Eröffnung des neuen Museums der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten im ehemaligen Direktorenhaus der Jusizvollzugsanstaltung Brandenburg Görden, 29. April 2019

Eröffnung des neuen Museums der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten im ehemaligen Direktorenhaus der Justizvollzugsanstalt Brandenburg-Görden mit dem Titel:

„Auf dem Görden. Die Strafanstalt Brandenburg im Nationalsozialismus und in der DDR“

  1. April 2018

Begrüssung

Prof. Dr. Günter Morsch

 

Sehr geehrte Überlebende und Angehörige von Gefangenen der Strafanstalt Brandenburg,

Sehr geehrter Herr von Schlieben-Droschke,

sehr geehrter Herr Drenger,

Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Dr. Gutheil,

sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Scheller,

sehr geehrte Frau Deres,

Lieber Herr Holzschuher (MdL)]

Sehr geehrte Vertreter ausländischer Staaten,

liebe  Frau Dr. de Pasquale

 

meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

Im Namen der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten darf ich Sie zunächst alle ganz herzlich zur Eröffnung unseres neuen Museums im ehemaligen Direktorenhaus der Strafanstalt Brandenburg-Görden begrüßen.

„Seid wachsam und wehret den Anfängen!“ Mit dieser Mahnung schloss Walter Hammer 1955 die Einleitung zu seinem in hoher Auflage weit verbreiteten Buch „Hohes Haus in Henkers Hand“ ab. Der ehemalige Gefangene  des Zuchthauses Brandenburg Görden, der zuvor mehrere Konzentrationslager, darunter auch Sachsenhausen, durchlitten hatte, hatte noch während seiner Gefängnishaft  damit begonnen, Dokumente und Akten zu sammeln, um sie nach der Befreiung vom Nationalsozialismus für den Aufbau eines Archivs und einer Gedenkstätte zu nutzen. Seinen Plan, in der ehemaligen Strafanstalt eine Gedenkstätte und ein Museum einzurichten, konnte er nicht mehr verwirklichen. Um seiner Verhaftung zu entgehen, musste der Publizist, Schriftsteller und Verleger 1950 aus der DDR fliehen. Etwa zur gleichen Zeit füllten sich die Zellen der Strafvollzugsanstalt Brandenburg erneut mit Gefangenen,  die, wie z. B. Angehörige der Zeugen Jehovas, als Gegner des kommunistischen Staates inhaftiert wurden.

Erst Mitte der siebziger Jahre richtete die DDR in den ehemaligen Hinrichtungsräumen des Zuchthauses eine kleine Gedenkstätte zur Erinnerung an, wie es hieß,  den „Widerstandskampf der antifaschistischen Häftlinge“ ein. Seitdem fanden an dem inmitten der Strafanstalt nur schwer zugänglichen historischen Ort regelmäßige Gedenkveranstaltungen statt. Dabei wurde vor allem der etwa 2.000 Opfer gedacht, die als politische Häftlinge zwischen 1940 und 1945 von der nationalsozialistischen Justiz verurteilt und durch Guillotine oder Strick grausam hingerichtet worden waren. 1970, zum 25. Jahrestag der Befreiung der Häftlinge des Zuchthauses Brandenburg, kam es zu einem kleinen, aber trotzdem bemerkenswerten Zwischenfall: Rudi Wunderlich, der für die Organisation der Gedenkveranstaltung verantwortliche wissenschaftliche Mitarbeiter des Komitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer, hatte den bekannten DDR-Dissidenten Robert Havemann zur Gedenkfeier eingeladen. Wunderlich, selbst ein Überlebender des KZ Sachsenhausen, würdigte mit seiner Einladung weniger den bekanntesten DDR-Oppositionellen als den Gründer und Kämpfer der sozialistischen Widerstandsgruppe „Europäische Union“. Denn während seine Freunde und Kameraden, wie der Arzt Georg Großkurth, im Mai 1944 in der in Sichtweite Havemanns eingerichteten Garage hingerichtet wurden, hatte es der Chemiker verstanden, unter Vorwänden die Vollstreckung seines Todesurteils hinauszuzögern.  All das zählte aber nicht: Wunderlich wurde entlassen. Er starb 1988, ohne seine Rehabilitation erreicht zu haben.

Nach der friedlichen Revolution 1989/90, in deren Verlauf es auch zu einem Aufstand der Gefangenen in der DDR-Strafanstalt Görden kam, war der damaligen Landesregierung vor allem daran gelegen, in einer Art politischer Gegenreaktion die hochfliegenden Pläne Honeckers zum Bau einer neuen und riesigen Mahn- und Gedenkstätte Brandenburg auf dem Marienberg auf ein möglichst geringes Niveau zurückzuschneiden. Selbst die äußerst bescheidenen Vorschläge der von der Landesregierung eingesetzten Expertenkommission 1991 wurden noch unterschritten. Von einer Darstellung der Rolle der Strafanstalt bei der Verfolgung der politischen Opposition in der DDR war zur damaligen Zeit überhaupt keine Rede. Die 1993 gegründete Stiftung Brandenburgische Gedenkstätte hat diese hauptsächlich politisch begründeten Restriktionen für den zur Dokumentationsstelle herabgestuften historischen Ort  von Anfang an für falsch und überzogen erachtet. Sie suchte deshalb immer wieder nach geeigneten Räumen und Möglichkeiten in der Stadt Brandenburg, um außerhalb des Sicherheitsbereichs der Justizvollzugsanstalt die Geschichte dieses in beiden deutschen Diktaturen wichtigen und zentralen historischen Orts darstellen zu können.  Doch nur selten fanden wir die dafür notwendige Unterstützung von Regierung und Politik.  Umso mehr haben wir uns darüber gefreut, dass wir in der Stadt Brandenburg, u. a. durch Oberbürgermeisterin Sieglinde Tieman sowie  Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg sowie den Landtagsabgeordneten Ralf Holzschuher auf Verständnis und Hilfe stießen. Leider aber verhallten auch die eindrucksvollen Appelle der überlebenden Gefangenen, an ihrer Spitze der unermüdlich bis zu seinem Tod 2007 für ein neues Museum und eine neue Ausstellung werbende und  kämpfende jüdische Überlebende, Günter Nobel,  sowie der nicht weniger engagierte ehemalige tschechische Widerstandskämpfer Jaroslav Vrabec, beide Mitglieder des internationalen Beirats der Stiftung, nur allzu oft. Auch die verschiedenen Regierungen der Bundesrepublik Deutschland überhörten die Empfehlung der Bundestags-Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur“ sowie vieler Gutachter der Gedenkstättenkonzeption des Bundes die Gedenkstätte in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg-Görden  formell in die Liste der institutionell geförderten Einrichtungen aufzunehmen.

Ein Wendepunkt in der bis dahin eher deprimierenden Entwicklung unserer  in der „Wiege der Mark“ ansässigen Gedenkstätte  wurde 2002 mit der internationalen wissenschaftlichen Tagung unter dem Titel „Perspektiven für die Dokumentationsstelle Brandenburg“  in der hiesigen Justizschule erreicht. Zahlreiche Forscherinnen und Forscher arbeiteten in vergleichender Perspektive und mit wissenschaftlicher Akribie den besonderen, überregionalen und internationalen Rang und die Bedeutung der Stadt Brandenburg als Standort der ersten Gaskammer zum Massenmord an Tausenden von Kranken im sogenannten alten Zuchthaus einerseits sowie als Ort der politischen Repression in der ursprünglich als Reformanstalt gebauten Anlage auf dem Görden andererseits eindrucksvoll heraus. Von großer Bedeutung dafür war auch, dass mit den wissenschaftlichen Forschungen von Leonore Ansorg und Sylvia de Pasquale wichtige historische Grundlagen für eine Ausstellungskonzeption gelegt wurden. Dabei konnte über die bisherige Einschränkung auf die Bedeutung der Strafanstalt für die politische Verfolgung hinaus auch die herausgehobene Rolle des Zuchthauses bei den Verfolgungsmaßnahmen im Rahmen der kriminalbiologisch und rassenhygienisch begründeten nationalsozialistischen Vernichtungspolitik erforscht werden.

Den entscheidenden politischen Durchbruch allerdings brachte eine ministerielle Vereinbarung,  die unter der seit 2009 amtierenden neuen Landesregierung geschlossen wurde. Gerne nenne ich hier die Namen der drei entscheidenden Minister der Landesregierung,  zumal der damals heftig angefeindeten rot-roten Koalition – und natürlich auch mir persönlich als Direktor der Stiftung –  bis heute von Seiten einzelner Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft nicht selten, aber trotzdem  fälschlicherweise ein Vertuschen der DDR-Geschichte in der Strafanstalt Brandenburg-Görden  unterstellt wird. Es waren die Kulturministerin Prof. Sabine Kunst, der stellvertretende Ministerpräsident und Finanzminister Dr. Helmuth Markow sowie Justizminister Volkmar  Schöneburg, die der Stiftung das ehemalige, weitgehend original erhaltene  Direktorenhaus als künftiges Museum für die Geschichte der Strafanstalt Brandenburg-Görden im Nationalsozialismus ebenso wie in der DDR sowie die Finanzierung sowohl der nicht unaufwendigen Gebäudesanierung als auch der Ausstellung  in Aussicht stellten. Dem Versprechen der Landesregierung, zu dem diese auch in der darauf folgenden, neuen Legislaturperiode  allen personellen Veränderungen zum Trotz unverändert stand, schloss sich schließlich auch die Bundesregierung an. Ich möchte mich daher an erster Stelle bei der Landes- sowie der Bundesregierung dafür bedanken, dass die Stiftung dieses in den 25 Jahren seit ihrer Gründung lange Zeit vergeblich angestrebte Museums- und Gedenkstättenprojekt endlich realisieren konnte. Eine große Hilfe dabei war auch die Bereitschaft der Leiterin der Justizvollzugsanstalt Petra Wellnitz und ihrer Vollzugsbeamten, der Stiftung immer wieder helfend zur Seite zu springen und uns schließlich für die heutige Veranstaltung ihre Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen.

Dabei erwies sich der Umbau des ehemaligen Wohnhauses des Anstaltsdirektors, anders als zunächst vermutet, als ein schwieriges Bauvorhaben. Ich danke dem Architektenbüro Uli Krieg sowie dem Brandenburgischen Landesbetrieb für Liegenschaften und Bauten für die gelungene Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes sowie die Errichtung eines kleinen Anbaus. Der Firma „Tatwerk“, die auf die häufig nicht einfach umzusetzenden Ideen und Vorstellungen von uns Historikern stets bereitwillig eingegangen ist,  danke ich für die sehr gelungene Gestaltung der Ausstellung. Den ehemaligen Gefangenen der Strafanstalt sowie ihren Angehörigen danke ich ganz herzlich für die Bereitstellung von Exponaten und anderen Materialien sowie ihre keineswegs selbstverständliche Mitarbeit im Rahmen von Zeitzeugeninterviews. Eine kleine Arbeitsgruppe, die wir aus dem internationalen Beirat sowie der Fachkommission der Gedenkstättenstiftung gebildet haben, hat dankenswerterweise die Erarbeitung der inhaltlichen Konzeption der Ausstellung durch Rat und Tat begleitet. Michael Viebig und Professor Dr. Nikolaus Wachsmann haben darüber hinaus an der endgültigen Abfassung der Ausstellungstexte mitgearbeitet.

Mein besonderer Dank aber gilt der Gedenkstättenleiterin Dr. Sylvia de Pasquale und ihrem relativ kleinen Team. Spätestens seit der erwähnten Konferenz im Jahre 2002 hat Frau de Pasquale – nicht zuletzt durch ihre (bei mir) geschriebene Dissertation zur Geschichte des Strafvollzugs in Brandenburg an der Havel 1920-1945 – unser gemeinsames Ziel, am authentischen Ort eine neue Gedenkstätte zu eröffnen, nie aus dem Auge verloren und beharrlich verfolgt. Obwohl sie seit ihrer Eröffnung 2012 auch unsere „Gedenkstätte für die Opfer der Euthanasie-Morde“  leitet, hat sie zur gleichen Zeit ganz maßgeblich an der Konzeption und Ausarbeitung der Ausstellung  auf dem Görden gearbeitet und auch die immer wieder von Rückschlägen betroffenen Baumaßnahmen  begleitet. Sylvia de Pasquale und ihrem Team gilt daher mein ganz besonderer Dank.

 

„Seid wachsam und wehret den Anfängen!“, wie oft ist uns dieser Satz von Walter Hammer schon über die Lippen gekommen. Er ist heute aktueller denn je. Mit einer Partei im deutschen Bundestag, in deren Anfragen an die Bundesregierung die eugenischen und rassehygenischen Vorbehalte gegen Behinderte und Ausländer, wenn auch in kruder, versteckter Form wieder postuliert werden, kann und darf es keine Kompromisse, geschweige denn Koalitionssondierungen geben.  Aber auch den erneut anwachsenden Vorurteilen gegenüber den demokratischen Prinzipien der Resozialisierung im Strafvollzug gilt es energisch zu widersprechen. Populäre Forderungen, wie z. B.  die Straftäter einzusperren und den Schlüssel wegzuwerfen, oder gar die Todesstrafe wieder einzuführen, haben mit den Prinzipien eines Rechtsstaates nichts zu tun. Dagegen will unsere Ausstellung zeigen, dass zum Herzstück der Demokratie die konsequente Bewahrung des Rechtsstaates gehört. Autoritäre und diktatorische Regime beginnen, wie gegenwärtige Beispiele in verschiedenen europäischen und außereuropäischen Ländern erneut beweisen, immer zuerst damit, rechtsstaatliche Prinzipien aufzuweichen, zu relativieren und sie schließlich  Stück für Stück sowie nach und nach abzuschaffen.  Unser neue Ausstellung, die die unvergleichlichen Verbrechen der NS-Justiz ebenso ausführlich behandelt wie das Unrecht des DDR-Strafvollzuges  soll, das wünschen wir uns, als ein beständiges und eindringliches Plädoyer für den Rechtsstaat als Herzstück jeglicher demokratischer Ordnung verstanden werden und nachhaltig in diesem Sinne  gerade auch auf junge Menschen wirken.