Neujahrsempfang des Arbeitskreises der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten 2. Februar 2017

NEUJAHRSEMPFANG DES ARBEITSKREISES DER BERLIN-BRANDENBURGISCHEN GEDENKSTÄTTEN

AM 2. FEBRUAR 2017

Prof. Dr. Günter Morsch
Sehr geehrter Herr Senator Lederer

Sehr geehrter, lieber Herr Dr. Eberhardt,

lieber Herr Gutzeit,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

im Namen des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten in Berlin-Brandenburg heiße ich Sie alle zu unserem vierten Neujahrsempfang der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten willkommen. Ich begrüße insbesondere die Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses und des Brandenburgischen Landtages. Wir freuen uns über die Anwesenheit von Mitgliedern des diplomatischen Chors sowie von Vertretern der Opferverbände, der christlichen Kirchen jüdischen Gemeinden sowie des Zentralrats der Juden in Deutschland. Ich möchte vor allem Herrn Dr. Eberhardt sowie der „Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ meinen ganz herzlichen Dank dafür sagen, dass wir nicht nur hier bei Ihnen zu Gast sein dürfen, sondern dass sie auch diesen Empfang ausrichten. Bis zum heutigen Neujahrsempfang war die „Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ Gastgeber unserer kleinen Veranstaltung. Daher war es höchste Zeit, dass die Lasten und Pflichten, die die SED-Aufarbeitungsstiftung immer gerne übernommen und vortrefflich ausgefüllt hatte, einmal auf andere Schultern wechseln. Es hat meinerseits wenig Überzeugungsarbeit bedurft, um Herrn Dr. Eberhardt, der spätestens seit seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter  im „Verein gegen Vergessen für Demokratie e. V.“ den Gedenkstätten auch persönlich verbunden ist, für die Ausrichtung unserer heutigen Veranstaltung zu gewinnen. Nochmals: ganz herzlichen Dank, Ihnen, lieber Herr Eberhard, und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dafür!

Der Neujahrsempfang ist für die beiden Arbeitskreise der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten ein guter Anlass, um im zwanglosen Rahmen mit Kolleginnen und Kollegen sowie mit unseren Gästen hoffentlich nicht nur über die Geschichte beider Diktaturen ins Gespräch zu kommen. In beiden Arbeitskreisen arbeiten auch Verbände und Organisationen mit, die die Arbeit der Gedenkstätten begleiten und unterstützen. Diese Zusammenarbeit steht für eine Besonderheit der deutschen Erinnerungskultur, die eben nicht nur durch mehr oder weniger staatlich finanzierte Institutionen ausgestaltet wird, sondern auch durch Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft, insbesondere auch durch die Betroffenen. Allerdings sind letztere in den NS-Gedenkstätten, anders als in den SED-Gedenkstätten, fast ausschließlich inzwischen engagierte Bürgerinnen und Bürger sowie maximal Angehörige ehemalige Opfer des NS-Terrors. Leider gibt es nur noch vereinzelt Zeitzeugen, die die nationalsozialistische Diktatur am eigenen Leibe erleiden mussten. Die NS-Gedenkstätten haben über viele Jahre sehr eng mit den Überlebenden des NS-Terrors und des Widerstandes zusammengearbeitet. Diese Menschen, die uns, die Vertreter der Gedenkstätten, neben ihrer Erfahrung, ihrem Wissen und ihrem Rat vor allem auch ein gutes Stück weit die Kraft und die Motivation gegeben haben, um manchen nicht einfachen Kampf um die Erinnerung durchzustehen, sie fehlen uns und wir vermissen sie schmerzlich.

Dieser unersetzliche Verlust, den das Ende der Zeitzeugenschaft für uns bedeutet,  wird uns besonders jetzt vor Augen geführt. Wieder einmal mehren sich Stimmen, die die mühsam in den vergangenen 72 Jahren in vielen heftigen Kämpfen erstrittene Erinnerungskultur an die Verbrechen des „Dritten Reiches“ in Deutschland zur Disposition stellen. Dabei muss man nicht allein an solche Extremisten denken, die die NS-Gedenkstätten als Ausdruck einer Kultur der Schande denunzieren. Unter dem Verdikt der „politcial correctness“ und des sogenannten „Gutmenschentums“ verbergen sich nicht selten, grundsätzliche Bedenken, wonach Deutschland endlich seinen, wie es heißt, „Schuldkult“ aufgeben solle. Das, wie Aleida Assmann, formuliert hat „Neue Unbehagen an der Erinnerungskultur“ scheint auch in den Feuilletons selbst liberaler Zeitungen gelegentlich auf und bemäntelt sich geschickt mit ernster Sorge vor einem angeblich vor allem unter deutschen Jugendlichen um sich greifenden Überdruss an der Geschichte des Nationalsozialismus. Nun soll  hier nicht bestritten werden, dass manche Lehrerinnen und Lehrer und auch manche Medien des Guten zu viel tun. Doch unsere Erfahrungen in den Gedenkstäten sind andere: Zum einen erfreuen wir uns fast alle eines wachsenden Interesses, gerade auch junger Menschen. Das Problem der Gedenkstätten ist nicht etwa, Besucher zu mobilisieren, sondern im Gegenteil, wie wir angesichts der ständig zunehmenden, die logistischen und personellen Kapazitäten der Gedenkstätten weit überfordernden Anfragen noch eine, unseren selbst gesteckten Ansprüchen gemäße qualitativ hochwertige Bildungsarbeit realisieren können.  Da sich nun die vorliegenden Besucherzahlen nicht leugnen lassen, unterstellt der eine oder andere Kritiker, dass die Jugendlichen unter mehr oder weniger starkem Zwang die Gedenkstätten aufsuchen. Lässt sich auch dies überwiegend widerlegen, so bewerten andere das Interesse der Millionen Besucherinnen und Besucher als Ausdruck eines „dark tourism“, bei dem es den Menschen weniger um Information und Geschichtsbewusstsein als um emotionale Erlebnisse und geschichtsblinden Authentizitätskult ginge.

Es lässt sich nicht abstreiten, dass unter den Millionen Menschen, die aus aller Welt die Gedenkstätten besuchen, auch solche Motive eine Rolle spielen. Doch wer sich z. B. den in den Feuilletons viel rezensierten und überwiegend positiv besprochen Film „Austerlitz“ in ganzer Länge anschaut, der findet für die herablassende Arroganz des Regisseurs gegenüber anonymen Menschenmassen viele Belege, für die von ihm behauptete Gleichgültigkeit und Würdelosigkeit jedoch kaum. Es sei denn, man hält Besucher, die sich bei über 40 Grad Hitze im Schatten auf den offenen, der Sonne ungehindert ausgesetzten Freiflächen mit luftiger Kleidung oder sogar mit Regenschirmen schützen, per se für Kultur- und Gedenkbanausen. Bezeichnenderweise fehlen in den neunzig Minuten schwarz-weißer, durch Teleobjektive verzerrten Aufnahmen, Bilder aus den (häufig überfüllten) Ausstellungen. Dort kann die drängende, sachlich fundierte  Neugier und das überwiegend große Interesse der meisten Besucherinnen und Besucher an der Geschichte der Orte leicht in Bildern festgehalten werden, wenn der Regisseur es denn gewollt hätte.

 

Zum anderen müssen wir den angeblichen Überdruss vieler Jugendlicher an der NS-Geschichte mit dem nicht selten von unseren Pädagogen beklagten allgemeinen Rückgang der Geschichtskenntnisse in einem Zusammenhang betrachten. Repräsentative Evaluationen haben zeigen können, dass häufig ausgerechnet diejenigen Jugendlichen eine „Überfütterung“ beklagen, die die geringsten Geschichtskenntnisse haben. Trotzdem müssen wir solche Abwehrreaktionen ernst nehmen, auch wenn umfangreiche Befragungen, wie sie etwa vom „Zeit-Magazin“ oder der Friedrich-Ebert-Stiftung vorgenommen wurden, übereinstimmend ein nach wie vor vorhandenes oder sogar eher wachsendes großes Interesse an der Geschichte des Nationalsozialismus im Allgemeinen und an den Gedenkstätten im Besonderen belegen.

Der Arbeitskreis der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten hat sich deshalb in den beiden vergangenen „Foren zur zeithistorischen Bildung“, auf denen Lehrkräfte und Gedenkstättenmitarbeiter in einen Austausch treten, verstärkt und intensiv mit den Fragen einer stärkeren Subjektbezogenheit historisch-politischer Bildung beschäftigt. Wie kann es gelingen zwischen der heutigen Lebenswelt von Jugendlichen einerseits und der Geschichte der Diktaturen andererseits Brücken des Interesses zu bauen? Nicht nur die Vermittlung von Gegenwartsbezügen war damit gemeint, sondern intendiert waren auch Fragen nach den Folgen für die Bildungsarbeit der Gedenkstätten, wie sie sich aus der zunehmenden Diversität und Multikulturalität unserer Gesellschaft ergeben. Beide Arbeitskreise der Berlin-Brandenburgische Gedenkstätten werden sich auch im zukünftigen „Forum für zeitgeschichtliche Bildung“, das voraussichtlich im Oktober diesen Jahres stattfinden wird, weiter damit auseinandersetzen, wie die Formen außerschulischer Pädagogik an den Gedenkstätten den  veränderten Sozial-, Kultur- und Bildungsstandards besser angepasst werden können.

 

Bei all meiner Kritik an einer sich modisch gebenden Skepsis gegenüber der Erinnerungskultur in Deutschland will ich es nicht versäumen auch auf das Gegenteil hinzuweisen. In den meisten politischen Parteien, unter den Abgeordneten von Bundestag und Landtagen, bei Ministerien und Verwaltungen finden die Gedenkstätten auch viel Unterstützung und Hilfe. Gerade vielen Politikern ist bewusst, wie wichtig die Fundierung einer historisch-politischen Bildung angesichts der in Teilen der Bevölkerung zunehmenden Demokratieskepsis und der sich in Europa und Übersee immer mehr verbreitenden nationalen Bewegungen ist. Dort, wo sich gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und nationale Hybris ausbreitet, benutzen Demagogen und Populisten gerne Versatzstücke der Geschichte und rühren sie zu einem kruden, zumeist alten Brei zusammen, um neuen Hass wachsen zu lassen. Wir konnten in den vergangenen Jahren erleben, wie aus der Erinnerung an verlorene oder gewonnene Schlachten, die hunderte von Jahren zurücklagen, nationale Überheblichkeit, Rassismus und Menschenverachtung erzeugt werden. Geschichte hat ein malignes Potential, das wie aus der Büchse der Pandora emporsteigen und menschliche Empfindungen vergiften kann. Wir, die Gedenkstätten, die an die Folgen staatlicher Gewalt erinnern und darüber informieren, können etwas dagegen tun, vielleicht sogar mehr als andere Bildungseinrichtungen. Wenn sich die Gesellschaft und die Politik aber bewusst sind, dass auch die Gedenkstätten nur ein Puzzleteil im Mosaik der historisch-politischen Bildung sind, dann brauchen auch wir, die Gedenkstätten, uns vor Überfrachtung und Überforderung nicht zu fürchten, sondern sollten auch weiterhin die Herausforderungen im Sinne von Demokratieerziehung und Menschenrechtsbildung  annehmen.

 

Ich danke Ihnen!