Rede: Forum für zeitgeschichtliche Bildung des Arbeitskreises der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten, 2. November 2007

4. BERLIN-BRANDENBURGISCHES FORUM FÜR ZEITGESCHICHLICHE BILDUNG

IN DER ERINNERUNGSSTÄTTE NOTAUFNAHMELAGER MARIENFELDE

2. NOVEMBER 2007

BEGRÜSSUNG

PROF. DR. GÜNTER MORSCH

VORSITZENDER DES ARBEITSKREISES I

Meine Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Im Namen des Arbeitskreis I der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten darf ich Sie ganz herzlich zu unserem 4. Berlin-Brandenburgischen Forum für zeitgeschichtliche Bildung begrüßen. Mit der jährlichen Ausrichtung des Forums möchten die seit 1995 in einer Arbeitsgemeinschaft zusammen geschlossenen Gedenkstätten eine Plattform bieten, auf der sich zum einen die verschiedenen Einrichtungen mit ihren sehr unterschiedlichen pädagogischen Angeboten und Projekten vorstellen. Zum anderen sollen die potentiellen Interessenten der pädagogischen Angebote ihre eigenen Bedürfnisse und selbständigen, gerade auch kritischen Beobachtungen der Aktivitäten der Gedenkstätten einbringen können. Hatten wir in den voran gegangenen Foren in den Gedenkstätten Hohenschönhausen und Sachsenhausen dabei speziell die schulischen sowie die außerschulischen Veranstaltungen in den Blick genommen, so legten wir im vergangen Jahr, als das Forum in der Gedenkstätte deutscher Widerstand stattfand, unseren Hauptaugenmerk auf die Ausgestaltung internationaler Begegnungsprojekte.
Schon damals aber, bei der Vorbereitung des letzten Forums, wollten wir zunächst auch solche pädagogischen Veranstaltungen berücksichtigen, die sich dezidiert mit den spezifischen Chancen und Problemen der Vermittlung von Zeitgeschichte in der Einwanderungsgesellschaft befassen. Davon mussten wir vor allem deshalb aber wieder Abstand nehmen, weil trotz einer von allen Seiten geäußerten großen Dringlichkeit des Themas damals im Raum Berlin-Brandenburg noch kaum solche Projekte bekannt waren. Die Bundeszentrale für Politische Bildung hat uns in der Folge dankenswerterweise aus der Verlegenheit geholfen und uns in die Lage versetzt, mit unterschiedlichen Partnern entsprechende pädagogische Projekte zu entwickeln und zu realisieren, die diesen Herausforderungen zu entsprechen versuchen. Eine Tagesveranstaltung in der Gedenkstätte „Haus der Wannsee-Konfrenz“, das wir zu diesem Zweck durchführten, ließ die Desiderate angesichts relativ geringer Beteiligung aus der Lehrerschaft nur noch deutlicher hervortreten.

Aus diesem Grunde sind wir vom bisherigen Charakter des Forums in diesem Jahr etwas abgewichen. Wir wollen mit Expertinnen und Experten aus Theorie und Praxis im ersten Teil der Veranstaltung diskutieren, was interkulturelle Bildung im Rahmen der zeitgeschichtlicher Bildung leisten soll und kann. Es geht uns dabei auch darum, die Herausforderungen zu benennen, die sich für die historisch-politische Bildung daraus ergeben, dass sie einerseits zu einem nicht unwesentlichen Teil Unrechtsgeschichte beleuchten muss und andererseits in einer Einwanderungsgesellschaft stattfindet. Am Nachmittag stehen dann beispielhafte Projekte im Vordergrund, die wir mit den Projektbeteiligten und kompetenten Experten diskutieren wollen.
Soweit ich dies aufgrund der bisherigen, noch nicht sehr ausführlichen Literatur zu beurteilen vermag, bewegen sich die bisherigen Überlegungen und Standpunkte zwischen zwei sich gegenseitig heftig befehdenden Positionen. Geht es zum einen unter dem Oberbegriff der multikulturellen Gesellschaft darum, bei der, wie Bodo von Borries schreibt, gegenseitigen Anerkennung von authentischer Verschiedenheit und relativer Berechtigung kontrastierender Geschichtsdeutungen einen Prozess des Verhandelns einzuüben, so versammeln sich zum anderen unter dem Begriff der deutschen Leitgesellschaft Vorstellungen, die einen allgemein gültigen Werte- und Wissenskanon entwickeln wollen. Letzterer als verbindlich erachteter Kanon, in dem die Auseinandersetzung mit der Geschichte der nationalsozialistischen Verbrechen ebenso einen Platz finden soll wie die Beschäftigung mit der DDR-Dikatur, hat bereits in dem 2006 von der hessischen Landesregierung vorgelegten Leitfaden eine erste Form der Realisierung gefunden.
Ich gehe davon aus, dass in diesem unseren Kreis eher solchen Konzepten das Wort geredet wird, die einer Integration der Migrationsgeschichte das Wort reden und spezifische Bezüge zwischen der Geschichte der Diktaturen sowie den kulturellen Traditionen von Migranten und Migrantinnen analog zu deren Bedürfnissen herstellen wollen. Worin bestehen aber solche individuellen und persönlichen „Bezüge“, um nicht den etwas veralteten Begriff der „Betroffenheit“ zu benutzen? Dabei wäre m. E. zwischen emotionaler Empathie mit dem Leiden der Opfer und der Erschütterung über anthropologische Konstanten menschlichen Verhaltens einerseits und der emotionalen und kognitiven Übertragung historischer Entwicklungen in die jeweilige kulturelle und biographische Geschichte andererseits zu unterscheiden. Sind die beiden erst genannten Aspekte individueller Betroffenheit weitgehend unabhängig von der konkreten biographischen Herkunft, so begibt man sich m. E. mit dem Versuch der Verknüpfung allgemeiner historischer Erkenntnisse mit der jeweiligen Biographie und persönliche Lebenserfahrung grundsätzlich in die Gefahr der Instrumentalisierung von Geschichte. Kommt somit nicht durch die Hintertür doch jene Verpflichtung auf einen Werte- und Wissenskanon zum Tragen, den das Konzept ursprünglich zu vermeiden suchte, nur auf sehr viel indirekterem, möglicherweise sogar tiefer gehenderen Wege? Oder um es in einem Beispiel noch zugespitzter zu fragen, ist die Beschäftigung etwa mit dem Völkermord an den Armeniern im Rahmen eines Gedenkstättenbesuchs nicht eine sehr viel stärkere kognitive Überforderung und emotionale Überwältigung für türkischstämmige Jugendliche als etwa die Vermittlung der Grundstrukturen der Geschichte des Antisemitismus in Deutschland?

Im Einladungstext zu unserer heutigen Veranstaltung heißt es richtig, Ziel der Arbeitsgemeinschaft der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten ist die stärkere Vernetzung der Arbeit der Einrichtungen aber auch ihre stärke Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. In fünf Tagen wird der Kulturausschuss des Deutschen Bundestages eine Anhörung über den Entwurf des Beauftragten für Kultur und Medien zur Weiterentwicklung der Gedenkstättenkonzeption durchführen. Der Arbeitskreis I der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten hat sich zu diesem Entwurf ausführlich geäußert. Wen unsere Stellungnahme interessiert, der kann sie auf der Web-Seite der Gedenkstätte Sachsenhausen unter der Rubrik „Aktuelles“ nachlesen. Eine unserer gemeinsamen Forderungen allerdings will ich auch an dieser Stelle deutlich benennen, betrifft sie doch die pädagogischen Leistungen der Gedenkstätten. Die meisten Gedenkstätten nämlich sind aufgrund finanzieller und personeller Ressourcenknappheit nicht in der Lage, auch nur annähernd den Nachfragen von Schulen und anderen Bildungsträgern nach pädagogischen Leistungen zu entsprechen. Ich glaube, dass wir uns in unserer Gesellschaft, die nach wie vor stark unter Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt leidet, eine solche Zurückweisung von Tausenden von Bildungsinteressierten nicht leisten dürfen. Um Abhilfe zu schaffen, sind keinesfalls große Millionenbeträge erforderlich. Es ist daher nicht zu verstehen, dass angesichts der gerade von der Politik immer häufiger und zurecht beklagten Bildungsmisere diejenigen Einrichtungen, in denen Millionen Besucher jährlich ihr Wissen über die Gefahren von Menschenrechtsverletzungen und Demokratiefeindlichkeit vertiefen wollen, nicht so ausgestattet werden, dass sie zumindest der vorhandenen Nachfrage entsprechen können. Diejenigen aber machen sich m. E. besonders unglaubwürdig, die aus grundsätzlichen und moralischen Erwägungen die von einem Teil der Opferverbände vorgeschlagene Erhebung von geringen Eintritten für Gedenkstättenbesucher ablehnen – wie ich finde nicht zu Unrecht -, jedoch die Einrichtungen zugleich im Wissen um deren Kapazitätsengpässe mit ihren Problemen allein lassen. Die Gedenkstätten würden sich daher sehr freuen, wenn auch Sie, die sie unsere Leistungen nachfragen und leider allzu häufig vertröstet werden müssen, unsere Forderungen gegenüber den im Bundestag vertretenen Parteien nachhaltig unterstützen könnten.

Dank an:
– Referentinnen und Referenten,
– Moderatorinnen und Moderatoren,
– Teilnehmer der Diskussionsrunden,
– An alle Projektteilnehmer, die ihre Arbeit in den unterschiedlichen Foren darstellen,
– Die Bundeszentrale für politische Bildung für ihre Kooperation und Förderung
– An die Organisatoren der Veranstaltung insbesondere den Gastgeber die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde.