Rede: Forum für zeithistorische Bildung des Arbeitskreises der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten, 18. Juni 2010

7. BERLIN-BRANDENBURGISCHES FORUM FÜR ZEITGESCHICHTLICHE BILDUNG
GEDENKSTÄTTE BERLINER MAUER
18. JUNI 2010

BEGRÜSSUNG
PROF. DR. GÜNTER MORSCH

Sehr geehrter Herr Staatssekretär,
Meine Damen und Herren,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,

im Namen des Arbeitskreises I der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten darf ich Sie ganz herzlich zu unserem siebten Forum für zeitgeschichtliche Bildung begrüßen. Die Idee zu dem Forum ist beim Zusammenschluss aller Gedenkstätten in dieser Region entstanden. Vor über 12 Jahren fanden sich in Berlin und Brandenburg die Einrichtungen, die an die beiden deutschen Diktaturen erinnern, zu zwei Arbeitskreisen zusammen. Der Arbeitskreis I der NS-Gedenkstätten verstärkte seine Zusammenarbeit kürzlich noch, indem er die sogenannte „Ständige Konferenz der Leiter der NS-Gedenkstätten im Berliner Raum“ ins Leben rief. Mit der Errichtung der „Ständigen Konferenz“ folgten wie einer Anregung des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der auch die Finanzierung übernimmt. Der „Ständigen Konferenz“ gehören die Leiter
• der „Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz“,
• der „Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen“,
• der „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“,
• der „Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand“
• und der „Stiftung Topographie des Terrors“ an.
Das Büro ist im jährlichen Wechsel beim jeweiligen Vorsitzenden angesiedelt. Den Vorsitz 2010 hat der Leiter des Hauses der Wannsee-Konferenz, Dr. Norbert Kampe übernommen. Durch die verstärkte Zusammenarbeit der genannten großen NS-Gedenkstätten im Berliner Raum wird auch die länderübergreifende Zusammenarbeit der Gedenkstätten weiter ausgebaut werden können.

An Sitzungen der Arbeitskreise der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten wirken aber bekanntermaßen nicht nur Vertreter von großen oder kleineren Gedenkstätten mit. Beteiligt sind vielmehr auch die Repräsentanten vieler anderer Einrichtungen und Initiativen zur NS-Geschichte bzw. zur SBZ/DDR-Phase sowie Vertreter von Opferorganisationen und Interessenverbänden. Die Einbindung dieser, wichtige Teile der Zivilgesellschaft repräsentierenden Gruppierungen ist den Gedenkstätten vor allem deshalb wichtig, weil sie großen Wert darauf legen, sich mit ihnen in grundsätzlichen Fragen der Entwicklung der Erinnerungskultur nicht nur gelegentlich, sondern kontinuierlich zu beraten. Insoweit weisen die bestehenden Arbeitskreise in vielen Aspekten über die „Ständige Konferenz“ hinaus.

Wir haben das Forum für zeitgeschichtliche Bildung bisher vor allem als eine Plattform begriffen, auf der sich die unterschiedlichen Nutzer der pädagogischen Angebote der Gedenkstätten mit unabhängigen Experten und Gedenkstättenmitarbeitern treffen, um Ergebnisse gemeinsamer Arbeit vorzustellen, sie kritisch zu evaluieren sowie Bedürfnisse und Vorstellungen für eine Erweiterung oder Ergänzung der pädagogischen Angebot der Gedenkstätten auszutauschen. Dabei versuchte jedes der bisherigen Foren, einen spezifischen Bereich der praktischen Gedenkstättenpädagogik zu beleuchten. Heute soll es um „Kreative Formen der Gedenkstättenarbeit“ gehen.

Schon seit mehren Jahren wird über den Wandel diskutiert, den das absehbare „Ende der Zeitzeugenschaft“ für die NS-Gedenkstätten bedeutet und dabei zugleich nach den Herausforderungen gefragt, die sich daraus für die Gedenkstättenpädagogik ergeben. Die Herstellung eines persönlichen Zugangs zur Geschichte ermögliche, so heißt es, insbesondere für Jugendliche, erst eine intellektuelle Auseinandersetzung mit ihr. Diesen persönlichen Bezug haben bisher vor allem Zeitzeugen zu schaffen vermocht: Als Personen, die den Terror der Nationalsozialisten selbst erlebt und durchlitten hatten, konnten sie eine emotionale Beziehung zur Vergangenheit herstellen, zu der Geschichte, die sie gleichsam verkörperten. Durch die Aura ihrer Persönlichkeit und ihre Erzählungen, ihre Schilderungen von Ereignissen, Stimmungen und Emotionen, durch ihre Mimik und Gestik, wurde und wird das Unfassbare konkret, was die Geschehnisse − zwar nicht nachvollziehbar − aber doch vorstellbar macht. Diese verkörperte Präsenz des Erzählten wird den Gedenkstätten in naher Zukunft verloren gehen. Mit ihr falle − so prognostiziert etwa die Münchner Kunstpädagogin Birgit Dorner − auch jene emotionale Berührung weg, die bei der Begegnung mit Überlebenden entstehe und die eine wesentliche Basis historischen Lernens Orten bilde. Als Alternative, um die NS-Geschichte über eine immer größer werdende historische Distanz hinweg und ohne Kontakt zur Erlebnisgeneration auf „berührende“ Weise zu vermitteln, werden in diesem Zusammenhang daher vermehrt „ästhetischen Zugänge“ genannt, also die didaktischen Konzepte und Methoden, die im Zentrum des heutigen Forums stehen.

Ästhetisch-kreative Herangehensweisen in Allgemeinen und die Kunstpädagogik im Besonderen setzen sich, so die Befürworter, nicht allein mit historischen Fakten und Kontexte auseinander, sondern arbeiten mit inneren Bildern aus der Vorstellungskraft der Teilnehmer, mit Gefühlen sowie atmosphärischen Wahrnehmungen, und schaffen so einen persönlichen Bezug zur Geschichte. Der ästhetische Zugang fördert zudem die Selbsttätigkeit der Teilnehmer. Statt passivem Konsumieren von Inhalten erfolge schöpferisches Gestalten. Er fordere und fördere damit Eigentätigkeit und Eigenständigkeit. Aus diesem Grund stelle die Kunstpädagogik auch ein wichtiges Element in der Gedenkstättenarbeit mit solchen Zielgruppen dar, deren Zugäänge zur Geschichte aus unterschiedlichen Gründen nicht nur verbaler Natur sein können.

Vielfach werden heute immer noch textbezogenes, kognitives Lernen und künstlerisch-emotionale Aneigung als Gegensätze betrachtet. Doch gerade Gedenkstättenpädagogen haben schon immer ehr selten in solch bipolaren Lernmodellen gedacht. Denn wo sonst als an den authentischen Orten sind Kognition, Anschauung und Emotion bereits durch den genius loci miteinander potentiell verbunden? Die Gefahren einer allein auf sinnliches Erfahren („Nachempfinden“) von Geschichte ohne die Vermittlung von Kenntnissen über die historischen Kontexte fußenden Pädagogik, sind den Gedenkstätten wohl bekannt. So sind die ästhetisch-kreativen Zugänge in der Gedenkstättenarbeit mittlerweile ausgesprochen vielfältig und wirken erfolgversprechend und ausgereift, wie nicht nur die rezente Literatur zum Thema, sondern vor allem unser heutiges Tagungsprogramm zeigt.

Meine Damen und Herren, ich möchte mich schon jetzt ganz herzlich bei allen Referentinnen und Referenten, bei den Experten ebenso wie bei den Projektteilnehmern und Mitdiskutanten unseres heutigen Forums bedanken. Ich danke auch allen, die an der Planung, Vorbereitung und Durchführung unseres Forums beteiligt waren, insbesondere den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gedenkstätte Berliner Mauer, bei der wir dieses Mal zu Gast sein dürfen. Um eine solche Veranstaltung durchführen zu können, dafür bedarf es aber auch inhaltlicher Zusammenarbeit und finanzieller Unterstützung. Kooperationspartner und Förderer des diesjährigen Forums für zeitgeschichtliche Bildung sind die Stadt Berlin sowie die Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung, das Landesinstitut Schule und Medien Berlin-Brandenburg, die Bundesstiftung Aufarbeitung sowie der Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Allen sei ebenfalls herzlich gedankt. Es bleibt mir nur noch, allen Teilnehmern des siebten Forums für zeitgeschichtliche Bildung des Arbeitskreises der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten einen interessanten und anregenden Tagungsverlauf zu wünschen.