Zehn Jahre Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Berlin-Schöneweide

10 Jahre Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit

Grußwort

Prof. Dr. Morsch

  1. September 2016

 Liebe Frau Dr. Glauning,

lieber Kollege Nachama,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

Die Jahr nach der deutschen Einheit, zwischen 1990 und der Jahrtausendwende, sie können in gewisser Hinsicht auch als das Jahrzehnt der Gedenkstätten bezeichnet werden. Das wiedervereinte Deutschland, damals die Berliner Republik genannt, sah sich jedoch im In- und im Ausland einem verbreiteten Misstrauen gegenüber, das sich zu einem nicht geringen Teil aus der auch nach fünfzig Jahren vielfach noch unaufgearbeiteten Vergangenheit der nationalsozialistischen Diktatur speiste. Allen Bundesregierungen dieses Gedenkstättenjahrzehnts stand daher klar vor Augen, dass nur eine dauerhafte und tief gehende Institutionalisierung einer kritischen Erinnerungskultur in Deutschland die Vorbehalte und Befürchtungen gegenüber dem neuen Nationalstaatsgedanken auf Dauer eindämmen könnte. Diesen primär außenpolitischen Überlegungen verdanken wir es vor allem, dass die schon in den achtziger Jahren in der alten Bundesrepublik und in West-Berlin quasi „von unten“ erkämpften Gedenkstätteninitiativen sich etablieren und die historischen Orte zu einem Teil in moderne zeithistorische Museen mit besonderen humanitären und bildungspolitischen Aufgaben umwandeln konnten. Ein gutes Beispiel dafür ist die „Stiftung Topographie des Terrors“, die erst mit einer erheblichen Verspätung das von Bürgerinitiativen und Geschichtswerkstäten Ende der achtziger Jahre erkämpfte Barackenprovisorium in ein festes Gebäude mit Veranstaltungs- und Büroräumen, Bibliothek und viel Platz für Dauer- und Wechselausstellungen überführen konnte.

Im Zuge der Etablierung, Professionalisierung und Modernisierung der bundesdeutschen Erinnerungskultur weitete sich der bis dahin stark eingeschränkte Blick von Gesellschaft und  Öffentlichkeit, der primär die Opfer von Holocaust und politischem Widerstand betrachtete, auf die vergessenen und verdrängten Opfergruppen, wie Sinti und Roma oder Homosexuelle, Opfer der Wehrmachtsjustiz oder sowjetische Kriegsgefangene, aus. Und obwohl Ulrich Herbert und andere Autoren schon Mitte der achtziger Jahre die Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des „Dritten Reiches“ wissenschaftlich erforscht, aber auch Kunst und Medien,  wie der Ende der siebziger Jahre publizierte und 1983 vom polnischen Starregisseur Andrzej Wajda verfilmte Tatsachenroman von Rolf Hochhuth über „Eine Liebe in Deutschland“,  das Thema über den Kreis des Experten hinaus bekannt gemacht hatten, bedurfte es staatlicher Unterstützung, um eine Dokumentationsstätte auch für die zu dieser Zeit mit dem historischen Begriff der „Fremdarbeiter“ bezeichnete Opfergruppe zu schaffen.

Dabei solle bei aller Würdigung und Anerkennung der Anstrengungen und Leistungen engagierter Ehrenamtlicher aus Opferverbänden, Geschichtswerkstätten und Bürgerinitiativen, über die sicherlich Thomas Irmer noch sprechen wird, die durch ökonomische Ursachen und Erfordernisse in der globalisierten Wirtschaft erzwungene Entschädigungsinitiative von Staat und Wirtschaft nicht gering geschätzt werden. Seit der Befreiung vom Nationalsozialismus 1945 hatten die allermeisten Profiteure der Zwangsarbeit, unter ihnen fehlte kaum ein einziger großer Wirtschaftskonzern, mit dem Verweis auf angeblichen Zwang der politischen Führung der NS-Diktatur jegliche Verantwortung für die Zwangsarbeit abgestritten und Historikern den Zugang zu den Akten in ihren Betriebsarchiven versperrt. Das war nun nicht mehr möglich und in der Folge legten Staat und Wirtschaft ab dem Jahre 2000 ein etwa fünf Milliarden Euro umfassendes Entschädigungsprogramm auf, das in die „Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ überführt wurde.

Als schließlich nach mehr als zehn Jahren vorwiegend ehrenamtlichen Engagements und nach voran gegangenen Beschlüssen des Berliner Abgeordnetenhauses und des Senats 2005 ein Teil des Geländes des einzigen in Berlin noch weitgehend erhaltenen Zwangsarbeiterlagers angekauft und institutionell der „Stiftung Topographie des Terrors“ zugeordnet wurde, waren wichtige inhaltliche, gestalterische und konzeptionelle Grundsätze moderner Gedenk- und Dokumentationsstätten, wie vor allem der Umgang mit den Relikten historischer Orte, bereits anderenorts entwickelt und erprobt worden. Der internationale Beirat, der von der Stiftung Topographie des Terrors im Auftrag von Abgeordnetenhaus und Senat im August 2005 als ein Gremium von internationalen Experten berufen wurde, konnte daher nicht nur auf umfangreiche Vorarbeiten der Gedenkstätteninitiativen, Geschichtswerkstätten und des Fördervereins  sowie des Bezirksamtes und der Architekten rekurrieren, sondern auch auf die bereits vorliegenden Erfahrungen mit der Transformation authentischer Orte in zeithistorische Museen und offene Lernorte.  Trotzdem war der enorme Termindruck, unter dem im August 2005 der internationale Beirat seine Arbeit aufnahm, bemerkenswert. Die damalige Kulturstaatssekretärin Barbara Kisseler formulierte gleich zu Beginn die ehrgeizige Zeitvorgabe des Senats: noch vor der Sommerpause des Parlaments 2006, also in einem knappen Jahr, sollte die in Teilen des 1943 erbauten ehemaligen Doppellagers Nr. 75/76 eine Erinnerungs- und Dokumentationsstäte mit einer Ausstellung  sowie ein moderner Lernort entstehen. In maximal vier Sitzungen sollten, so formulierte der Direktor der „der Stiftung Topographie des Terrors“ Dr. Andreas Nachama,  seine Erwartungen, der internationale Beirat die gestalterische und inhaltliche Konzeption sowie das künftige Arbeitsprogramm der zu schaffenden Einrichtung beraten. Aus dem miteinander eng verschlungenen Bündel der Fragen, die der Beirat diskutieren und beschließen sollte, will ich einige wenige aufzählen: Welchen Teil des ehemaligen Lagers soll die künftige Einrichtung umfassen? Welche Empfehlungen werden hinsichtlich Erhalt, Rückbau und Rekonstruktion des historischen Ortes gegeben? Welche primäre Ausrichtung soll die Einrichtung haben, soll sie primär Museum, Gedenkstätte, Dokumentationszentrum oder Lernort sein? Welchen Stellenwert soll die Nachkriegsnutzung haben? Was folgt aus der bauhistorischen Untersuchung für den Umgang mit dem Ort? Soll eine Sammlung aufgebaut und folglich ein Archiv und ein Depot eingerichtet werden? Welchen Stellenwert soll die wissenschaftliche Forschung einnehmen? Welche Zielgruppen sollen angesprochen werden? Wie ist das Verhältnis zu den Nachbarn sowohl in den umliegenden Wohnhäusern als auch den Nutzern der Lagerbaracken und des Geländes zu entwickeln?

Ich könnte diese Aufzählung leicht fortsetzen, zumal selbstverständlich im Laufe der Besichtigungen des Ortes und der Debatten auch mit externen Beratern, Fachleuten und Politikern immer neue Perspektiven sich öffneten, Fragen und Probleme, Hindernisse und Sachzwänge sich auftürmten. Aus den dankenswerterweise akribisch und genau geführten Verlaufsprotokollen der drei jeweils zweitägigen Sitzungen des internationalen Beirates lassen sich m. E.  folgende zentralen Diskussionskomplexe zusammenfassen. Doch bevor ich dies tue, möchte ich die Mitglieder des internationalen Beirates, die sich diesem ungewöhnlichen Arbeits- und Termindruck unterworfen haben namentlich nennen: Gabriele Hammermann, damals stellvertretende Leiterin der KZ.-Gedenkstätte Dachau, Tanja Ronen, die das israelische Getto-Kämpfer-Museum Beit Lohamei Hagetaot vertrat, Andrea Theissen, Sprecherin des Arbeitskreises Regionalgeschichtlicher Museen Berlin, Karen Till von der Universität of Minnesota, Jacub Deka von der Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung, Thomas Jelinek vertrat den Deutsch-tschechischen Zukunftsfond und der Historiker Pavel Polian, nahm als ein Experte für die Aufarbeitung der Zwangsarbeit von Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion an den Beratungen teil. Als Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen hatte ich die Ehre, die Sitzungen des Beirats als Vorsitzender zu leiten. Trotz der im Beirat versammelten Fachkenntnis hätte das ehrgeizige Programm zweifellos nicht ohne die Unterstützung und den Rat zahlreicher weiterer Sachverständiger bewältigt werden können. Einige wenige will ich stellvertretend nennen: Gisela Wenzel von der Berliner Geschichtswerkstatt, Cord Pagenstecher vom Förderverein,  Thomas Lutz von der „Stiftung Topographie des Terrors“, der Historiker Helmut Bräutigam, der Bauhistoriker Axel Drieschner, die Bezirksstadträtin Eva Mendl, Rainer Klemke und Michaela Werner von der Verwaltung des Berliner Kultursenators sowie Gabriele Layer-Jung, die Vorsitzende des Fördervereins. Neben Frau Kisseler engagierten sich auch viele Berliner Politiker persönlich, indem sie  an den einzelnen Beratungen des Beirates teilnahmen, so Kultursenator Thomas Flierl, Abgeordnetenhauspräsident Walter Momper, Vizepräsident Christoph Stölzl und die Vorsitzende des Kulturausschusses Alice Ströver.

Folgende drei Schwerpunkte der Diskussionen und Fragestellungen lassen sich m. E. zusammenfassen und bündeln, auch wenn dabei die wichtigsten Sachfragen, die es zu entscheiden galt, nur angedeutet werden können:

  1. Auf der Grundlage des vom Architektenbüro Rother& Rother bereits weit entwickelten Gestaltungsentwurfs mussten Empfehlungen hinsichtlich der unterschiedlichen Nutzung der Baracken, des denkmalpflegerischen Umgangs mit den teilweise stark infolge der Nachnutzungen im Innern und Äußeren veränderten Bauten sowie den Umgebungsflächen beraten werden. Grundsätzlich begrüßte der Beirat den Entwurf des Architektenbüros, konnte ihm allerdings nicht in der Ausgestaltung verschiedener ästhetischer Elemente folgen, etwa in der vorgeschlagenen Fassadengestaltung mittel Gabionen oder einer Besucherführung mittels aufgelegter Stege. Auch über eine vom Beirat fast einstimmig empfohlene Verlegung des Eingangs des Dokumentationszentrums von der Britzer in die Köllnische Straße wurde lange beraten. Vor allem die symmetrische Anlage des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers, dessen südlicher, in historischen, mehr oder weniger original erhaltenen Gebäuden umgenutzter Teil erfahrbar bleiben und damit eine perspektivische Erweiterung des Dokumentationszentrums erleichtern sollte, sprach aus Sicht des Beirats für einen, ggf. zusätzlichen Eingang am ehemaligen Wirtschaftsgebäude.
  2. Die Bezeichnung des neue zu schaffenden Ortes als Dokumentationszentrum ließ weitgehend offen, inwieweit neben der Information von Besucherinnen und Besuchern auch forschen, sammeln, gedenken und lernen zu seinen Zielen gehören sollten, wie es im Begriff des zeithistorischen Museums mit besonderen humanitären und bildungspolitischen Aufgaben inkludiert ist, der sich in den neunziger Jahren als Standard von modernen Gedenkstätten herausgebildet hatte. Obwohl die bewilligte Personalausstattung aus Sicht des Beirates äußerst knapp war, wollte er letztlich auf diesen umfassenden Anspruch nicht verzichten.
  3. Sehr viel schwieriger als die Aufgabenbestimmung gestaltete sich die inhaltliche Fokussierung. Sollte der neu zu schaffende Lernort hauptsächlich einen regionalen Schwerpunkt bilden oder ein nationales, vielleicht sogar europäisches Zentrum schaffen. Gerade die ausländischen Beiratsmitglieder drängten auf eine internationale Perspektive. Ähnlich verliefen die Debatten über die Fragen der Repräsentativität und Diversität der darzustellenden Opfergruppen. Dabei erwies sich der in der Entschädigungsfrage durchgesetzte, jedoch historisch schillernde und pauschalisierende Begriff der „Zwangsarbeiter“ als wenig hilfreich. Angesichts einer relativ kleinen Ausstellungsfläche von 400 Quadratmetern war es, wie der Beirat festgestellte, ein schwieriges Unterfangen, möglichst alle Gruppen von Zwangsarbeitern, von zivilen Fremdarbeitern über italienische Militärinternierte, Ostarbeiter, sowjetische Kriegsgefangene, Juden bis hin zu Häftlingen der Konzentrationslager, darzustellen. Dabei könnten, so die ergänzenden Befürchtungen des Beirates, historische Kontexte, insbesondere auch die unverzichtbare Darstellung der Verstrickung der privaten Wirtschaft in die NS-Verbrechen, angesichts des Platzmangels nicht ausreichend thematisiert werden. Der Beirat empfahl daher, den Schwerpunkt in der Dauerausstellung auf die Behandlung der zivilen Zwangsarbeit zu legen und  andere Opfergruppen lediglich im Kontext mit der Geschichte des Ortes bzw. in wechselnden Sonderausstellungen zu behandeln.

 

Die letzte Sitzung des Beirates fand am 16. und 17. Januar 2006 statt, rechtzeitig vor dem Beginn der Bauarbeiten. Die sehr intensiven Diskussionsergebnisse und umfangreichen, teilweise detaillierten  Empfehlungen des internationalen Beirates wurden danach dem Stiftungsrat der „Stiftung  Topographie des Terrors“ übergeben. Dabei fanden sie zum großen Teil Eingang in das formell beschlossene Konzept für das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Berlin-Schöneweide.