Rede: Individuelle Erinnerungstafeln am „Friedhof Kommandantenhof“, 7. Mai 2011

EINWEIHUNG DES FELDES FÜR INDIVIDUELLE ERINNERUNGSTAFELN AM „FRIEDHOF KOMMANDANTENHOF“

7. MAI 2011

BEGRÜSSUNG

Prof. Dr. GÜNTER MORSCH

Sehr geehrte Überlebende des sowjetischen Speziallagers,
Sehr geehrter Herr Staatssekretär,
Sehr geehrte Frau Bink,
Frau Graba, Frau Jasmer
Sehr geehrter Herr Jasmer,
Sehr geehrte Angehörige,
Meine Damen und Herren,

im Namen der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und der Gedenkstätte Sachsenhausen begrüße ich sie ganz herzlich zu unserer heutigen Veranstaltung. Ich freue mich sehr, daß Sie (so zahlreich) erschienen sind, um an der Niederlegung dreier Erinnerungstafeln für die im sowjetischen Speziallager 1947 verstorbenen Häftlinge Johannes Einfeldt, Bernhard Leppin und Carl Rambow teilzunehmen. Ich danke den Angehörigen und Familien der genannten Verstorbenen dafür, daß sie die von der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten neu geschaffene Möglichkeit nutzen, um die Erinnerung an die einzelnen Menschen zu stärken, die nach langem Leiden in der Gefangenschaft einer die Menschenrechte gröblich missachtenden Besatzungsmacht verstorben sind.

Zwölftausend von 60.000 Häftlingen sind in den Jahren 1945 bis 1950 im sowjetischen Speziallager Sachsenhausen an Unterernährung und Krankheiten verstorben. Ihre Leichen wurden zumeist nackt in drei großen Massengräbern verscharrt. Nicht einmal ein Begräbnis fand statt, wie es in allen zivilisierten Staaten der Welt üblich ist. Niemand sprach Worte der Trauer, keiner sagte laut ein Gebet auf, auch wenn mancher Kamerad des Begräbniskommandos wohl still daran gedacht haben mag. Doch die bewaffneten Wachsoldaten, die diesen würdelosen Akt des Verscharrens von Menschen, der zumeist des Nachts geschah, überwachten, verhinderten jegliches Verharren in Trauer. Die toten Menschen, die von der Lagerführung nur noch als überflüssige tote Körper angesehen wurden, sollten schnell und spurlos unter die Erde, damit das Verbrechen, das an ihnen geschah, niemals jemand entdecken könnte. Niemand sollte jemals die Möglichkeit haben, dort wo die sterblichen Überreste der Opfer liegen, die Namen der Toten aufzurufen, an ihrem Grab zu weinen und um sie zu trauern.

Es ist daher außerordentlich wichtig, daß wir die von den Verantwortlichen des Massensterbens beabsichtigte Anonymität der Massengräber wieder aufheben. Denn in diesen Gruben, in die man die toten Körper hinein geworfen hat, liegen Menschen und keine Massen. Die Toten hatten eine individuelle Biographie, sie liebten andere Menschen und wurden von ihnen geliebt. Vor allem deshalb war es der Gedenkstätte wichtig, daß die Angehörigen und Trauernden die Möglichkeit erhalten, ihren Toten individuelle Erinnerungszeichen setzen zu können, so wie es auf jedem Friedhof für jeden verstorbenen Menschen möglich ist. Daß es dieses Bedürfnis der Angehörigen gibt, ihrer im sowjetischen Speziallager Verstorbenen nicht nur auf den drei als Gedenkstätten hergerichteten Friedhöfen gemeinsam zu gedenken, kann man vor allem auf dem Friedhof der Massengräber im Schmachtenhagener Forst ersehen. Dort, mitten im Wald, stehen Kreuze und liegen Tafeln, auf denen die Namen und Lebensdaten eingeschrieben sind. Ein Besuch dieses gerade durch seine Abgeschiedenheit eindrucksvollen Ortes, bei dem man nacheinander die auf Kreuzen, Tafeln und Steinen eingravierten Namen liest, berührt sehr viel stärker, als dies Kunstwerke oder große Denkmale vermögen.

Ein Gräbergesetz, über dessen Bestimmungen m. E. noch einmal nach gedacht werden sollte, verhinderte, daß, dem Wunsch mancher Angehöriger folgend, eine solche Möglichkeit unmittelbar auf dem größten der drei Massengräber, hier am so genannten „Kommandantenhof“, geschaffen werden konnte. Stiftung und Gedenkstätte haben sich deshalb dafür entschieden, in unmittelbarer Nachbarschaft einen Platz für die Niederlegung individueller Erinnerungstafeln einzurichten. Gerade weil wir leider nicht mehr sicher feststellen können, in welchem der drei Massengräber wer beerdigt wurde, ist nun ein Ort geschaffen worden, an dem auch eine individuelle Hinwendung zu dem Verstorbenen stattfinden kann, ein Ort der Trauer, an dem sich Name und Lebensdaten des einzelnen Opfers aus der Anonymität des Massengrabes herausheben lassen.

Ich danke allen, die daran mitgewirkt haben, diesen Ort individueller Trauer herzurichten, insbesondere den Mitgliedern unseres Opferbeirates zur Erforschung der Geschichte des sowjetischen Speziallagers sowie der Fachkommission, die in langen, schwierigen und kontroversen Diskussionen die jetzt realisierte Lösung letztlich einhellig befürwortet haben. Für die Gestaltung und ihre Umsetzung danke ich dem Architekten Herrn Michel Weber, dem Brandenburgischen Landesbetrieb für Liegenschaften und Bauten sowie unserem wissenschaftlichen Mitarbeiter Herrn Alexander Heinert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Die Gedenkstätte hat im vorigen Jahr das Totenbuch des sowjetischen Speziallagers Nr. 7/Nr.1 publiziert. In ihm sind die Namen, Geburtsdaten, Geburtsorte und die Sterbedaten von 11.890 Personen verzeichnet, die in den Jahren 1945 bis 1950 verstorben sind. Dieses eindrucksvolle Dokument des Massensterbens ist im unmittelbar benachbarten Museum zur Geschichte des sowjetischen Speziallagers ausgestellt und kann dort eingesehen werden. Darüber hinaus ist es im Buchhandel erhältlich. Die Gedenkstätte Sachsenhausen würde sich sehr freuen, wenn weitere Angehörige von Verstorbenen sich den Initiativen zur Niederlegung individueller Erinnerungstafeln anschließen. Mehrere Briefe, die mich im Vorfeld unserer heutigen Veranstaltung erreicht haben, lassen mich hoffen, dass die Gedenkstätte Sachsenhausen somit einem lange gehegten Bedürfnis und Wunsch von nicht wenigen Angehörigen und Familien endlich entsprechen konnte.