten. Ihre feste Verankerung in der Wissenschaft, die Aufarbeitung und Ergänzung ihrer Sammlungen, die stets den sich ändernden Fragen an die Geschichte sich öffnenden Dauer-, Sonder- und Wechselausstellungen sowie Veröffentlichungen aller Art, aber vor allem auch eine offene, moderner Didaktik gegenüber aufgeschlossene, vor allem aber personell und finanziell besser als bisher ausgestatte pädagogische Arbeit, bleiben unverzichtbare fundamentale Aufgaben der Gedenkstätten.
- Die Gedenkstättenstiftungen müssen auch weiterhin in Deutschland, wo es auch auf absehbare Zeit keine starke etablierte und tradierte private Kulturförderung gibt, öffentlich rechtlich verfasst bleiben. Umso wichtiger ist es, dass Staat und Politik die inhaltliche Autonomie der Gedenkstätten und der Stiftung achten und bewahren. Gerade auf dem Hintergrund der in den neuen Bundesländern noch stark nachwirkenden Erfahrungen des staatlich instrumentalisierten Antifaschismus muss den offenbar gegenwärtig wachsenden Versuchungen widerstanden werden, auf die inhaltliche Ausrichtung der Gedenkstätten administrativ Einfluss zu nehmen oder gar sie zu bestimmen.
- Staatliche Verwaltungen, Parteien und Verbände sind aber aufgefordert, sich am möglichst pluralistischen Diskurs über Ziele und Inhalte zu beteiligen. Dabei müssen neue Wege gefunden werden, um auch in der Zukunft die Beteiligung einer internationalen Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft an der Fortentwicklung der Gedenkstätten sicher zu stellen. Denn in Below und in Brandenburg an der Havel, in der Potsdamer Leistikowstraße ebenso wie in Lieberose, in Ravensbrück ebenso wie in Sachsenhausen bündelt sich nicht allein deutsche, sondern europäische Vorkriegs- Kriegs- und Nachkriegsgeschichte.
Die heutige Festveranstaltung bietet der Stiftung auch eine gern genutzte Gelegenheit, um unseren aufrichtigen Dank an alle die Stiftung in vielfältigen Formen helfenden, unterstützenden und tragenden Einrichtungen sowie Personen zum Ausdruck zu bringen. Lassen Sie mich im Namen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung daher zum Schluss meiner Ausführungen, Ihnen allen versichern, wie sehr wir die Unterstützung und Hilfe, die wir von vielen Seiten erhalten, schätzen und anerkennen. Vor fünf Jahren, aus Anlass des zwanzigsten Geburtstages unserer Stiftung, habe ich versucht, nahezu alle Institutionen, Organisationen und Personen namentlich zu nennen, denen wir diesen Dank schulden. Die dazu gemachten Ausführungen füllten mehr als zwei Seiten meines Manuskripts. Trotzdem bin ich an dieser gerne übernommenen Aufgabe gescheitert, wie spätere Beschwerden zeigten. Daher bitte ich um Verständnis, wenn ich heute Ihnen allen ganz herzlich danken möchte, ohne erneut peinliche und unbeabsichtigte Versäumnisse zu riskieren. Der Dank kommt trotzdem von ganzem Herzen. Eine Ausnahme will ich trotzdem machen: Mein letzter Satz soll den ihre Haft überlebenden Opfern von Holocaust und KZ-Verbrechen, von Gefängnis- und Speziallager-Haft gelten. Ihnen schulden wir vor allem deshalb Dank, weil sie trotz des ihnen angetanen Leids und Unrechts uns allen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ebenso wie den Leiterinnen und Leitern der Gedenkstätten sowie dem Vorstand und Direktor der Stiftung stets eine nicht zu ersetzende, moralische Stütze waren und sind.
Dank und Literaturhinweis
Ganz herzlich danke ich allen, die mir zu meinem 65. Geburtstag in Briefen, mit Karten, durch ihr persönliches Erscheinen und in Telefongesprächen gratuliert haben.
Ganz besonders habe ich mich über die Publikation „Vom Monument zur Erinnerung. 25 Jahre Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten in 25 Objekten“ gefreut, die zu meinem Geburtstag erschienen ist. Ich danke allen 27 Autoren für ihre interessanten und überaus lesenswerten Beiträge ebenso wie Ministerpräsident Dr. Dietmar Woidke und dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller für ihre Grußworte. Das Konzept der Publikation, die Geschichte zwischen 1939 und 2017 in Objekten zu erzählen, ist ebenso innovativ wie spannend. Ines Reich, die Leiterin unserer Gedenk- und Begegnungsstätte in der Leistikowstraße in Potsdam, von der das Konzept stammt, hat sich mit der ihr typischen Energie und Begeistungsfähigkeit der Mühe der Sammlung und der Herausgeberschaft der verschiedenen Beiträge unterzogen. Sie hat dazu auch eine sehr nachdenkenswerte Einleitung geschrieben. Dafür bin ich der ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiterin der Gedenkstätte Sachsenhausen, mit der zusammen ich u. a. das Museum zur Geschichte des sowjetischen Speziallagers errichten und mit einer Dauerausstellung einrichten durfte, sehr dankbar. Der Förderverein der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen hat die Publikation finanziert und sein Vorsitzender Professor Dr. Jürgen Kocka ein Vorwort beigesteuert. Allen Mitgliedern unseres Fördervereins, der seit seiner Gründung ein wichtiger Unterstützer und kluger Ratgeber der Gedenkstätte ist, danke ich ebenso ganz herzlich. Die Publikation ist unter der ISBN-Nummer 978-3-86331-357-9 im Jahre 2017 in Berlin im „Hausverlag“ der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten bei Metropol erschienen. Dessen Verleger Friedrich Veitl und seine Mitarbeiterin Nicole Warmbold unterstützen die Gedenkstätte Sachsenhausen seit vielen Jahren tatkräftig und großzügig.
Die Publikation kann entweder über den Buchhandel oder aber im Buchladen der Gedenkstätte erworben werden. Seinen Mitgliedern bietet der Förderverein der Gedenkstätte die Festschrift zu einem Vorzugspreis an. Ggf. wenden Sie sich bitte direkt an den Förderverein der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen, Alle Adressen und Telefonnummern finden Sie im Internet