Neujahrsempfang der Arbeitskreise I und II der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten 2015

NEUJAHRSEMPFANG DES ARBEITSKREISES DER BERLIN-BRANDENBURGISCHEN GEDENKSTÄTTERN

AM 3. FEBRUAR 2015

GRUSSWORT

Prof. Dr.: Günter Morsch

 

Sehr geehrte Frau Dr. Kaminsky,

lieber Herr Gutzeit,

sehr geehrter Herr Eppelmann,

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

zunächst einmal möchte ich mich im Namen des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten in Berlin und Brandenburg ganz herzlich bei denjenigen bedanken, die nun zum zweiten Mal diesen Neujahrsempfang ermöglicht und organisiert haben. Ich danke vor allem auch der Bundesstiftung zur Aufarbeitung  der SED-Diktatur dafür, dass wir in ihren Räumen zu Gast sein dürfen.

„Gedenken“, so heißt es durchaus kritisch in einem Artikel von Caroline Fetscher im Berliner „Tagesspiegel“, „war die kulturpolitische Vokabel des Jahres 2014“. Im Vordergrund des Gedenkjahres standen dabei wohl vor allem der einhundertste Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkrieges sowie der 25. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer. Im Schatten dieser Großevents, aus deren Anlass die Medien in Zusammenarbeit mit Politik und Bildungseinrichtungen, darunter in vorderster Linie auch den Gedenkstätten, das Publikum mit einer riesigen, beeindruckenden Welle von Veranstaltungen, Filmen, Publikationen und Ausstellungen zu überfluten drohten, fanden andere Jahrestage keine oder kaum Beachtung. Während die Sonderausstellung zum Warschauer Aufstand in der Topographie des Terrors und die Eröffnung der neuen Dauerausstellung in der Gedenkstätte deutscher Widerstand nicht zuletzt aufgrund der Teilnahme prominenter Staatsgäste und Politiker auch den ein oder anderen Aufmerksamkeitserfolg für sich verbuchen konnten, blieben andere, durchaus bedeutsame historische Ereignisse, wie z. B. der 75. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkrieges, fast völlig unbeachtet. Wer, warum und wie auf welche historische Ereignisse das Gedenkjahr hin maßgeblich orientiert, darüber gibt es leider zuvor keinen offenen gesellschaftlichen Diskurs, sondern das wird wohl hauptsächlich durch die bestimmt, die auch das Geld dafür zur Verfügung stellen. Die Gedenkstätten sind dabei sicherlich wichtige Akteure, aber auf die maßgeblichen Entscheidungen haben sie nur wenig Einfluss.

Auch das gerade begonnene Jahr 2015 verspricht aller Voraussicht nach ein solches herausragendes Gedenkjahr zu werden. Der 70. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus sowie der 25. Jahrestag der deutschen Einheit sind die beiden in diesem Zusammenhang wohl wichtigsten historischen Anlässe. Auch wir, die Gedenkstätten, bereiten uns darauf mit großem Engagement, gestützt auf finanzielle Sondermittel und eigens aufgelegte Förderprogramme, vor. Der Erfolg solcher Jahrestagskampagnen, wie sie auch 2013 mit dem umfassenden Kulturprogramm „zerstörte Vielfalt“ stattfand, scheint der Entwicklung recht zu geben: die meisten Veranstaltungen sind gut besucht und erreichen weit über das traditionelle Gedenkstättenpublikum hinausreichende Bevölkerungsteile, das Medienecho ist außerordentlich beeindruckend und die zumeist finanziell und personell schlecht ausgestatteten Gedenkstätten, nicht nur die großen Tanker, sondern auch die kleinen, häufig ehrenamtlich betriebenen Einrichtungen, können sich neue Finanzierungsquellen erschließen. Häufig wird außerdem positiv hervorgehoben, dass mit diesen historischen Events und Kampagnen das Gedenken und Erinnern den Anschluss nicht nur an moderne, zeitgemäße kulturelle Kommunikations- und Vermittlungsformen gefunden zu haben scheint, sondern dass dadurch auch eine Brücke zwischen der Vergangenheit in die Gegenwart geschlagen wird. Ohne diesen Bezug zu den heutigen Fragen und Problemen, so heißt es, sei die Vergangenheit tot und gerade für die nachwachsenden Generationen uninteressant. Geschichte habe für die heutige Gesellschaft keinen Wert sui generis, sondern nur dann,  wenn sie ihren Nutzen für die Gegenwart erweist.

„Fragen an die deutsche Geschichte“, so hieß eine viel besuchte Ausstellung der Bundeszentrale für politische Bildung, die über mehrere Jahre im Reichstag gezeigt wurde, auf dessen Gesimsen damals noch die eine oder andere Birke wuchs. Das erklärte Ziel der wie ein Buch gestalteten Dokumentation war es, über die Aufarbeitung der Vergangenheit, insbesondere der Mechanismen und Ursachen der Machtergreifung des Nationalsozialismus, zu kritischen Fragen nach Problemen und Defiziten der damaligen Bonner Demokratie hinzuführen. Die Kenntnis der Geschichte sollte die Besucherinnen und Besucher dazu befähigen, kritische Fragen an Gegenwart und Zukunft zu stellen, um besser und früher Gefährdungen, Unrecht und Ungerechtigkeit erkennen zu können. Dieser kritische Impetus darf, so meine ich, auch im Zeichen der großen Gedenkevents nicht verloren gehen.

Wenn nachwachsende Generationen nämlich den Eindruck erhalten, daß Geschichte in einfache Lehrsätze gepresst wird, daß ihre Fragen durch fertige Antworten erstickt werden, dass Vergangenheit für die Legitimation der Gegenwart instrumentalisiert wird und dass Geschichte nicht als ein offener Prozess begriffen wird, bei dem es immer auch Alternativen gab, dann verleidet man den jungen Menschen den Umgang mit der Geschichte, tötet ihre Neugier ab und verhindert, daß aus der Geschichte Fragen an die Gegenwart und an die Zukunft entwickelt werden. Wer den nachwachsenden Generationen die Legitimation bestreitet, über die Vergangenheit kontrovers zu diskutieren, der versperrt ihr auch die Sicht auf Alternativen in der Gegenwart.

Moderne Gedenkstätten dürfen sich daher nicht zu Orten zurück entwickeln, in denen die Widersprüchlichkeit historischer Prozesse einer politischen Botschaft untergeordnet wird und sei sie noch so ehrenwert. So klar wie die Empathie mit den Opfern staatlichen Terrors in den Ausstellungen zu einem die Darstellung leitenden Prinzip herausgearbeitet werden muß, so deutlich aber muß auch jeder tagespolitisch motivierten Vereinfachung von Geschichte Im Namen des Gedenkens widersprochen werden.

Vielen älteren Besucherinnen und Besuchern, darunter nicht wenigen Zeitzeugen, fällt es verständlicherweise schwer, den modernen Begriff von Gedenkstätten zu akzeptieren, die keine reinen Heldengedenkstätten mehr sein können, sondern offene Lernorte, zu denen selbstverständlich auch die Darstellung der Täter und des Scheiterns  gehört. Doch gibt es dazu keine Alternative, wollen Gedenkstätten nicht zu Denkmälern erstarren, die niemand mehr beachtet, da sie ihre Wirkungskraft eingebüßt haben. Die Zukunftsfähigkeit der Gedenkstätten wird sich zunehmend daran bemessen, ob sie es schaffen, dem von verschiedenen Seiten, nicht zuletzt auch von Teilen der Politik, ausgeübten Druck zur Vereinheitlichung, Vereinfachung und Moralisierung der Geschichte zu widerstehen.

Die vom Arbeitskreis der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten ausgerichteten Foren für zeitgeschichtliche Bildung haben sich darin bewährt, solche grundsätzliche Fragen historischer Bildung zu diskutieren. So konnte der in bildungspolitischen Debatten teilweise als Werterelativismus kritisierte „Beutelsbacher Konsens“ im Ergebnis auch unserer Foren für zeitgeschichtliche Bildung und im Einvernehmen zwischen den meisten NS- und SED-Gedenkstätten bekräftigt werden. Überwältigungs-verbot und Kontroversitäts-gebot wurden als Eckpfeiler der Gedenkstättenpädagogik nicht zuletzt  im Ergebnis unserer Foren  bestätigt.

Auch im diesjährigen Forum für zeitgeschichtliche Bildung, das in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück stattfindet, werden wir uns mit grundlegenden Fragen zukünftiger historischer Bildung beschäftigen. Die von den Landesregierungen in Berlin und Brandenburg zur Diskussion gestellten und  bereits teilweise kontrovers diskutierten neuen Rahmenrichtlinien für das Schulfach Geschichte in den Jahrgangsstufen 7-10 wollen wir danach befragen, inwieweit sie den Gedenkstätten als außerschulischen Lernorten neue Chancen und Möglichkeiten eröffnen. Zugleich soll die hinter den Rahmenrichtlinien stehenden Überlegungen eines stark auf das Erlernen von Kompetenzen ausgerichteten pädagogischen Programms im Hinblick auf die Entwicklung geeigneter pädagogischer Projekte in den Gedenkstätten untersucht werden.  Auch die in den Rahmenrichtlinien entwickelte Konstruktion und Definition von inhaltlichen Themenfeldern, die sowohl unterschiedliche Zeitschichten vertikal durchschneiden als auch die Schulfächer Geographie, Politische Bildung und Geschichte umfassen sollen, bedürfen eines Abgleichs mit den Realitäten, den Chancen aber auch den Zwängen  pädagogischer Projektarbeit an und mit den Gedenkstätten. Ich bin deshalb zuversichtlich, dass auch das diesjährige Forum für zeitgeschichtliche Bildung der beiden Arbeitskreise der Gedenkstätten in Berlin und Brandenburg interessant und spannend werden wird. Ich lade jetzt schon alle Kolleginnen und Kollegen, alle Lehrerinnen und Lehrer dazu ein, sich in diese wichtige Debatte um die Fortentwicklung zeithistorischer Bildung  einzubringen.