Rede: Forum für zeitgeschichtliche Bildung des Arbeitskreises der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten, 31. Mai 2013

10. BERLIN-BRANDENBURGISCHES FORUM FÜR ZEITGESCHICHLICHE BILDUNG

IN DER STIFTUNG TOPOGRAPHIE DES TERRORS BERLIN
31. MAI 2013

BEGRÜSSUNG

PROF. DR. GÜNTER MORSCH
VORSITZENDER DES ARBEITSKREISES I

Sehr geehrter Herr Staatssekretär Nevermann,
lieber Herr Nachama, lieber Herr Gutzeit,
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Im Namen des Arbeitskreis I der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten möchte auch ich Sie ganz herzlich zu unserem 10. Berlin-Brandenburgischen Forum für zeitgeschichtliche Bildung begrüßen. Mit der jährlichen Ausrichtung des Forums möchten die seit 1995 in einer Arbeitsgemeinschaft zusammen geschlossenen Gedenkstätten eine Plattform bieten, auf der sich zum einen die verschiedenen Einrichtungen mit ihren sehr unterschiedlichen pädagogischen Angeboten und Projekten vorstellen. Zum anderen sollen die potentiellen Interessenten der pädagogischen Angebote ihre eigenen Bedürfnisse und selbständigen, gerade auch kritischen Beobachtungen der Aktivitäten der Gedenkstätten einbringen können. Ganz besonders herzlich begrüße ich daher alle Lehrerinnen und Lehrer, die die für unsere pädagogische Arbeit sicherlich wichtigste Zielgruppe, die Schülerinnen und Schüler, an die Gedenkstätten heranführen, sie auf den Besuch vorbereiten und dabei begleiten. Sie vor allem, die Lehrerinnen und Lehrer der verschiedenen Bildungseinrichtungen und Jahrgangsstufen, sind es vor allem, die Erfolg oder Misserfolg der Gedenkstättenbesuche wohl am unmittelbarsten erfahren und aushalten müssen. Umso wichtiger ist es, den Kontakt zwischen uns, den Anbietern pädagogischer Leistungen in den Gedenkstätten, und Ihnen als Mittlern nicht abreißen zu lassen, sondern stetig im gemeinsamen Dialog die pädagogische Arbeit der Gedenkstätten zu reflektieren.

Auch in diesem Jahr haben sich die beiden Arbeitskreise der Gedenkstätten gemeinsam mit den Schul- und Kulturverwaltungen der beiden Länder sowie dem Landesinstitut für Schule und Medien auf einen thematischen Schwerpunkt unseres zeitgeschichtlichen Forums geeinigt. Angesichts des großen Interesses und der regen Beteiligung, die das voran gegangene Forum in der Gedenk- und Begegnungsstätte Potsdam-Leistikowstraße gefunden hat, haben wir uns dazu entschlossen, die damals engagiert und kontrovers diskutierte Frage nach der Aktualität des so genannten Beutelsbacher Konsenses ein weiteres Mal in den Zentrum unseres Forums zu rücken. Allerdings wollen wir die Debatte nicht nur ein wenig weiter öffnen, sondern auch stärker an den praktischen Problemen orientieren. Beim 9. Berlin-Brandenburgischen Forum ging es vor allem um die von wachsenden Teilen der Politik immer stärker eingeforderte unmittelbare Verwertbarkeit der pädagogischen Arbeit der Gedenkstätten im Hinblick auf die Lösung gegenwärtiger und zukünftiger gesellschaftlich-politischer Probleme, also um eine, wie es viele Pädagogen in Schulen und Gedenkstätten empfinden, stärkere politische Instrumentalisierung historischer Bildung für präsentistische Zwecke. Ich hatte den Eindruck, daß eine große Mehrheit der zahlreichen Teilnehmer unseres damaligen Potsdamer Forums das vom brandenburgischen Bildungsstaatssekretär Burkhard Jungkamp und dem CDU-Fraktionsvorsitzenden im Brandenburger Landtag, Dieter Dombrowski, klar ausgesprochene Bekenntnis zur fort dauernden Gültigkeit des Beutelsbacher Konsenses mit seinem Überwältigungs-Verbot einerseits und dem Kontroversitäts-Gebot andererseits mit großer Erleichterung aufgenommen hat.
Doch das offenbar vorhandene Unbehagen an der Erinnerungskultur in Deutschland, die Forderungen nach einer neuen Gedenkstättenpädagogik und nach völlig veränderten Ausstellungskonzepten, kommen auch aus Teilen des Feuilletons und der Wissenschaft. Die Kritik, die sich sowohl an die NS- als auch an den SED-Gedenkstätten richtet, beklagt u. a. eine Über-Intellektualisierung, eine Überbetonung historischen Lernens als Selbstzweck und eine konservatorische Haltung der Verabsolutierung des Authentischen. Manche Kritiker, wie z. B. Harald Welzer oder – erst kürzlich im Interview mit der Zeitung „Der Tagesspiegel“, die Soziologin Sybille Frank, halten dies für einen neuen deutschen Sonderweg in der Erinnerungskultur. Schauen wir uns in Welt um, so stimmt es wohl, dass in anderen Ländern sehr viel unbedenklicher mit Inszenierungen, Rekonstruktionen und Erlebnispädagogik umgegangen wird. Wo niemals Folterzellen waren, werden durch Architekten und Bühnenbildner welche „in Echt“ nachgebaut, anderswo werden sogar ganze Lager mit Häftlingsbaracken und Wachtürmen, Stacheldraht und Karzer komplett aus dem Nichts mit Hilfe von Fotos und Plänen rekonstruiert, alles, wie es immer heißt, möglichst originalgetreu, selbst der Nachbau einer Gaskammer, in die die Besucher geführt werden, ist nicht mehr tabu. Nicht nur mit Pappe, Holz und Stahl, sondern auch mittels exzessiven Medieneinsatzes werden fiktionale Welten geschaffen, die angeblich die historische Realität besser, eindringlicher und nachhaltiger abzubilden vermögen als authentische Spuren und Relikte.
Ginge es nur um eine neue Ästhetik des Schreckens, so könnten die Gedenkstätten relativ gelassen bleiben. Doch der von Kritikern geäußerte Hauptvorwurf zielt auf den Kern unseres Selbstverständnisses und er richtet sich nicht nur an die Gedenkstätten, sondern auch an die heutige Pädagogik generell: Die in den späten achtziger Jahren entwickelten und seit den neunziger Jahren realisierten Konzepte verfehlen, so der schwer wiegende Vorwurf, einen immer größeren Teil des Zielpublikums, das so genannte Bildungsprekariat. Wir haben es also mit einer Debatte zu tun, wie sie auch in anderen Bereichen medialer Vermittlung stattfindet. In der Argumentation ganz ähnlich wird z. B. in manchen Feuilletons inzwischen die Fernsehproduktion „Dschungelcamp“ zum innovativen Format zeitgemäßer Bildung für das Fernsehpublikumsprekariat erklärt.
Ich will allerdings mit solchen zugegebenermaßen polemischen Zuspitzungen nicht von der berechtigten Fragestellung ablenken, die da heißt: Ist der Beutelsbacher Konsens angesichts veränderter Bildungsvoraussetzungen unzeitgemäß und daher überholt? Brauchen wir noch mehr emotionale identifikatorische Erlebnisinszenierungen? Oder überfordern wir einen wachsenden Teil unserer Besucherinnen und Besucher, vor allem die Schülerinnen und Schüler, indem wir anstatt einfache und eindeutige Lehrmeinungen zur Geschichte zu vermitteln, die Fähigkeit zur Bildung eigenständiger Urteile in Kenntnis kontroverser Ansichten über die Geschichte zu fördern versuchen?
Die Antwort auf solche Fragen können wir nur zusammen suchen, Mitarbeiter von Gedenkstätten, Schulpädagogen und Schüler. Eben für einen solchen Meinungsaustausch haben wir, die beiden Arbeitsgemeinschaften der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten, das Forum für zeitgeschichtliche Bildung geschaffen. Nicht ganz zufällig haben wir auf dem Hintergrund unseres diesjährigen Themas als Tagungsort für die Fortsetzung unserer Präsentationen, Diskussionen und Gespräche die Stiftung Topographie des Terrors ausgewählt. Mit ihrem konzeptionell klar durchdachten und beabsichtigten Verzicht auf fast jegliche Formen von Rekonstruktionen, Inszenierungen oder Musealisierungen repräsentiert die Ausstellung in der Topographie sicherlich ein gerade in seiner Konsequenz voll ausgebildetes Modell dokumentarischer Ausstellungsdidaktik, deren Erfahrungen in unseren Diskussionen sehr hilfreich sein können. Ich bedanke mich bei dem Kollegen Andreas Nachama und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ganz herzlich für die Gastfreundschaft und bei allen Kolleginnen und Kollegen, insbesondere bei Andreas Sander, für die immer mit erheblichem Arbeitsaufwand verbundenen organisatorischen Vorbereitungen. Allen Referentinnen und Referenten, Moderatorinnen und Moderatoren sowie Kommentatorinnen und Kommentatoren danke ich ebenso schon jetzt ganz herzlich für Ihre Mitwirkung. Uns allen wünsche ich spannende und interessante Diskussionen sowie nette und erhellende Gespräche am Rande.