Evaluation des Konzepts „‚Geschichte vor Ort. Erinnerungskultur im Land Brandenburg für die Zeit von 1933 bis 1990“, 36. Sitzung des Ausschusses für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landtages Brandenburg am 23. Mai 2018

  1. Sitzung des Ausschusses für Wissenschaft, Forschung und Kultur

Am 23. Mai 2018, 13 Uhr

Evaluation des Konzepts „Geschichte vor Ort. Erinnerungskultur im Land Brandenburg für die Zeit von 1933 bis 1990“

 

Prof. Dr. Günter Morsch

 

Sehr geehrte Frau Vorsitzende von Halem

sehr geehrte Frau Ministerin Dr. Münch,

sehr geehrte Landtagsabgeordnete,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

ganz herzlich möchte ich mich zunächst dafür bedanken, dass Sie der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten erneut die Möglichkeit geben, im Rahmen ihrer Ausschusssitzung zur Evaluation des Konzepts der Landesregierung „Geschichte vor Ort. Erinnerungskultur im Land Brandenburg für die Zeit von 1933 bis 1990“ Stellung nehmen zu dürfen.

Lassen Sie mich zunächst betonen, dass die Stiftung und ihre Einrichtungen in Brandenburg/Havel  mit den Gedenkstätten zur Geschichte der NS-Krankenmorde sowie zur Geschichte der Strafanstalt Brandenburg-Görden im Nationalsozialismus sowie in der DDR, mit der Gedenk- und Begegnungsstätte Potsdam-Leistikowstraße, der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück sowie der Gedenkstätte und dem Museum Sachsenhausen inklusive ihrer Außenstelle im Belower Wald stets in der Erarbeitung dieses Berichts einbezogen war. In einer ausführlichen  Stellungnahme haben wir uns bereits am 16. August vorigen Jahres mit der uns zugesandten Evaluation befasst. Zu einem überwiegenden Teil wurde unsere Stellungnahmen bei der Überarbeitung des Berichts berücksichtigt.

 

Insoweit wird es Sie nicht verwundern, dass ich im Rahmen dieser Anhörung nur vergleichsweise wenige Kommentare, Ergänzungen bzw. Anregungen geben kann.

  1. Grundsätzlich belegt die Evaluation die Sinnhaftigkeit eines solchen, sehr verdienstvollen Konzepts der Landesregierung. Soweit wir das beurteilen können, schließt sich die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten der Bewertung der Studie an, wie sie im ersten Absatz des Fazits zusammengefasst ist. Aus unserer grundsätzlich positiven Bewertung ergibt sich darüber hinaus der Wunsch, die Evaluation des Konzepts in regelmäßigen Abständen fortzuschreiben und im Rahmen von Stellungnahmen und Anhörungen einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen. Leider ist die dazu vom Kulturministerium organisierte Veranstaltung zur Vorstellung der Studie anscheinend auf relativ wenig Resonanz und Interesse gestoßen. Vielleicht ändert sich das, wenn Landesregierung, ZZF und die Gedenkstättenstiftung eine öffentliche Präsentation gemeinsam vorbereiten und veranstalten. Gegebenenfalls käme trotz der leider bisher geringen Resonanz auch eine erneute Präsentation in anderen Kontexten in Betracht. Das wäre unbedingt zu wünschen, denn die Inhalte haben es verdient.
  2. Ich rege an, dass in einem Folgebericht in einem einleitenden Teil grundsätzliche Fragen der Fortentwicklung der Erinnerungskultur diskutiert werden. Dann wäre es auch möglich aktuelle politische Entwicklungen, die sich auf die Erinnerungskultur direkt oder indirekt auswirken gerade im Hinblick auf eine Beratung der Landesregierung zu thematisieren. Dann könnten z. B. die vor allem im Süden Brandenburgs, etwa in Cottbus, aufgetretenen äußert beunruhigenden Entwicklungen dahingehend diskutiert werden, inwieweit Gedenkstätten und Museen aktiv durch ihre Bildungspolitik stärker als bisher zur Bekämpfung rechtsextremistischer, antisemitischer, rassistischer und fremden- sowie Demokratie-feindlicher Bewegungen beitragen können.
  3. Ein solch eher grundsätzlicher und theoretischer Einleitungsteil macht gerade auch im Hinblick auf die in der Studie zurecht geforderte Transparenz geschichtspolitischer Entscheidungen und Konzepte Sinn. Sie sind implizit ohnehin in die Darstellung eingegangen. Dann kann z. B. auch über die in Kapitel 2.2.3. zu den Orten mit mehrfacher Vergangenheit genannte sogenannte Faulenbach-Formel, wonach die eine Diktatur durch die andere weder relativiert noch bagatellisiert werden darf, auf dem Hintergrund der Fortentwicklungen nachgedacht werden. Diese „Formel“ war sicherlich in den vergangenen Jahren von großer grundsätzlicher Bedeutung. Es sollte angesichts aktueller Entwicklungen darüber diskutiert werden, wie sie fortgeschrieben werden kann. Das aus meiner Sicht weitgehende Versagen historisch-politischer Bildung in vergleichbaren sächsischen Einrichtungen, die ihre zumeist an einem sehr einfachen, geradezu platten Totalitarismusmodell orientierte Geschichtspolitik durch die Faulenbach-Formel einer kritischen Diskussion entzogen haben, macht Veränderungen dringend erforderlich. Die stärkere Herausstellung und Beachtung der großen und vielfältigen Unterschiede des NS-Terrors gegenüber dem DDR-Unrecht ist geeignet, platte Opferanalogien zu vermeiden und damit eine eher selbstkritische und kontextualisierende Aufarbeitung der Geschichte der beiden Diktaturen zu akzentuieren. Dazu zählt auch, dass endlich die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschungen zur Funktion und zur Rolle der sowjetischen Speziallager sowie der frühen Verfolgungsmaßnahmen in der SBZ in Politik und Öffentlichkeit wahrgenommen werden, um die häufig vorherrschenden vereinfachten Bilder sogenannten roten Terrors zu differenzieren.
  4. Nach wie vor halten wir die Einrichtung einer Stiftungsprofessur zur Diktaturaufbereitung bestenfalls für eine nachrangige Lösung. Dass sich die Landesregierung bei der Bundesregierung für ein spezifisches Forschungsprogramm zur NS-Geschichte einsetzen will, lesen wir gerne, aber wir wissen auch um die Erfolgsaussichten (Im Koalitionsabkommen steht nichts davon). Besser wäre es aus unserer Sicht – und ich spreche dabei für die allermeisten Gedenkstätten – das für die Professur erforderliche Geld in eine eigene brandenburgischen Forschungsförderung zu investieren. Dann könnte es vielleicht gelingen, dass die großen völlig unverständlichen und unzeitgemäßen Forschungslücken z. B. zur Geschichte der Machtergreifung und des frühen Terrors in den Städten und Dörfern Brandenburgs endlich geschlossen werden. Für die Aufarbeitung der Geschichte der SBZ/DDR dagegen gibt es dankenswerterweise die SED-Aufarbeitungsstiftung. Weshalb eine Stiftungsprofessur zur (übergreifenden) Diktaturaufarbeitung eingerichtet werden soll, erschließt sich uns daher auch nicht.
  5. Aus meiner Sicht gilt es die zwischen Brandenburg und Berlin länderübergreifenden Kooperationen viel stärker als bisher auszubauen. Der zurecht als große positive Ausnahme erwähnte Arbeitskreis der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten tritt zumeist ohne Beteiligung der zuständigen Brandenburger Verwaltungen zusammen. Die Parallbehörden zu den anwesenden Einrichtungen der Berliner Landeszentrale für politische Bildung, des Senators für Bildung sowie der Kultur sind trotz Einladungen zumeist nicht vertreten. Das ist sehr schade und wirkt zumal auf dem Hintergrund der Geschichte beider Länder völlig unverständlich. Bekanntlich gab es vor allem auch vor 1945 einen Provinziallandtag von Brandenburg, der in Berlin tagte, einen gemeinsamen Oberpräsidenten, einen gemeinsamen Polizeipräsidenten sowie einheitliche Berlin und Brandenburg umgreifende Organisationen der Parteien, der Gewerkschaften und der Verbände. Dieses anscheinend auch in der Kulturpolitik offenbar immer mehr um sich greifende gegenseitige Desinteresse verhindert die ansonsten immer wieder beschworenen positiven Auswirkungen von Synergien. So organisierte Berlin zum 80. Jahrestag der Machtergreifung in ganz Berlin eine großartige und vielfältige, tief in die Bevölkerung hinein reichende Kampagne unter dem Namen „ Zerstörte Vielfalt“. Brandenburg nahm das Kooperationsangebot nicht an. Eine der wenigen großen Aktionen zum Jahrestag der Machtergreifung war die Erarbeitung einer Wanderausstellung zum Thema „Frühe Konzentrationslager“ der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen. Seit 2013 wandert diese Ausstellung in zahlreiche Städte und Gemeinden in Brandenburg und belegt das große Interesse, das auch in unserem Bundesland an diesem teilweise vergessenen Thema des frühen NS-Terrors existiert. Es wäre zu wünschen, dass es 2019 aus Anlass des 80. Jahrestages des Kriegsbeginns zu einer solchen koordinierten Aktion käme, wie sie beispielhaft mit dem Programm „zerstörte Vielfalt“ in Berlin stattfand.
  6. Die Evaluation spricht sich auf S. 5 dafür aus, die Aufgaben und Strukturen der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten neu zu überdenken. Dem wollen wir uns nicht verschließen. Leider jedoch fehlt in den entsprechen Passagen des Berichts der Teil unserer Stellungnahme, in der wir darauf hinweisen, dass dabei die inhaltliche Autonomie der Stiftung nicht nur bewahrt, sondern eher gestärkt werden muss. Vergangene aber auch gegenwärtige Versuche sowohl von Regierungen als auch von Interessengruppen der Gedenkstättenstiftung bestimmte historische Narrative aufzudrängen, können nur abgewehrt werden, indem man die inhaltliche Autonomie der Einrichtungen stärkt. Außerdem halten wir es für unbedingt erforderlich, dass der wichtigste Ort der Schoah in Brandenburg außerhalb der beiden Hauptlager, ich spreche von Lieberose, auf Dauer als Einrichtung von der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten übernommen werden soll. Dies hat nach der Auswertung jahrelanger einschlägiger Erfahrungen der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland gefordert und der Stiftungsrat ist dankenswerterweise gegenwärtig geneigt, diesem Wunsch zu folgen. Die Überarbeitung der Einrichtungsverordnung der Stiftung sollte auch genutzt werden, um die Gedenk- und Begegnungsstätte Potsdam-Leistikowstraße ebenfalls als gleichberechtigte Einrichtung in die Gedenkstättenstiftung aufzunehmen. Der Evaluationsbericht würdigt zurecht den außerordentlich schwierigen, mit schlimmen, teilweise körperlichen aber vor allem auch polemischen Angriffen gegen die Mitarbeiter in Potsdam und den Stiftungsvorstand in Oranienburg einher gehenden Normalisierungs- und Erfolgsprozess. Daher sollte die Übergangsphase, in der die Gedenkstätte als unselbständige Stiftung von der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten nur treuhänderisch verwaltet wird, beendet und die Gedenk- und Begegnungsstätte vollständig integriert werden. Das entspricht auch der Rolle und Bedeutung dieses historischen Ortes, der anders als etwa die Untersuchungshaftanstalt Lindenstraße als zentrale Haftanstalt des Antispionagedienstes Smersch der Roten Armee für den gesamten Bereich der SBZ/DDR zuständig war.
  7. Lassen Sie mich als letztes noch einige Probleme und neuere Entwicklungen in den verschiedenen Einrichtungen der Gedenkstättenstiftung stärker akzentuieren bzw. ergänzen, als diese im Evaluationsbericht vorkommen.
    • Am 29. April diesen Jahres konnte nach langem aber erfolgreichen Ringen endlich ein eigenes Museum im ehemaligen Direktorenhaus der Strafanstalt Brandenburg-Görden eröffnet werden. Es widmet sich, anders als dies in polemischer Absicht immer wieder behauptet wird, sowohl der Geschichte des Justizterrors in der NS-Zeit als auch der viel längeren Phase des Justizunrechts in der DDR. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bei allen bedanken, die sich dafür in den vergangenen 25 Jahren eingesetzt haben. Ich darf allerdings auch nicht verschweigen, dass der Stellenplan der Stiftung nur eine Leitungsposition sowie zwei zusätzlich durch das Bildungsministerium finanzierte Gedenkstättenlehrer vorsieht. Das ist natürlich viel zu wenig, bedenkt man, dass in Brandenburg nun inklusive der NS-Krankenmorde drei historische Verfolgungskomplexe an zwei unterschiedlichen Orten behandelt werden müssen.
    • Der außerordentliche Erfolg der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen, die zwischen 1992 und heute eine Steigerung der Besucherzahlen um rund 400 Prozent erfuhr, führt nicht nur, wie im Bericht erwähnt, zu erheblichen räumlichen und logistischen Problemen. Vor allem das pädagogische Personal reicht bei weitem nicht aus, um die Nachfrage in der nach Auschwitz und Dachau inzwischen drittgrößten internationalen KZ-Gedenkstätte auch nur annähernd zu befriedigen. Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli hat die Einführung von Pflichtbesuchen an KZ-Gedenkstätten gefordert. Wir würden uns freuen, wenn wir zumindest diejenigen, die überwiegend freiwillig kommen, pädagogisch gut und angemessen betreuen könnten. Eine weitere erfreuliche Entwicklung, die im Bericht aus zeitlichen Gründen noch nicht aufgenommen werden konnte, will ich Ihnen nicht verschweigen: Nach vielen, vielen Jahren konnten wir im Februar diesen Jahres endlich ein allen konservatorischen Anforderungen entsprechendes Depot einweihen.

Ganz zum Schluss möchte ich mich noch einmal ganz herzlich bei denen bedanken, die sich der nicht unaufwendigen Kärrnerarbeit unterzogen haben, um diesen aus vielen Aspekten, Darstellungen und Bewertungen bestehenden, sinnvollen und ertragreichen Evaluationsbericht anzufertigen.

 

25 Jahre Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Begrüssung der Gäste anlässlich des Festempfangs des Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg und der Stiftung Brandenburgische Gedenksätten am 18. April 2018 in der Staatskanzlei

Günter Morsch

25 JAHRE STIFTUNG BRANDENBURGISCHE GEDENKSTÄTTEN

 

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Woidke,

sehr geehrter Herr Landtagsvizepräsident Dombrowski,

Sehr geehrte Überlebende der Konzentrationslager des sowjetischen Speziallagers sowie der Gefängnisse

sehr geehrte Mitglieder der Landesregierung und des brandenburgischen Landtages,

sehr geehrte Mitglieder der drei Gremien der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten sowie der verschiedenen Opfer- und Interessenverbände

Exzellenzen, Vertreter ausländischer Staaten,

Sehr geehrte Frau Bering,

Lieber Herr Faulenbach,

lieber Herr Lutz,

lieber Herr Beattie

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

im Namen der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten möchte auch ich Sie zunächst ganz herzlich zu unserem Festakt aus Anlass unseres fünfundzwanzigsten Geburtstages begrüßen. Im Namen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung bedanke ich mich bei der Landesregierung, insbesondere bei Herrn Ministerpräsidenten Dr. Woidke, für die Ehre, die der Gedenkstättenstiftung mit diesem Festakt hier in der Staatskanzlei erwiesen wird.

 

Am 9. November 2010 fand im ehemaligen Erschießungsgraben des Konzentrationslagers Sachsenhausen die seit vielen Jahren regelmäßig stattfindende Gedenkveranstaltung für die Opfer einer Massenmordaktion an mindestens 33 polnischen Häftlingen statt. Mühselig und im Rollstuhl sitzend war der damals 95-jährige Sachsenhausen-Überlebende Karl Stenzel aus seinem Altersitz in Groß-Köris nach Sachsenhausen gekommen, um seiner polnischen Kameraden zu gedenken. Seine letzte Rede in der Gedenkstätte, für die er über Jahrzehnte als Generalsekretär des Internationalen Sachsenhausen-Komitees gekämpft und sich eingesetzt hatte, war für uns alle, die wir ihm zuhörten, bestürzend. „Wir, die ehemaligen KZ-Häftlinge, wir haben versagt, so sagte er fast flüsternd. „Wir haben geglaubt, die Welt würde aus unserer Erfahrung lernen, sie würde besser werden, keine Völkermorde mehr, kein Rassismus und Antisemitismus, kein Nationalismus,  kein Krieg mehr, so haben wir in unseren unterschiedlichen Erklärungen nach der Befreiung aus den Lagern gefordert. Doch was“, so fragte Karl Stenzel weiter, hat die Welt aus unseren Erfahrungen gemacht?“

Der ehemalige deutsche Kommunist, der in den neunziger Jahren ganz entscheidend an der Neugestaltung der brandenburgischen Gedenkstätten  konstruktiv mitgewirkt und sie voran getrieben hat, steht mit dieser Feststellung im Kreise auch seiner internationalen Kameradinnen und Kameraden nicht allein.  In dem 2009 von den Präsidenten der verschiedenen Häftlingskomitees, unter ihnen die im internationalen Beirat der Stiftung Brandenburgische Gedenkstäten vertretenen Präsidenten von Ravensbrück und Sachsenhausen, Dr. Annette Chalut und Pierre Gouffault, verfassten das, wie sie es nannten,  „Vermächtnis der Überlebenden“ und übergaben es in zahlreichen Veranstaltungen verschiedenen namhaften staatlichen Repräsentanten . Darin  heißt es in ganz ähnlicher Weise: „Nach unserer Befreiung schworen wir eine neue Welt des Friedens und der Freiheit aufzubauen. Wir haben uns engagiert, um eine Wiederkehr dieser unvergleichlichen Verbrechen zu verhindern. Zeitlebens haben wir Zeugnis abgelegt, zeitlebens waren wir darum bemüht, junge Menschen über unsere Erlebnisse und unsere Erfahrungen und deren Ursachen zu informieren. Gerade deshalb schmerzt und empört es uns sehr, heute feststellen zu müssen: Die Welt hat zu wenig aus unserer Geschichte gelernt.“

Einige von Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, mögen diese uns in tiefe Zweifel stürzende  Zitate der Zeitzeugen des Terrors und der Kriege als unpassend für den heutigen Anlass empfinden. Doch angesichts der gerade im Moment zunehmenden antisemitischen und rassistischen Übergriffe, der Wiederkehr nationalistischer Bewegungen, der zunehmenden Flut aggressiver, die Opfer der Diktaturen beleidigender Äußerungen,  angesichts der selbst im Deutschen Bundestag zu hörenden Stellungnahmen von anscheinend ohne jegliches kritisches historische Bewusstsein und jegliche  Sensibilität  rücksichtslos nach Einfluss und Macht strebenden rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen sowie angesichts des am Horizont drohenden Zerfalls der Europäischen Union und der Zunahme von Konflikten zwischen den europäischen Nachbarn müssen wir uns  gerade an einem solchen Tag, an dem wir auf die vergangenen Erfolge zurück blicken wollen, auch den neuen Herausforderungen der Gegenwart stellen. Dabei kommen wir nicht umhin, feststellen zu müssen:  Die wirkliche Probe auf die Festigkeit und Nachhaltigkeit der Erinnerungskultur in Deutschland und in Europa, sie scheint erst jetzt zu kommen!

Jetzt – da die ständigen Weckrufe und Mahnungen, die zumeist mit großer menschlicher  Wärme und Überzeugungskraft vorgetragenen Erlebnisse und Erfahrungen der Zeitzeugen weitgehend verstummt sind und zu verblassen scheinen.

Jetzt – da die allermeisten Nachbarn Deutschlands, die zweimal im Laufe des vorigen Jahrhunderts unter der aggressiven Kriegspolitik des Deutschen Reiches leiden mussten,  der vereinten Bundesrepublik des Grundgesetzes nicht zuletzt aufgrund ihrer offenen und breit entwickelten, fest in der Zivilgesellschaft verankerten, staatlich unterstützten neuen Erinnerungskultur vertrauen.

Jetzt – da die meisten Angehörigen der Opfer in ihrer Trauer einen mitfühlenden Widerhall und ein sympathetisches Verständnis bei vielen Menschen in Deutschland vorfinden und

Jetzt – da die meisten Verbände der verschiedenen Opfergruppen, die über Jahrzehnte  immer wieder an das Gewissen der Deutschen appellierten und gegen Verdrängungsprozesse ankämpften entweder sich aufzulösen beginnen oder aber angesichts ihrer begrenzten Kraft  den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf neue Herausforderungen legen müssen.

 

Ich bin allerdings fest davon überzeugt, sehr geehrte Anwesende, dass die vor 25 Jahren in der Einrichtungsverordnung der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten einschließlich ihrer 1997 und 2016 vorgenommenen Novellierungen festgeschriebenen Grundsätze eine nach wie vor sichere Grundlage und Basis bieten, um diesen neuen Herausforderungen stand zu halten und Antworten darauf zu finden. Welche sind dies?

  1. Im Zentrum der Erinnerungskultur in Brandenburg stehen die historischen, bzw. die authentischen Orte der Verbrechen. Sie zu erhalten und zu bewahren, sollte oberste Aufgabe bleiben, auch wenn das angesichts der zahlreichen baulichen Zeugnisse bedeutet, eine nicht geringe Finanzierung auf Dauer sicher zu stellen, damit sowohl die Denkmale aus der Zeit als auch die Denkmale an die Zeit auch künftigen Generationen erhalten bleiben.
  2. In den historischen Orten fokussiert sich die Erinnerung; sie geht von ihnen aus. Ihre Kraft darf nicht durch Verwaltungsreformen oder andere in Zeiten von Zentralisierungen und vermeintlich Synergien bündelnden Maßnahmen geschwächt, sondern muss  im Gegenteil weiter gestärkt werden.
  3. Gedenkstätten können nur als zeithistorische Museen mit besonderen humanitären und bildungspolitischen Aufgaben in einer stark von den neuen Medien bestimmten Gesellschaft Wirkung und Nachhaltigkeit erzielen und sich behaupten. Ihre feste Verankerung in der Wissenschaft, die Aufarbeitung und Ergänzung ihrer Sammlungen, die stets den sich ändernden Fragen an die Geschichte sich öffnenden Dauer-, Sonder- und Wechselausstellungen sowie Veröffentlichungen aller Art, aber vor allem auch eine offene, moderner Didaktik gegenüber aufgeschlossene, vor allem aber personell und finanziell besser als bisher ausgestatte pädagogische Arbeit, bleiben unverzichtbare fundamentale Aufgaben der Gedenkstätten.
  4. Die Gedenkstättenstiftungen müssen auch weiterhin in Deutschland, wo es auch auf absehbare Zeit keine starke etablierte und tradierte private Kulturförderung gibt, öffentlich rechtlich verfasst bleiben. Umso wichtiger ist es, dass Staat und Politik die inhaltliche Autonomie der Gedenkstätten und der Stiftung achten und bewahren. Gerade auf dem Hintergrund der in den neuen Bundesländern noch stark  nachwirkenden Erfahrungen des staatlich instrumentalisierten Antifaschismus muss den offenbar gegenwärtig  wachsenden Versuchungen widerstanden werden, auf die inhaltliche Ausrichtung der Gedenkstätten administrativ Einfluss zu nehmen oder gar sie zu bestimmen.
  5. Staatliche Verwaltungen, Parteien und Verbände sind aber aufgefordert, sich am möglichst pluralistischen Diskurs über Ziele und Inhalte zu beteiligen. Dabei müssen neue Wege gefunden werden, um auch in der Zukunft die Beteiligung einer internationalen Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft an der Fortentwicklung der Gedenkstätten sicher zu stellen. Denn in Below und in Brandenburg an der Havel, in der Potsdamer Leistikowstraße ebenso wie in Lieberose, in Ravensbrück ebenso wie in Sachsenhausen bündelt sich nicht allein deutsche, sondern europäische Vorkriegs- Kriegs- und Nachkriegsgeschichte.

 

Die heutige Festveranstaltung bietet der Stiftung auch eine gern genutzte  Gelegenheit, um unseren aufrichtigen Dank an alle die Stiftung in vielfältigen Formen helfenden, unterstützenden und tragenden Einrichtungen sowie Personen zum Ausdruck zu bringen. Lassen Sie mich im Namen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung daher zum Schluss meiner Ausführungen, Ihnen allen versichern, wie sehr wir die Unterstützung und Hilfe, die wir von vielen Seiten erhalten, schätzen und anerkennen. Vor fünf Jahren, aus Anlass des zwanzigsten Geburtstages unserer Stiftung, habe ich versucht, nahezu alle Institutionen, Organisationen und Personen namentlich zu nennen, denen wir diesen Dank schulden. Die dazu gemachten Ausführungen füllten mehr als zwei Seiten meines Manuskripts. Trotzdem bin ich an dieser gerne übernommenen Aufgabe gescheitert, wie spätere Beschwerden zeigten.  Daher bitte ich um Verständnis, wenn ich heute Ihnen allen ganz herzlich danken möchte, ohne erneut peinliche und unbeabsichtigte Versäumnisse zu riskieren. Der Dank kommt trotzdem von ganzem Herzen. Eine Ausnahme will ich trotzdem machen:  Mein letzter Satz  soll den ihre Haft überlebenden Opfern von Holocaust und KZ-Verbrechen, von Gefängnis- und Speziallager-Haft  gelten. Ihnen schulden wir vor allem deshalb Dank, weil sie trotz des ihnen angetanen Leids und Unrechts uns allen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ebenso wie den Leiterinnen und Leitern der Gedenkstätten sowie dem Vorstand und Direktor der Stiftung stets eine nicht zu ersetzende, moralische Stütze waren und sind.