Erster Spatenstich für die Neugestaltung der Freifläche, 19.01.2011

ERSTER SPATENSTICH FÜR DIE NEUGESTALTUNG DER FREIFLÄCHE

AM 19. JANUAR 2011

GÜNTER MORSCH

 

Sehr geehrter Frau Dr. Berggreen-Merkel,

lieber Monsieur Bordage,

sehr geehrter Herr Cornel,

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

Im Namen der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und der Gedenkstätte Sachsenhausen begrüße ich Sie ganz herzlich. Mit dem heutigen ersten Spatenstich zur Neugestaltung der Freiflächen im ehemaligen Häftlingslager von Sachsenhausen beginnt die vierte und letzte Etappe der Realisierung des 2001 erstmals aufgelegten „Sonderinvestitionsprogramms der Bundesregierung für die KZ-Gedenkstätte der Bundeshauptstadt“. Hinter dem zugegebenermaßen eher technokratisch klingenden Begriff der Neugestaltung der Freiflächen verbirgt sich eine für das Erscheinungsbild der Gedenkstätte Sachsenhausen außerordentlich folgenreiche Baumaßnahme. Sie wird den durch die Architekten und Gestalter der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte der DDR 1961 stark überformten historischen Ort in seiner ursprünglichen Lagertopographie wieder sicht- und erfahrbar machen. Historische Spuren und Relikte, die nach den Planungen des so genannten Buchenwald-Kollektivs in voller Absicht hinter einer um den Appellplatz herumlaufenden Mauer vorborgen und durch eine mit Bäumen bepflanzte Parkanlage zugedeckt wurden, werden endlich wieder für hunderttausende von Besucherinnen und Besucher, die aus der ganzen Welt jährlich kommen und größtenteils zum ersten Mal ein ehemaliges Konzentrationslager besichtigen,  wieder selbständig les- und deutbar. Wir können und wollen  den originalen historischen Ort nicht rekonstruieren; doch was wir anstreben, ist eine auf den mündigen und aufgeklärten Bürger vertrauende, gegenüber der historischen Topographie sensible Gestaltung, die die Besucherinnen und Besucher weder emotional überwältigt oder ihnen eine spezifische Interpretation  aufzwingt, sondern ihnen möglichst einfache Hilfestellungen gibt, um sie zu verstehen.

 

Sachsenhausen, das, wie Himmler es nannte, völlig neuzeitliche, moderne und jederzeit erweiterbare Konzentrationslager, wurde, wie wir heute wissen, als  Modellager und als erster KZ-Komplex gebaut. Mit der Begrifflichkeit von Max Weber gesprochen, stellte es für die Nationalsozialisten den Idealtypus eines für die politischen, sozialen, biologischen und rassischen Feinde bestimmten dauerhaften Internierungsortes dar.  In der spezifischen Architektur des KZ Sachsenhausen vergegenständlichte sich dieser Idealtypus totaler Herrschaft über die zu Untermenschen erklärten Feinde. Das von den architektonischen Vorbildern moderner Gefängnisbauten erstmals in eine riesige dreieckige Fläche übertragene Prinzip des Panoptikums machte den Wachturm A zum Zentrum einer Geometrie des totalen Terrors. Das ganze Häftlingslager mit seinen 68 Baracken, die in vier konzentrischen Ringen um den halbkreisförmigen Appellplatz herum angeordnet waren, sollte von einem einzigen auf dem Turm  A angebrachten großen Maschinengewehr mit Hilfe der sternförmig von dort ausgehenden Sichtachsen beherrscht werden können. Das nationalsozialistische System der absoluten Macht fand so in der Geometrie des totalen Terrors in Sachsenhausen seine idealtypische architektonische Form.

 

Stolz zeigte die SS prominenten und weniger prominenten KZ-Besuchern aus dem In- und Ausland ihr architektonisches Modelllager und erwähnte natürlich dabei nicht, dass es sich im KZ-Alltag nicht bewährt hatte. Auch diejenigen, für die die Geometrie des totalen Terrors erfunden worden war, die KZ-Häftlinge, fühlten sich dem  vom Turm A ausgehenden Überwachungssystem ihrer Wächter völlig ausgeliefert. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Planer der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte, die mit ihren Überlegungen 1956 begannen,  von Anfang an nach Möglichkeiten suchten, diese Geometrie des totalen Terrors zu brechen. Ihnen ging es nämlich, wie sie mehrfach bekundeten, nicht um eine Erhaltung des historischen Ortes, sie legten auch keinen Wert auf die Erklärung der wenigen übrig gebliebenen Baurelikte, sondern es war ihr Hauptziel, die, wie sie formulierten, Überwindung der SS-Herrschaft durch planmäßiges Beräumen und Gestalten des authentischen Ortes zu dokumentieren. Ganz ähnlich gingen die jeweiligen Künstler und Architekten in den in der Bundesrepublik liegenden KZ-Gedenkstätten vor, allerdings erst viele Jahre später.  In beiden deutschen Staaten wollte man die Deutung des KZ-Terrors nicht den Besucherinnen und Besuchern überlassen, sondern schrieb ihnen eine Interpretation der Geschichte durch gestalterische Überformung des historischen Ortes vor, und das geschah in der DDR im Sinne des staatsoffiziellen Antifaschismus, wohingegen in der alten Bundesrepublik die Deutung im Sinne der christlichen Religion vorgenommen wurde. Im Entwurf des Buchenwald-Kollektivs für Sachsenhausen kam diese die historische Quelle negierende und überformende Haltung am deutlichsten in der Ringmauer zum Ausdruck, die die Geometrie des Terrors absichtlich unterbricht und den Appellplatz umschließt.

 

Spätestens seit den neunziger Jahren hat sich unsere Einstellung zu den authentischen Orten der Konzentrationslager gewandelt. Ihre Baurelikte werden als unverzichtbare, wortvolle historische Zeugnisse betrachtet und sorgsam restauriert. Natürlich gilt diese grundsätzlich bewahrende Attitüde dem Ort gegenüber auch für die in der DDR errichteten Mahnmalsanlagen. Doch es kann auch kein Zweifel daran bestehen, dass dort und nur dort, wo sie zu den historisch sehr viel bedeutsameren Zeugnissen der Lager in einen unaufhebbaren Widerspruch treten, die Priorität auf dem ursprünglichen Ort liegen muss. Die Interpretation kann im Konfliktfall nicht wichtiger sein als die ihr zugrunde liegende Quelle. Das 1998 von Prof. HG Merz vorgelegte in einem internationalen Wettbewerb prämierte Konzept trägt diesen Überlegungen in ganz hervorragender Weise Rechnung, indem es die Geometrie des totalen Terrors durch Kennzeichnung der Barackenfelder mittels Schotterflächen wieder sichtbar werden lässt und zugleich soweit wie möglich auch die Mahnmalsanlage der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte erhält. Aus dem so entstehenden Bodenrelief der Barackenfelder werden sich die erhaltenen Bauzeugnisse des Lagers, die 1936 erbauten Revierbaracken, die Häftlingswäscherei und die Häftlingsküche, umso deutlicher herausheben und so die Geometrie des totalen Terrors erstmals wieder nach dem Durchschreiten des Turms A nachvollziehbar erscheinen lassen.

 

Wir haben es uns, meine sehr geehrten Damen und Herren, mit der Entscheidung über die Umgestaltung der Gedenkstätte nicht leicht gemacht. Die ersten Überlegungen zur Neugestaltung wurden schon bald nach der Stiftungsgründung im Februar 1993 von der Gedenkstättenleitung vorgelegt. Sie sind immer wieder diskutiert worden: in den Beratungs- und Beschlussgremien der Stiftung, in workshops und öffentlichen Anhörungen, in großen Diskussionsveranstaltungen genauso wie in zahlreichen Einzelgesprächen. Alle diese angesichts der Bedeutung von Sachsenhausen notwendigen und intensiven Debatten endeten jedoch immer mit einer weitgehend einhelligen Bestätigung unserer Überlegungen und Konzepte sowie seit 1998, nach der Auszeichnung des von Prof. HG Merz vorgelegten Entwurfs, mit der Forderung nach baldiger Realisierung seiner Planungen. Ich danke allen, die mit großer Beharrlichkeit und Geduld an dem gemeinsam gefundenen und eingeschlagenen Weg fest gehalten haben. In erster Linie danke ich den Überlebenden, die sich sowohl im Internationalen als auch deutschen Sachsenhausen Komitee sowie im internationalen Häftlingsbeirat immer wieder für die Umsetzung der Planungen engagiert haben. Es ist für uns ein großes Glück, lieber Monsieur Bordage, dass wir alle Entscheidungen über die Zukunft der Gedenkstätte in großem Vertrauen und in bestem Einvernehmen mit den Überlebenden des KZ-Terrors beraten und treffen konnten. Einen ganz besonderen Dank aber möchte ich auch den für Kultur zuständigen Vertretern und Mitarbeitern des Bundes aussprechen. Auch sie hielten trotz wechselnder politischer Zusammensetzung der verschiedenen Bundesregierungen beharrlich an den Zielen des Sonderinvestitionsprogramms fest und schafften es, über mehrere Haushaltsjahre hinweg die finanziellen Mittel für die Realisierung der Freiflächenplanungen zur Verfügung zu stellen. Ich bedauere es sehr, dass  heute Frau Dr. Münch, die neue Kulturministerin des Landes Brandenburg, leider nicht anwesend sein kann. Denn es ist ihr ganz persönlich zu verdanken, dass die letzten Hürden übersprungen werden konnten. Schließlich danke ich auch unserer Bauverwaltung, dem Brandenburgischen Landesbetrieb, sowie natürlich dem Architektenbüro von Prof. HG Merz. Selbst für erfahrene Bauleute ist die lange Dauer eines solchen bereits beschlossenen und prämierten Projekts ungewöhnlich. Auf ihr Verständnis, ihre Geduld und ihr Engagement konnte sich die Stiftung  stets stützen, dafür noch einmal ganz herzlichen Dank ihnen allen.