ERÖFFNUNG DER WANDERAUSSTELLUNG
„VON DER SACHSENBURG NACH SACHSENHAUSEN“
Am 31. MÄRZ 2011
IM ERICH-MARIA-REMARQUE-FRIEDENSZENTRUM OSNABRÜCK
GÜNTER MORSCH
Sehr geehrter Frau Bürgermeisterin Jabs-Kiesler.
Lieber Herr Dr. ‚Schneider
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
In den siebziger Jahren berichtete der kommunistische Zeitzeuge Willi
Rattai, dass Häftlinge des KZ Sachsenhausen auf Befehl eines SS-Unterführers zum 40 Geburtstag des damaligen KZ-Kommandanten Karl Otto Koch am 2. August 1937 zwei Fotoalben als Geschenke anfertigen mussten. Eines der beiden Fotoalben fand man wahrscheinlich im Sommer 1945 im Ludwigsburger Wohnhaus der Familie Koch. Es war auf der Innenseite des Einbandes mit dem handschriftlichen Vermerk „Privat No 1“ gekennzeichnet und enthält Fotographien aus den Jahren 1917 bis zur Hochzeit der Eheleute Karl und Ilse Koch Ende Mai 1937.
Das zweite Fotoalbum dagegen fanden Mitarbeiter der Gedenkstätte Sachsenhausen erst rund sechzig Jahre später in den Archiven des Nationalen Sicherheitsdienstes der Russischen Föderation, dem so genannten FSB. In ihnen lagern auch die Unterlagen der berüchtigten sowjetischen Geheimpolizei. Dort gehört es zu den vielen Dokumentenordnern, Vernehmungsprotokollen, Zeitungsausschnitten, Statistiken, Gutachten, Büchern, Fotos und anderen Materialien, die die sowjetische Militärstaatsanwaltschaft gleich nach der Befreiung der überlebenden Häftlinge des Konzentrationslagers bei der Reichshauptstadt zusammen trug, um in Berlin einen Schauprozess gegen einen Großteil der letzten SS-Führer des KZ-Kommandanturstabes, unter ihnen auch der Kommandant Anton Kaindl, durchzuführen.
Das schon äußerlich als privat gekennzeichnete, bekannte und in Teilen bereits publizierte Fotoalbum enthält zahlreiche Aufnahmen vom Familienleben des KZ-Kommandanten Koch, von seiner Frau, seinen Kindern, seinem Wohnhaus, seinen Freizeitbeschäftigungen, seinen Reisen. Es zeigt die Seiten des Privatlebens der KZ-Täter, die ihnen, wie ein anderer KZ-Kommandant einmal unter seine Privatfotos schrieb, das Leben inmitten von Terror und Tod so „angenehm“ machten. Dagegen enthält das von uns gefundene zweite Album fast ausschließlich Bilder, die die tägliche Arbeitswelt des KZ-Kommandanten im Zeitraum von Mai 1933 bis Juni 1937 dokumentieren. Die Bilder aus den Bereichen „Privat“ und „Dienst“ wurden somit wie völlig getrennte unterschiedliche Lebenswelten in zwei separaten Fotoalben abgelegt.
Das in der Ausstellung in Gänze als Reproduktion präsentierte Dienstalbum Karl Otto Kochs enthält 456 Fotos. Mehr als 350 davon sind Aufnahmen aus fünf Konzentrationslagern. Die übrigen Fotos zeigen Dienstausflüge und Besichtungsreisen hoher Repräsentanten der SS, darunter nicht nur der Kommandanten der verschiedenen Lager, sondern auch ihres oberstes Chefs, dem Inspekteur der Konzentrationslager und Führers der SS-Totenkopfverbände Theodor Eicke . Die weitaus meisten, mehr als 150 Aufnahmen, zeigen den Aufbau des, wie Himmler es nannte, „modernen und vollkommen neuzeitlichen“ Modellagers Sachsenhausen.
Meiner Kenntnis nach ist das Dienstalbum Karl Otto Kochs das einzige, das uns in dieser ganzen Fülle und Geschlossenheit überliefert ist. Wer war der Urheber dieser wohl einzigartigen Bildquelle und was waren mutmaßlich seine Motive, den aus heutiger Sicht keinesfalls ehrenvollen Dienstalltag der Konzentrationslager-SS so ausführlich zu dokumentieren?
In der Literatur wird Karl Otto Koch gelegentlich als einer der schlimmsten aller Lagerkommandanten bezeichnet. Ob allerdings seine brutalen, teilweise sadistischen Exzesstaten und seine private Bereicherungs- und Verschwendungssucht die anderer KZ-Kommandanten wirklich übertrafen, scheint mir eher zweifelhaft. Dass Koch vor allem als Kommandant von Buchenwald bis heute bekannt und berüchtigt ist, obwohl er vor wie nach seiner Dienstzeit auf dem Ettersberg auch andere Lager, wie z. B. Esterwegen und Sachsenhausen sowie Majdanek, leitete, liegt wohl vor allem an seinem ungewöhnlichen Schicksal: SS-Standartenführer Koch wurde nämlich schon 1943/44 von einem SS-Gericht wegen zahlreicher Unterschlagungs- und Tötungsdelikte, die er im KZ Buchenwald begangen hatte, verurteilt und kurz vor der Befreiung der Häftlinge durch die amerikanische Armee am Ort seiner ihm zur Last gelegten Untaten von der SS erschossen.
Der bereits 1931 in die SS und in die NSDAP eingetretene, lange Zeit eher kleine und schmächtige Mann gehört als Kommandant zum Typus der nach dem Inspekteur der Konzentrationslager benannten, so genannten „Eicke-Männer“. 1897 geboren, nahm der Beamtensohn und gelernte Kaufmann am Ersten Weltkrieg teil. Aus der englischen Kriegsgefangenschaft entlassen, fand er im bürgerlichen Leben während der Weimarer Republik keinen Tritt mehr; er wechselte häufig die Arbeitsstellen und lebte schließlich als Versicherungsagent von kleinen Provisionen. Bei den Nationalsozialisten, allen voran bei der sich als rassische Elite und Orden verstehenden SS, fand er den inneren Zusammenhalt, die richtige Weltanschauung und die beruflichen Karrierechancen, die ihm die Weimarer Demokratie nicht bieten konnte.
Schon bald nach der Machtergreifung 1933 betätigte sich Koch in der so genannten Hilfspolizei, die den Auftrag hatte, die politischen Gegner zu terrorisieren. Von dort führte ihn sein Weg direkt in die Konzentrationslager. 1934 ernannte ihn Theodor Eicke zum Kommandanten des nahe Chemnitz liegenden KZ Sachsenburg. Andere Stationen seiner Blitzkarriere, die den von Eicke als Organisationstalent geschätzten Koch in nur drei Jahren vom Untersturmführer vier Ränge höher bis zum Obersturmbannführer katapultierte, was im Militär etwa der Laufbahn vom Leutnant zum Oberstleutnant entsprach, waren Hohenstein, Dachau, Esterwegen, Berlin-Columbia und schließlich Sachsenhausen.
Am 1. April 1936 kehrte Koch, der 1934 die Wachtruppen im KZ Esterwegen befehligt hatte, als neuer Kommandant in das Emslandlager zurück. Zu dieser Zeit war bereits die Verlegung Esterwegens nach Oranienburg, in die Nähe der Reichshauptstadt, beschlossene Sache. Wie hoch die SS-Führung offenbar seine Fähigkeiten einschätzte, wird daran deutlich, dass er mit der schwierigen Aufgabe der logistischen Abwicklung des Umzuges und dem Aufbau des in vielen Aspekten völlig neuartigen, über 80 Hektar märkischer Heide und Kiefernwaldes sich ausdehnenden KZ-Komplexes betraut wurde, das am Rande der märkischen Kleinstadt Oranienburg, nur acht Kilometer vor den Toren der Reichshauptstadt lag. Einen Großteil seines Kommandanturstabes, so z. B. den Lagerführer Weiseborn und den Leiter der politischen Abteilung Kortenstedde, sowie die mehr als 500 SS-Männer des IV.-Totenkopfverbandes Ostfriesland unter dem Befehl von SS-Standartenführer Otto Reich nahm er nach Oranienburg mit.
Auch der Architekt des nach einer Geometrie des totalen Terrors entworfenen riesigen Lagerdreiecks, mit dem Wachturm A als architektonischem Zentrum eines den halbreisförmigen Appellplatz in vier konzentrischen Ringen umschließenden Barackenrings, hatte sich bereits beim Um- und Ausbau des KZ Esterwegen bewährt. Der aus Ostfriesland stammende Bernhard Kuiper hatte, bevor er „Lagerarchitekt“ wurde, wie er seinen Beruf nicht ohne Stolz selber bezeichnete, am Stadtrand von Papenburg 40 Siedlungshäuser errichtet. Der mit der Tochter eines friesischen Erbhofbauern verheiratete junge SS-Mann baute im heimatlichen Fachwerkstil, in einer seltsam verkitschten Mischung mit Elementen der Barackenarchitektur des Arbeitsdienstes und handwerklichen Holzbauten in einer sie umgebenden gestalteten Heidelandschaft. In Sachsenhausen, in diesem neuen riesigen Areal, konnte er einen Großteil seiner ganz persönlichen Ideen und Entwürfe einer idealtypischen KZ-Architektur weitgehend verwirklichen. Geschwungene Kiespfade durch kniehohe Knüpppelzäune begrenzt, führten zu kleinen von Blumenbeeten umgebenen Teichen, in deren Wasser Silberweiden ihre Zweige tauchten und wo sich ein kleiner Zoo mit Raubvögeln, einem Bären, einem Wolf und einem Lageraffen anschloss. Die von den Häftlingen stets von Unkraut völlig frei zu haltenden Pfade stießen schließlich auf die so genannte neutrale Zone, ein fein geharkter Sandstreifen, an dessen Rändern Primeln und Veilchen gepflanzt waren, dessen Betreten durch Häftlinge aber einen gezielten Schuss der Wachen ohne vorherigen Warnruf auslösten und der durch spanische Reiter und einen mit 300 Volt geladenen Stacheldrahtzaun begrenzt war. Man kann schon verstehen, warum Kuiper, der sich nach dem Krieg in der niedersächsischen Kleinstadt Leer als Architekt niederließ, Sachsenhausen als, wie er selbst einmal schrieb, „modernstes, schönstes und größtes Lager dieser Art im Deutsehen Reich“ anpries.
Lagerkommandant Koch blieb genau ein Jahr in Sachsenhausen. Zwischen zwei- und dreitausend Häftlinge stampften in dieser Zeit in wahrhaft mörderischem Tempo eine kleine KZ-Stadt aus dem märkischen Sand mit rund 100 Gebäuden, darunter Häftlingsbaracken und Kommandanturgebäude, Wachtürme, Wäschereien und Werkstätten, Küchen, Kantinen und Krankenreviere, Garagen und Lager, Viehställe und Akkumulatorenhäuser, ein Zellengefängnis, Bunker genannt, und ein Wasserwerk sowie zwei große Siedlungen von freistehenden Einfamilienhäusern für SS-Führer und –Unterführer.
Mit dem Bau von Sachsenhausen, das wird durch diese Aufzählung bereits deutlich, begann eine neue, wichtige Phase der Entwicklung des KZ-Systems. Wenige große Lager, relativ gleichmäßig über das Deutsche Reich verteilt, sollten an die Stelle der vielen kleinen Lager treten, die quasi in der Nachbarschaft bestanden. Dort sollten die Häftlinge nicht mehr nur noch vorübergehend, sondern auf längere Dauer interniert und terrorisiert werden. Der Ausbau des KZ-Systems, in dem in Vorbereitung auf den angestrebten Krieg präventiv große Gruppen nicht nur von politischen Gegnern, sondern auch von sozial, biologisch oder rassisch stigmatisierten Menschen aus der völkischen Leistungsgemeinschaft ausgeschlossen werden sollten, erreichte mit dem Bau von Sachsenhausen ein quantitativ und qualitativ neues Stadium. Das KZ bei der Reichshauptstadt löste Dachau als Modell- und Ausbildungslager der SS ab und wurde spätestens mit der bald der Gründung folgenden Verlegung der zentralen Verwaltung aller Konzentrationslager in den Bereich des SS-Truppenlagers von Sachsenhausen zum Dreh- und Angelpunkt der gesamten KZ-Welt mit 24 Haupt- und weit mehr als 1.000 Nebenlagern bis zum Ende des „Dritten Reiches“.
Koch schuf zweifellos als erster Kommandant in Oranienburg die Grundlagen dafür. In den Augen seiner Vorgesetzten, Himmler und Eicke, löste er offenbar seine ihm übertragenen Aufgaben so gut, dass sie ihn gleich darauf mit der Errichtung des zweiten großen Lagers beauftragten, des KZ Buchenwald. Zusammen mit einem Teil seines alten Kommandanturstabes sowie mehreren KZ-Häftlingen zog er im Hochsommer 1937 auf den Ettersberg um, wo er die gleiche Aufbauarbeit wie in Sachenhausen leistete. Doch Fotos, die die Ankunft der Häftlinge und der sie bewachenden SS-Leute aus Sachsenhausen auf dem Ettersberg am 15. Juli dokumentieren, sind nicht mehr in dem von uns gefundenen Dienstalbum Kochs enthalten, obwohl Kochs 40. Geburtstag erst am 3. August war. Diese durchaus existierenden Bilder, die durch die Gedenkstätte Buchenwald publiziert wurden, unterscheiden sich ohnehin von den vergleichbaren Aufnahmen aus Sachsenhausen durch ihre ins Auge fallende deutlich bessere fotographische Qualität. Im KZ Buchenwald jedenfalls scheint die Blitzkarriere des inzwischen zum SS-Standartenführer beförderten Eicke-Getreuen an ein Ende gekommen zu sein, zumindest stagnierte sie seitdem. 1941 begannen, ausgelöst auch durch persönliche Feindschaften zwischen den SS-Führern, die SS-und Polizeigerichte gegen ihn zu ermitteln. Ende des Jahres löste der auf Eicke als KZ-Inspekteur folgende Richard Glücks ihn dort ab. Er schickte den inzwischen sichtlich wohlhabenden Koch, auf dessen Bankkonto sich etwa 100.000 RM aus Raub, Unterschlagungen und Veruntreuungen angesammelt hatten, in das zeitweise als Vernichtungslager genutzte KZ Majdanek bei Lublin.
Etwa zur gleichen Zeit lösten Himmler und der Chef des Wirtschaftsverwaltungshauptamtes Pohl auch in den meisten anderen Lagern die alten Eicke-Männer ab und ersetzten sie durch neue Kommandanten, die eher dem Typus des kalten und berechnenden Verwaltungsbeamten oder Kaufmanns entsprachen. Denn nach dem endgültigen Scheitern des Blitzkrieges vor Moskau brauchte das NS-Regime schnell Hunderttausende von KZ-Häftlingen als Arbeitssklaven für die Steigerung der Rüstungsproduktion. Dabei waren die alten Landsknechtstypen wie Karl Otto Koch eher hinderlich. Als 1943 in Majdanek schließlich ein Aufstand von sowjetischen Kriegsgefangenen ausbrach, war seine Karriere endgültig beendet. Himmler ließ ihn fallen, die SS-Untersuchungen nahmen freien Lauf. Als einer der angeblich „wenigen Ausnahmen“, die, wie es der Reichsführer SS in seiner berüchtigten Posener Rede etwa zur gleichen Zeit formulierte, bei all dem Millionenfachen Morden nach den Moralmaßstäben der SS nicht „anständig“ geblieben waren, wurde der Kommandant von sieben Konzentrationslagern schließlich exemplarisch bestraft.
Die Fotos des Dienstalbums von Karl Otto Koch dokumentieren vor allem den schrittweisen Prozess der Konstituierung und Reorganisation des KZ-Systems bis zur Durchsetzung eines von der SS zunächst in Dachau und danach in Sachsenhausen geschaffenen Modells. Der ehemalige Weltkriegsteilnehmer spielte dabei eine wichtige Rolle. Überall wo ihn Himmler und Eicke wie einen „reisenden Agenten“ in Sachen KZ hinsandten, setzte er die gleichen Organisationsprinzipien durch, ersetzte Teile der vorhandenen Kommandanturstäbe und Wachmannschaften durch in anderen Lagern bewährte oder sogar ihm persönlich bekannte SS-Männer, setzte straffe militärische Organisationsformen sowohl bei der SS als auch bei den KZ-Häftlingen durch, erließ für die Wachverbände sowie die Häftlinge zwei relativ einheitliche standardisierte Vehaltensregularien, reorganisierte die innere Verwaltung, schottete die Konzentrationslager gegenüber den Einflüssen externen Dienststellen und Interventionen weitgehend ab und baute die Infrastruktur der Lager soweit aus, dass sie immer stärker autark wirtschaften konnten.
Anhand der Fotos des Dienstalbums kann man diesen Prozess der Herausbildung eines bestimmten KZ-Typs, der von Himmler und Eicke später mit dem Begriff „modern“ von den frühen Lagern abgegrenzt wurde, veranschaulichen. Insoweit besteht der Quellenwert des Fotoalbums nicht nur in einer Dokumentation eines bestimmten Segments des ‚Arbeitsalltags’ der .SS in den Lagern. Vielmehr werden in den Bildern die einzelnen aufeinander folgenden Schritte der Reorganisation des KZ-Systems deutlich. Zunächst stand die Herausbildung militärischer Strukturen bei der SS im Vordergrund, wie z B. die Einübung militärischer Rituale. Zeremonien und Ehrenbezeigungen, Gelöbnisse und Vergatterungen. Gehorsambezeigungen und Drill stellten einen wichtigen Schritt in der militärischen Erziehung der SS-Mannschaften dar. Diese wurden in Vorbereitung auf ihren KZ-Dienst selbst dermaßen von ihren Vorgesetzten gequält und schikaniert, dass nicht wenige den Dienst quittierten oder sogar Selbstmord begingen. Zugleich zeigen die Fotos die Herausbildung von Gemeinschaftsstrukturen, von Kameraderie und sozialer Fürsorge, die die Konzentrationslager-SS zu einer einheitlichen Lebens- und Arbeitsgemeinschaft zusammenschweißen sollten.
Erst spät, mit den Bildern aus Esterwegen und Sachsenhausen, geraten die Häftlinge in den Blick des Fotoknipsers Koch. In ihnen werden bestimmte Verhaltensrituale der sich als „Herrenmenschen“ verstehenden SS-Männer gegenüber den als „Untermenschen“ stigmatisierten KZ-Häftlingen eingeübt. Unterwerfungsrituale wie Mützenziehen und Meldung erstatten, werden in den Fotos abgebildet, auch Erniedrigungen, um die Häftlinge lächerlich erscheinen zu lassen. Offensichtliche Misshandlungen dagegen, selbst solche, wie z B. das berüchtigte Bockschlagen, die als offizielle Lagerstrafen formell genehmigt waren, finden sich nirgendwo in den Bildern.
Dabei steigerte sich die Gewaltausübung gegenüber den Häftlingen unter der Herrschaft von Koch, nahmen Misshandlungen, Totschlag und Mord unter seinem Regime eher zu. Allein in den zwölf Monaten, in denen er den Aufbau von Sachsenhausen leitete, wurden etwa 50 Häftlinge Opfer von gezielten Mordaktionen, spontanen Misshandlungen oder sie starben infolge der allgemeinen Lagerbedingungen. So erfuhr die Welt durch Anna Seghers berühmten Roman „Das siebente Kreuz“ von seiner barbarischen Strafaktion in Sachsenhausen, als er im Winter 1936 sechs von sieben geflüchteten und wieder ergriffenen Häftlingen über Tage und Nächte qualvoll mit rückwärts zusammen gebundenen Armen an kreuzähnlichen Pfählen aufhängen ließ. Koch systematisierte die Gewalt, was aber im Ergebnis zu einer Zunahme des SS-Terrors gegenüber den Häftlingen führte. Die konkreten Folgen für die Opfer seiner neuen Methoden interessierten den Knipser Koch jedoch weniger.
Insoweit verwundert es auch nicht, dass sich im Dienstalbum anders als in Kochs Privatalbum kaum Schnappschüsse befinden. Dem hohen SS-Offizier kam es nicht so sehr auf eine bildliche Dokumentation der realen Verhältnisse in den Lagern an, auch um Propagandabilder, wie sie in anderen überlieferten Fotoalben von der SS zusammengeklebt wurden, ging es ihm in erster Linie nicht, obwohl Zeitschriften seines Ordens, wie z B. „Das schwarze Chor“, einzelne seiner Fotos veröffentlichten. Vielmehr sollten die zahlreichen Fotographien in erster Linie seine persönlichen Leistungen beim Prozess der Organisation des KZ-Systems veranschaulichen. Dazu gehörte auch, dass er sich selbst häufig in entlarvenden Posen fotografieren ließ, als reitender Ritter in schwarzer Uniform, als Feldherr in grauer Uniform auf dem Sandhügel, als Bauherr, die Hände in die Seiten gestemmt, mitten unter seinen Arbeitssklaven, als stolzer Schlossbesitzer auf der Freitreppe mit seiner Entourage, als Bezwinger einer riesigen deutsche Dogge oder als eloquenter Pressestar vor einem Pulk internationaler Journalisten. Koch ließ sich aber auch gern in der Pose des für seine SS-Männer treu sorgenden, häufig leutseligen Vorgesetzten ablichten und eiferte damit seinem Vorbild, dem Inspekteur der Konzentrationslager nach, der von seinen Untergebenen „Papa Eicke“ genannt wurde.
Was die Bilder des Dienstalbums deshalb in erster Linie zeigen, ist das Selbstbild, das die Konzentrationslager-SS gerne von sich malte. So und nicht anders wollten sie gesehen werden, wollten sie sich selbst sehen. Die Älteren unter Ihnen werden sich möglicherweise noch an den Disput zwischen Bundeskanzler Helmut Schmidt und dem damaligen Ministerpräsidenten des Saarlandes, Oskar Lafontaine, um die Bedeutung der sogenannten Sekundärtugenden erinnern. Mit diesen, so polemisierte Lafontaine gegenüber dem Werte wie Ordnung, Disziplin und Sauberkeit hoch haltenden ehemaligen Wehrmachtsoffizier Schmidt, könne man auch ein KZ betreiben. Die Behauptung des saarländischen Ministerpräsidenten war insoweit völlig falsch, als für den allgegenwärtigen Terror in den Lagern noch ganz andere Charaktereigenschaften der Täter erforderlich waren. Die Fotos des Koch-Albums illustrieren andererseits aber auch, wie stark das Selbstbild der Konzentrationslager-SS von diesen Werten geprägt war. In Lumpen gesteckte Häftlinge, durch radikale Rasuren und Misshandlungen verunstaltete Physiognomien, körperlich gebrochene, zu Untermenschen abgerichtete Häftlinge wurden auf den Bildern den in enge, tief schwarze, blendend weiße oder feldgraue Uniformen und blanke hohe Schaftstiefeln gekleideten SS-Männern gegenübergestellt, in deren Spinten Schuhe, Stiefel, Hosen, Jacken und andere Utensilien wie scharfkantige geometrische Körper millimetergenau und symmetrisch angeordnet sind.
Darf man eigentlich, so will ich zum Schluss fragen, solche Bilder zeigen? Manche von ihnen mögen angesichts der Bilderkaskaden von NS-Propagandafilmen, mit der wir im zeitgenössischen „Histotainment“ eines Guido Knopp oder Anderer überflutet werden, bereits über die Frage verwundert sein. Doch wir haben uns durchaus schwer getan, eine Antwort darauf zu finden, weist doch die Gedächtnisforschung nach, dass Bilder sehr viel stärker als Töne oder gar Texte in der Erinnerung haften bleiben. Wollen wir wirklich noch nachträglich dem größtenteils aus Lügen und Täuschungen zusammengesetzten Selbstbild der SS einen möglicherweise prägenden Vorrang einräumen? Doch was, so fragten wir uns, ist die Alternative? Fotos aus den Lagern, die aus der Perspektive der Opfer aufgenommen wurden, gibt es kaum, denn selbst die entsetzlichen Bilder der Leichenberge, die die alliierten Befreier 1944/45 auf Filmen und Fotos festhielten, zeigen in der Regel Ausnahmesituationen, wie sie zumindest in den Jahren 1933 bis 1937 in den Konzentrationslagern noch nicht bestanden oder sind sogar als eigens für die Kameras inszenierte so genannte Ikonen der Vernichtung anzusehen.
Trotzdem wollten wir das Dienstalbum gerade wegen seines geschilderten Quellenwertes nicht in den Schubladen der Archive verschließen und nur für besonders ausgewählte Personengruppen herausholen. Deshalb haben wir versucht, mit gestalterischen Mitteln und wissenschaftlicher Kontextualisierung die Faszination der Bilder nicht etwas zu brechen, sondern kritische Reflektionen darüber auszulösen. Dazu gehört vor allem auch, dass wir die Opferperspektive durch deutlich herausspringende, nicht zu übersehende und sehr sorgfältig ausgewählte Schilderungen der Häftlinge einzubringen versuchen. Diese Zitate sind teilweise so dicht an den in den Fotos dargestellten Szenen, dass sie wie authentische Kommentare durch die Opfer wirken.
Doch ob dies alles ausreicht, um der Wirkungsmächtigkeit der Bilder durch kritische Reflektion zu begegnen, darüber müssen Sie sich jetzt ein eigenes Urteil bilden. Ich kann nur meiner Hoffnung Ausdruck geben, dass die Präsentation unserer Wechselausstellung Sie wenn nicht überzeugt, so doch zumindest dazu anregt, über grundsätzliche Umgangsweisen mit solchen Zeitzeugnissen der Täter vertieft nachzudenken.
Dank
Dank an das Erich-Maria-Remarque-Friedenszentrum für Einladung
insbesondere Handwerker für Aufbauhilfe