„Das schönste Konzentrationslager Deutschlands“ (Lagerarchitekt Bernhard Kuiper) Eröffnung der Sonderausstellung in der KZ-Gedenkstätte Esterwegen

„DAS SCHÖNSTE KZ DEUTSCHLANDS“ (‚LAGERARCHITEKT‘ BERNHARD KUIPER)

VOM KZ ESTERWEGEN ZUM KZ SACHSENHAUSEN

Ausstellungseröffnung in der Gedenkstätte Esterwegen

Prof. Dr. Günter Morsch

 

 

 

Sehr geehrter Herr Landrat,

liebe Frau Dr. Kaltofen,

lieber Kollege Buck,

meine sehr geehrten Damen und Herren

Im Namen der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten sowie der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen darf auch ich Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen Ausstellungseröffnung in der Gedenkstätte Esterwegen begrüßen. Die Sonderausstellung, die wir in enger Kooperation mit der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen konzipiert und entwickelt haben, trägt den zugegebenermaßen etwas provozierenden Titel „‘Das schönste KZ Deutschlands‘. Vom KZ Esterwegen zum KZ Sachsenhausen“.  Diese von uns bewusst ausgewählte, auf den ersten Blick irritierende Beschreibung eines nationalsozialistischen Konzentrationslagers stammt aus der Feder von Bernhard Kuiper, der sich selbst als „Lagerarchitekt“ titulierte. Der aus Ostfriesland stammende, studierte und staatlich examinierte Ingenieur für Hoch- und Tiefbau beantragte Ende 1937 die Einrichtung eines selbständigen Architekturbüros in Papenburg. In seinem von ihm selbst verfassten ausführlichen Lebenslauf warb er für seinen Antrag damit, dass er in Sachsenhausen das, wie er wörtlich schrieb, „bis heute modernste, schönste und größte Lager dieser Art des Deutschen Reichs“ gebaut habe. Seine Karriere als KZ-Baumeister hatte Kuiper allerdings schon im August 1934 im emsländischen KZ Esterwegen begonnen. Von Theodor Eicke, dem Inspekteur der Konzentrationslager und Führer der Totenkopfwachverbände, war er beauftragt worden, das ursprünglich von der preußischen Polizei mitten im sumpfigen Moor gegründete frühe Konzentrationslager aus- und umzubauen sowie nach den Wünschen und Vorstellungen der SS zu verschönern. Als das KZ Esterwegen aufgelöst und an das Reichsjustizministerium für 750.000 RM verkauft wurde, transportierte die Konzentrationslager-SS die rund 900 KZ-Häftlinge im August und September 1936 in die Nähe der Reichshauptstadt Berlin.

Mitarbeiter der Gedenkstätte Sachsenhausen fanden nach der deutschen Einheit im Sonderarchiv Moskau eine einfache, linierte, 40 mal 25 Zentimeter große Kladde, wie sie auch als Schulheft zur damaligen Zeit nicht selten Verwendung fand. Auf dem Etikett der Umschlagsseite steht: Kommandantur des Konzentrationslagers Esterwegen. P I = SS = Führer. Angefangen:  April 1936. Beendet: 21. August 1939“. Es handelt sich um das Posteingangsbuch der Abteilung I (Kommandant) der Kommandantur des KZ Esterwegen. Der erste Eintrag des mit der Führung der Kladde beauftragten SS-Mannes datiert vom April 1936, dem Monat, in dem Karl Otto Koch seinen Vorgänger Hans Loritz als Kommandant des emsländischen Lagers ablöste. Erstaunen  vermag dagegen das Datum auszulösen, an dem das Posteingangsbuch laut Etikett beendet wurde. Denn 1939 war das Konzentrationslager Esterwegen bereits seit drei Jahren geschlossen und von der SS aufgegeben worden. Öffnet man aber das Posteingangsbuch, dann erschließt sich ein nicht unwichtiger Aspekt der Geschichte des KZ-Systems im „Dritten Reich“: Nach wenigen leeren, offenbar absichtlich frei gelassenen Seiten beginnt ein neuer, in der gleichen Handschrift und daher wohl vom selben SS-Mann verfasster Eintrag mit dem Datum vom September 1936 im KZ Sachsenhausen, das zum gleichen Zeitpunkt, über 400 Kilometer vom Hümmling entfernt, seit Juli 1936 bei der märkischen Kleinstadt Oranienburg, nur acht Kilometer vom Stadtrand der Reichshauptstadt Berlin entfernt,  von Häftlingen aus dem alles überdeckenden Kiefernwald herausgeschlagen wurde. Das umstandslos fortgeführte Posteingangsbuch der Kommandantur ist ein Belegstück für die damalige Auffassung der Konzentrationslager-SS, die die Gründung von Sachsenhausen als eine, relativ undramatische und keines großen Aufhebens werte, einfache „Verlegung“ des KZ Esterwegen in die märkische Heide begriff.

Anders als die betroffenen SS-Männer und  Behörden bewertet die Geschichtswissenschaft heute den Übergang vom KZ Esterwegen zum KZ Sachsenhausen, nämlich  als einen tiefen Einschnitt und Beginn einer neuen Phase der Entwicklung des Systems der Konzentrationslager in Deutschland. Manche Historiker meinen sogar, dass mit der Gründung und dem Aufbau von Sachsenhausen, dem „Konzentrationslager bei der Reichshauptstadt“, ein völlig neuer Lagertypus geschaffen wurde, der mit seinen Vorgängern, den sogenannten frühen Lagern, zu denen auch das KZ Esterwegen gezählt wird, nur wenig zu tun hatte. Die Ursachen dafür werden in den Zusammenhang mit der im Frühsommer 1934 erfolgten Gründung der “ Inspektion der Konzentrationslager beim Reichsführer SS“ gesehen. Theodor Eicke, der bis dahin das KZ Dachau als Kommandant geleitet hatte, wurde am 4. Juli 1934 zum „Inspekteur der Konzentrationslager und Führer der SS-Wachverbände (SS-Totenkopfverbände)“  von Himmler ernannt. Er  begann sogleich damit, viele Lager, wie z. B. das von der SA gegründete KZ Oranienburg, zu schließen. Andere, wie z. B. auch die Emslandlager Börgermoor und Neusustrum,  überließ die SS dem Reichsjustizministerium. Esterwegen dagegen wurde in das neue KZ-Imperium von Himmler und Eicke eingegliedert.

Noch aus dem KZ Lichtenburg, wo sich Eicke zwecks Übernahme  des dortigen Konzentrationslagers durch die SS im Juni 1934 aufhielt, schrieb er einen Brief an den für Personalfragen zuständigen Chef des SS-Amtes Curt Wittje:  „Am 1. Juli 1934 werde ich voraussichtlich meinen Auftrag in Lichtenburg beenden können und mich anschließend nach Papenburg begeben. Bis zu diesem Zeitpunkt muss das Lager einen verantwortlichen Kommandanten haben, da ich sonst an das Lager gebunden bin. Es wäre zweckmäßig, den Betreffenden vor diesem Zeitpunkt nach hier zu beordern, damit er von mir eingewiesen werden kann.“[1] Wenige Tage später ernannte Himmler den von Eicke protegierten, dem KZ-Inspekteur auch persönlich eng verbundenen und aus Dachau bestens bekannten Hans Loritz zum Kommandanten von Esterwegen. Trotzdem hielt  es Eicke für erforderlich, zeitgleich  persönlich ins Emsland anzureisen, um die alte SA-Truppe, die bisher das Lager geführt hatte , abzulösen und den Grundstock für den Aufbau eines eigenen SS-Wachverbandes mit dem Namen „Ostfriesland“ zu legen. Die Schulung und Abrichtung des Wachverbandes übertrugen Eicke und Loritz wenig später dem abgelösten Kommandanten des KZ Sachsenburg, Karl Otto Koch. Dieser vom Typus her seinen beiden Vorgesetzten sehr ähnliche SS-Führer wuchs nach und nach in die entscheidende Rolle bei der weiteren  Entwicklung des Konzentrationslagers im Hümmling hinein.

Weitere Veränderungen der Organisation des Konzentrationslagers Esterwegen folgten. Damit war der erste Schritt zur Umstrukturierung des KZ-Systems erfolgreich getan: Himmler war es gelungen, alle Konzentrationslager in seine Hand zu bekommen, indem er anderen konkurrierenden NS-Organisationen und Dienststellen die Zuständigkeit für diese Instrumente des Terrors entwand und die verbliebenen Lager entweder überwiegend schloss oder straff unter der Leitung des ihm persönlich verantwortlichen KZ-Inspekteurs zusammenfasste. Neben Dachau, Lichtenburg, Sachsenburg und Oranienburg-Columbia schien Esterwegen als dynamisch wachsendes und nach großen Plänen prachtvoll auszubauendes Konzentrationslager sich etabliert zu haben.

Die Einstellung des aus Ostfriesland stammenden Architekten Bernhard Kuiper im August 1934 ist ein weiterer Beleg dafür, dass die KZ-Inspektion mit Esterwegen  ambitionierte Ziele verfolgte und zum damaligen Zeitpunkt noch keinesfalls an eine Aufgabe des KZ oder an eine Übergabe des Lagers an andere Nutzer dachte. Der 27 Jahre alte Architekt hatte an der Höheren Lehranstalt für Hoch- und Tiefbau in Eckernförde studiert und danach kurzzeitig als Hilfsarchitekt auch im Ausland gearbeitet. Für die Stadt Papenburg sowie den Freiwilligen Arbeitsdienst baute er anschließend eine Stadtrandsiedlung mit 40 Einfamilienhäusern. Gleich nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Januar 1933 trat er zunächst der SA und wenig später auch der NSDAP bei. In dieser Zeit betätigte er sich nach eigenen Angaben auch als Berichterstatter in nationalsozialistischen Zeitungen. Es mag sein, dass Eicke und Loritz durch die publizistische Tätigkeit Kuipers auf den jungen Architekten aufmerksam wurden. Unmittelbar nach seiner Einstellung in den Kommandanturstab des KZ Esterwegen in der Funktion eines „Lagerarchitekten“, wie Kuiper sich selbst nannte, trat er auch in die SS ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg verteidigte sich der bald schon in Leer in einem eigenen Büro selbständige Architek vor dem Entnazifizierungsausschuss damit, dass er zum Beitritt gezwungen worden sei, eine angesichts seines schnellen Eintritts in die SA und NSDAP ersichtlich dreiste Lüge, die ihm aber offenbar die ehrenamtlichen „Richter“ nur zu gerne glauben wollten.

Der ehrgeizige „Lagerarchitekt“ begann gleich nach seiner Anstellung damit, den Aus- und Umbau des Konzentrationslagers Esterwegen unter Ausnutzung der Zwangsarbeit der Häftlinge  voranzutreiben. Er orientierte sich dabei an dem ästhetischen Baustil seiner Heimat, an Reetgedeckten Hallenhäusern, an mit Ziegelsteinen und Holzfachwerk errichteten Giebelhäusern sowie an einer von Heidekraut, Wacholder und Findlingen geprägten Landschaftsgestaltung. Kleine Blumenfelder mit vereinzelten Wacholderbüschen und niedrigen Eiben, eingefasst von kniehohen Holzzäunen aus rohen Birken, Kletterrosen an mit Natursteinen gemauerten Treppenaufgängen, die zu den Holzbaracken der Kommandanturangehörigen führten, hier und da auf kleinen Feldherrnhügeln roh gezimmerte Bänke zum Verweilen und Schauen,  „verhübschten“ die Brutalität und den Terror des KZ-Alltags für die Täter. Fotos dieses ostfriesischen „KZ-Idylls“, auf das die SS enorm stolz gewesen sein muss, publizierte die an Kiosken frei verkäufliche SS-Zeitschrift „Das schwarze Korps“. Das größte und zugleich letzte Bauprojekt, das Kuiper im KZ Esterwegen verwirklichen konnte, war der Neubau eines Freibades für die Angehörigen der Kommandantur und der Wachmannschaften mit einem über zehn Meter hohem Sprungturm.

Während die SS das KZ Esterwegen noch aus- und umbauen ließ, besprachen Himmler und Hitler ihre Pläne zur Weiterentwicklung des KZ-Systems. Hatten deutschnationale Koalitionspartner der Hitler-Regierung und Teile der Nationalsozialisten darauf gehofft, dass nach der Ermordung der SA-Spitze und der damit einhergehenden Ausschaltung der „Revolutionsarmee“ der ungeregelte, willkürliche Terror sich zähmen und in das Prokrustesbett einer nach Regeln und Normen funktionierenden Diktatur einzwängen ließ, so sahen sie sich schnell getäuscht.  Hitler und Himmler verfolgten andere Pläne, nach denen das KZ-System nicht etwa abgeschafft, sondern im Gegenteil beträchtlich sowohl in seiner Größe als auch in seiner Funktion erweitert werden sollte.

Esterwegen dagegen wurde wahrscheinlich deshalb aufgegeben, weil die Wehrmacht Bedenken wegen seiner geographischen Lage dicht an der Grenze zu den Niederladen geäußert hatte. Tatsächlich lagen alle geplanten bzw. neuen Konzentrationslager an einer von Hamburg bis München liegenden Nord-Süd-Achse, die  geographisch fast mittig zwischen den Ost- und Westgrenzen des Deutschen Reiches hindurch verlief. Nur Esterwegen lag weitab von dieser Achse. Außerdem hoffte Himmler mit dem Verkauf des so „adrett“ durch Kuiper hergerichteten Lagers im Hümmling an den Reichsarbeitsdienst, das Geld für den gleichfalls von den Militärs als vordringlich angesehenen Aufbau eines großen KZ in der Nähe der „roten Reichshauptstadt“ aufbringen zu können. Demzufolge schrieb Himmler am 8. Februar 1937 an den preußischen Finanzminister folgenden Brief: „Wie der Inspekteur der Konzentrationslager und Führer der SS-Totenkopfverbände, SS-Gruppenführer Eicke, in meinem Auftrage bereits mündlich dort zum Vortrag gebracht hat, ist von mir in unmittelbaren Verhandlungen mit dem Reichsarbeitsführer, Staatssekretär Hierl, aus politischen Gründen die Räumung des der Geheimen Staatspolizei gehörenden, an der deutsch-holländischen Grenze innerhalb des militärischen Aufmarschgebiets gelegenen Konzentrationslagers Esterwegen und seine Überlassung an den Reichsarbeitsdienst angeordnet worden.“[2] Als Karl Otto Koch im April 1936 Hans Loritz als Kommandant des KZ Esterwegen ablöste, kam er wahrscheinlich bereits mit dem dezidierten Auftrag des KZ-Inspekteurs, die allmähliche Auflösung dieses Lagers und seinen Verkauf an den Reichsarbeitsdienst vorzubereiten. Warum der Reichsarbeitsführer Hierl dann doch den Kauf ablehnte und anstatt ihm der Reichsjustizminster Gürtner  Esterwegen übernahm, kann von mir hier aus Zeitgründen nicht mehr erläutert werden.

Die Anforderungen, die  Reichsführer SS Heinrich Himmler und KZ-Inspekteur Theodor Eicke an den nicht einmal dreißig Jahre alten SS-Untersturmführer Bernhard Kuiper stellten, waren außerordentlich anspruchsvoll. Er sollte nicht nur ein neues Lager, sondern, nur acht Kilometer von Berlin entfernt, erstmals einen ganzen KZ-Komplex erbauen, der wie eine kleine Stadt neben den Unterkünften und Bracken für die Konzentrationslager-SS sowie die Häftlinge, auch Eigenheimsiedlungen, Wirtschaftsbetriebe, Werkstätten und eine komplette Infrastruktur mit Wasserwerk, Trafohaus, Kanalisation und ausgebauten Straßen einschloss. Doch das war den Nationalsozialisten noch nicht genug. Sachsenhausen sollte darüber hinaus ein Modelllager, eine Art KZ-Zukunftsstadt, werden, nicht weniger als ein, wie Himmler formulierte, „vollkommen neues, jederzeit erweiterungsfähiges, modernes und neuzeitliches Konzentrationslager“. Im Aufbau und in der Architektur des neu gegründeten KZ bei der Reichshauptstadt sollte sich nach dem Willen der SS der, um mit dem deutschen Soziologen Max Weber zu sprechen, Idealtypus eines nationalsozialistischen Konzentrationslagers spiegeln. Ob damals schon Sachsenhausen als Sitz der zentralen Verwaltung des gesamten deutschen KZ-Terrors vorgesehen war, wissen wir nicht, aber es ist sehr wahrscheinlich. Der ostfriesische Architekt sollte diese anspruchsvolle Aufgabe bewältigen und er packte sie tatsächlich mit großem Ehrgeiz und spürbarem Eifer an. Nach den Opfern, die dieses Vorhaben unter den Häftlingen forderte, die seine auf dem Papier gezeichneten Pläne realisieren mussten, fragte er dabei nicht.

Die Moorlandschaft im Hümmling und der Kiefernwald am Lehnitzsee, das waren, bevor die Nationalsozialisten an die Macht kamen, idyllische Landschaften, zum Teil touristische Erholungsgebiete. Die deutsche Heide und der deutsche Wald, sie waren von den Schriftstellern und Künstlern der Romantik im beginnenden 19. Jahrhundert idealisiert und zu Sinnbildern deutscher Seele und deutscher Identität verklärt worden. Der, wie es heute noch heißt, „heilen Natur“ wurde die Kraft zugesprochen, die angeblich durch französische Zivilisation verdorbene, durch englische Industrialisierung zerstörte und, so formulierten es nicht nur radikale Antisemiten, durch „jüdischen Händlergeist“  vergiftete deutsche Seele wieder zu reinigen und zu sich selbst zurück zu führen.

Die Natur als reinigender Sehnsuchtsort fand spätestens Ende des 19. Jahrhunderts ihre Ergänzung in der Lagerbewegung, die der heilenden Reinheit der Natur die zu stiftende Gemeinschaft der Lagerinsassen hinzufügte. Die Jugendbewegung, die von den  so genannten „Wandervögeln“ bis hin zu den Jugendorganisationen der Sozialdemokraten und Gewerkschaften nahezu alle politischen und religiösen Gruppen umfasste, sah in den Lagern, mithilfe von Zelten oder schnell und provisorisch zusammengezimmerten Baracken in die freie Natur verpflanzt, gemeinschaftsstiftende, soziale Schichtunterschiede nivellierende Einrichtungen.  „Heile“, reinigende Natur und gemeinschaftsstiftendes Lagererlebnis verschmolzen miteinander. Gemeinschaftliche Arbeit der Lagerinsassen in freier Natur schließlich wurden allergrößte physische und psychische Erziehungseffekte zugeschrieben. Die positive Überhöhung der Lagerbewegung fand in der Weimarer Republik ihren stärksten Ausdruck in der allerorten und von fast allen politischen Richtungen unterstützten Einrichtung des Freiwilligen Arbeitsdienstes. Harte, gemeinschaftliche Arbeit , um Sümpfe trocken zu legen, Straßen zu schottern, Fahrradwege anzulegen, Seen zu entkrauten oder Kanäle zu ziehen, sollte das Millionenheer der Arbeitslosen vor sittlichem und körperlichem Verfall bewahren. Aus dem Freiwilligen Arbeitsdienst wurde schon vor 1933 die sogenannte Pflichtarbeit, der Arbeitslose sich kaum noch entziehen konnten. Auch die Pflichtarbeit war mehr als ein Beschäftigungsprogramm, auch sie verfolgte sozialhygienische Ziele. Von den Arbeitslagern der Pflichtarbeiter aber war es nur noch ein kleiner Schritt zur Verlagerung der bis dahin in leer stehenden Gefängnissen, Fabriken oder Burgen untergebrachten frühen Konzentrationslager in die weitläufigen Wälder und Moorlandschaften Deutschlands. Dort, entweder am Rande der Städte oder sogar weit weg von ihnen, verschmolzen die Ideologien von deutscher Seele in deutscher Natur, die  absurde Vorstellung von gemeinschaftsstiftenden Lagern  und der angeblichen erzieherischen Wirkung harter Arbeit mit den brutalen sozialhygienischen und eugenischen Gesellschaftsvorstellungen der Nationalsozialisten. Im Kern bestand dieses über den Kreis der Parteimitglieder weit hinausreichende, auch in wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen und an Universitätslehrstühlen verbreitete Idealmodell einer neu zu schaffenden Gesellschaft in der Übertragung angeblicher Naturgesetze auf die Menschen. Die angestrebte deutsche Volks- und Leistungsgemeinschaft verglich man mit einem Garten, wo das Wachstum der nützlichen Pflanzen dadurch gefördert werde, indem man das Unkraut jätete und trennte aber die Schädlinge erbarmungslos ausrottete. Konzentrationslager waren in der Sichtweise der Nationalsozialisten solche Einrichtungen, bei denen die wenigen „Verhetzten“ und „Irregeleiteten“,  durch harte Arbeit umerzogen, die große Masse der Menschen auf Dauer isoliert und schließlich die in der Sprache des Unmenschen als Parasiten bezeichneten Häftlinge am Ende ermordet werden sollten. Das neue und „moderne“ Konzentrationslager Sachsenhausen entsprach diesen Vorstellungen der Nationalsozialisten und war auch in diesem Sinne ein Modell- und Ideallager.

Als einer der ersten SS-Führer des Konzentrationslagers Esterwegen verließ der Lagerarchitekt seinen bisherigen Arbeitsort. Bernhard Kuiper, der schon in Esterwegen mit den Entwurfsarbeiten für das neue KZ begonnen haben soll, wurde am 15. Juni 1936 in das Berliner Lager Columbia versetzt, wo er fieberhaft an den Plänen und Zeichnungen für Sachsenhausen arbeitete. Zum Dank für seinen besonderen Arbeitseinsatz beförderte ihn  Eicke zum SS-Untersturmführer. Kuipers Auftrag ging weit über seine bisherige Tätigkeit hinaus. In seinem Brief an den preußischen Finanzminister schreibt Himmler dazu: „Ich bitte, bei Prüfung meines vorstehenden Antrages auch die von allen Beteiligten in anstrengender, mühe- und aufopferungsvollster Tages- und Nachtarbeit unter besonders schwierigen Verhältnissen und Gefahrenmomenten in erstaunlich kurzer Zeit hier vollbrachte Leistung zu würdigen und darüber hinaus auch anzuerkennen, dass anstelle des s. Zt. In der ersten Revolutionszeit im Moorgebiet an der Nordwestgrenze des Reiches gebauten einfachen Lagers Esterwegen jetzt hier in der nächsten Nähe der Reichshauptstadt ein vollkommen neues, jederzeit erweiterungsfähiges, modernes und neuzeitliches Konzentrationslager mit verhältnismäßig geringen Mitteln neugeschaffen worden ist, das allen Anforderungen und Erfordernissen nach jeder Richtung hin gewachsen ist und sowohl in Friedenszeiten sowie für den Mob.-Fall die Sicherung des Reiches gegen Staatsfeinde und Staatsschädlinge in vollem Umfang jederzeit gewährleistet.“ [3]

Wir können nicht wissen, ob sich der Lagerarchitekt von Esterwegen durch diese Formulierung Himmlers, es habe sich bei dem ostfriesischen KZ um ein „einfaches Lager“ gehandelt, angesichts seiner umfangreichen Verschönerungs- und Ausbauanstrengungen düpiert fühlte. Aber auch ihm musste sehr schnell bewusst sein, dass der Bau von Sachsenhausen einen deutlichen Sprung in der Entwicklung des KZ-Systems bedeutete. Die kleine KZ-Stadt sollte bis zu 10.000 Häftlinge und 1.500 SS-Männer aufnehmen können, das Vielfache der Aufnahmekapazitäten bisheriger Konzentrationslager.

Der ostfriesische Architekt versuchte, mit vier Entwurfszeichnungen diesem Anspruch zu genügen. Alle waren auf ihre Weise darum bemüht,  dem von der SS gewünschten neuen „Idealtypus“, zu genügen. Am 5. September 1936, als nicht einmal der Kiefernwald vollständig gerodet war, der das ganze riesige Lagergelände bedeckte, wurde die, wie es offiziell hieß, „Verlegung des Konzentrationslagers Esterwegen nach Sachsenhausen bei Oranienburg bei Berlin“ abgeschlossen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt befand sich Kuiper vor Ort und übernahm als Bauleiter die Gesamtverantwortung für das auf mehr als 2 Millionen Reichsmark geschätzte, über etwa 80 Hektar Gelände verteilte, riesige Neubauprojekt. Man kann daher verstehen, dass der SS-Mann, der das eingangs erwähnte Posteingangsbuch der Abteilung I führte, keinen Anlass sah, eine neue Kladde anzulegen. Sein letzter Eintrag in Esterwegen verzeichnet am 5. Juli 1936 den Eingang eines Briefes der KZ-Inspektion mit dem bezeichnenden Inhalt „Kommandierung genehmigt“. Am 30. September, drei Monate später, beginnen die Eintragungen erneut, jetzt aus dem KZ Sachsenhausen.

KZ-Baumeister Bernhard Kuiper versuchte, diesen nationalsozialistischen Idealtypus des zugleich „modernen“ und naturnahen  Konzentrationslagers in seine architektonischen Entwürfe sowie in der Gestaltung von Räumen und Gebäuden zu realisieren. Schon in Esterwegen bildete er mithilfe von Findlingen sogenannte Feldherrenhügel aus, umgab die Baracken der Konzentrationslager-SS mit Blumenbeeten und begrenzte die mit Kies und Schotter belegten Wege durch kniehohe, aus rohen, geschwungenen Ästen gefertigte Zäune.

In dem von ihm von Anfang an geplanten und entworfenen neuen Konzentrationslager bei der Reichshauptstadt konnte der ostfriesische KZ-Baumeister sein ganzes landschaftsgestalterisches und architektonisches Talent entfalten. Blumenbeete umgaben jetzt auch Häftlingsbaracken und säumten in sanft geschwungenen Wellen die immer säuberlich geharkte neutrale Zone, wo jeder Häftling, der sie absichtlich oder unabsichtlich betrat, sofort und ohne Anruf erschossen wurde. Die drei Ecktürme des Häftlingslagerdreiecks glichen mit ihren den Postenumlauf überkragenden Walmdächern eher englischen Gartenhäusern. Den Turm A schließlich, architektonisches Zentrum einer Geometrie des totalen Terrors, bildete der ostfriesische SS-Mann in einer, niedersächsischen Hallenhäusern vergleichbaren Fachwerkarchitektur aus, in die verschiedene Runenzeichen eingearbeitet waren. Im Kommandanturbereich, der dem Häftlingslager vorgelagert war, übertraf er sich dann selbst: die Baracken des Kommandanturstabes, die unter mächtigen Kiefern aufgereiht nebeneinander standen, waren umsäumt von Blumen. Geschwungene Kieswege, begrenzt von kniehohen Zäunen, leiteten die SS-Männer von einer Baracke zur anderen. Vor dem Büro des Kommandanten befand sich ein kleiner Teich mit Springbrunnen, von wo ein mit Blumenkübeln geschmücktes Holzgeländer zum Eingang führte. Unmittelbar daneben befand sich ein aus rohen Baumstämmen gezimmertes Blockhaus, das mit einem kleinen Zoo verbunden war, in dem mehrere Vögel, ein Affe und andere Tiere untergebracht waren.  In der Tat: es war ein schönes KZ, sieht man von den Häftlingen ab, die auf den Kieswegen geschlagen wurden, zwischen den Blumen verhungerten oder am Galgen neben den Blumenkübeln starben.

 

Sachsenhausen war nicht nur ein Modell- und Ideallager, sondern auch ein Vorführ- und Propagandalager. Von Beginn seiner Einrichtung an bis weit in den Krieg hinein bewunderten nicht wenige deutsche und ausländische Besucher deutsche Ordnung und Sauberkeit, die selbst im KZ zu herrschen schienen. Die Toten der Nacht, die morgens zum Appell mitgenommen werden mussten und die in der sich unendlich hinziehenden Zeit des Abzählrituals hinter den angetretenen Reihen der Häftlinge lagen, wollten die meisten Besucher nicht sehen. Natürlich ging es bei den Verschönerungsmaßnahmen Kuipers nicht nur um das Propagandabild nach Außen, sondern auch um die psychologische Wirkung auf die Männer, die täglich die Häftlinge misshandelten oder sogar ermordeten. Die spießige Kleingarten-ähnliche Idylle, die Kuiper für seine SS-Kameraden schuf, sie entsprach durchaus dem Selbstbild der Männer unter dem Totenkopf. So wie sie sich nicht selten vor ihren Baracken im Kommandanturbereich für das SS-Rasse- und Siedlungshauptamt fotografieren ließen, mit glänzenden schwarzen Stiefeln, in gepflegten schwarzen Ausgehuniformen und in Herrenmenschenpose hoch aufgerichtet, ebenso brauchten sie für Ihr Selbstbild die Blümchen unter dem Galgen, um sich von den angeblichen Untermenschen, die sie täglich drangsalierten und bewachten, zu unterscheiden und abzugrenzen.

Kuiper selbst, der Sachsenhausen 1937 mit einem sehr mäßigen Zeugnis von KZ-Inspekteur Eicke verließ, kam 1939 in Dienste der SS zurück und begann erneut damit, im gesamten besetzten Europa Lager zu bauen. 1944 schließlich leitete er ein aus KZ-Häftlingen bestehendes Eisenbahnkommando, das im Januar 1945 dem KZ Sachsenhausen unterstellt wurde. Auf diese Weise kehrte der inzwischen zum SS-Obersturmführer beförderte Architekt als Leiter eines Außenkommandos  wieder in den Dienst des Kommandanten von Sachsenhausen zurück. Sieht man von seiner Internierungshaft im ehemaligen KZ Neuengamme ab, so scheint jedoch seine Funktion im System der Konzentrationslager seine weitere Karriere als freier Architekt nicht behindert zu haben.

Am Schluss meiner Begrüßungs- und Einführungsrede ist es mir wie immer eine gerne zu erfüllende Pflicht, allen denjenigen zu danken, die an der Erarbeitung unserer Sonderausstellung beteiligt waren. An erster Stelle will ich den Kurator der Ausstellung Ralph Gabriel nennen, der leider heute nicht teilnehmen kann und sich entschuldigen lässt. Die Gestaltung der Ausstellung wurde konzipiert und realisiert vom Büro Beier & Wellach Projekte, mit dem es eine Freude war, zusammenarbeiten zu dürfen. Eine große Freude war es für uns auch, mit Mitarbeitern der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen, insbesondere mit Frau Dr. Kaltofen, die Ausstellung von der Idee bis zur Realisierung gemeinsam zu planen und zu realisieren. Wir danken ganz herzlich für eine wunderbare Kooperation, zu deren Gelingen wesentlich auch die finanzielle Unterstützung des Landkreises beigetragen hat. Ich freue mich, dass ich diesen Dank Ihnen persönlich, sehr geehrter Herr Landrat, übermitteln kann.

[1] Theodor Eicke vom 21. Juni 1934, abgedruckt bei: J. Tuchel, die Inspektion, S. 28f.

[2] Der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei v. 8. Februar 1937, abgedruckt in: G. Morsch, Sachsenhausen, S. 113.

[3] Ebenda, S. 119.

Rede: Deutsche Gewerkschafter in Konzentrationslagern 1933-1945, 12. Mai 2014, Wanderausstellung Trier

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Rede: Terror in der Provonz Brandenburg 1933/34, 20. Janaur 2015, Wanderausstellung Landtag Brandenburg

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Rede: Endzeitverbrechen. Die Opfer der Schlussphase im KZ Sachsenhausen, 27. Januar 2015

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