Gedenkstätte für die Opfer der Euthanasie-Morde in Brandenburg. Eröffnung im August 2012

ERÖFFNUNG DER GEDENKSTÄTTE FÜR DIE OPFER DER EUTHANASIE-MORDE IN BRADENBURG/HAVEL

 

BEGRÜSSUNG

 

GÜNTER MORSCH

 

Sehr geehrter Herr Stellvertretender Ministerpräsident Markov,

Sehr geehrte Frau Berggreen-Merkel,

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Tiemann,

Liebe Frau Hamm,

Lieber Peter Fischer,

liebe Frau Ley,

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

Im Namen der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten begrüße ich Sie alle ganz herzlich zur Eröffnung unserer neuen Gedenkstätte für die Opfer der NS-Euthanasie-Morde in der Stadt Brandenburg. Wir freuen uns vor allem, daß auch Angehörige der Opfer der Krankenmorde, die uns bei der Erarbeitung der Ausstellung durch Leihgaben und Informationen geholfen haben, unter uns sind. Ganz herzlich  begrüße ich auch die Abgeordneten des Brandenburgischen Landtages sowie der Stadtverordnetenversammlung.

Nach Hartheim 1969, Bernburg 1982, Hadamar 1983, Grafeneck 1990 und Pirna Sonnenstein 2000 können wir heute endlich auch in der Stadt Brandenburg an der Havel, am authentischen Ort der historischen Mordstätte,  eine Gedenkstätte als zeithistorisches Museum und aktiven Lernort  eröffnen. Ich will nicht verhehlen, daß uns dieser, von vielerlei Problemen und mancherlei Schwierigkeiten belastete lange, viel zu lange Zeitraum bedrücken und beschämen muß. Insbesondere wenn wir den Angehörigen der Neuntausend Ermordeten gegenübertreten, die uns mit Fragen um das Schicksal der Opfer noch siebzig Jahre nach der Mordaktion begegnen, spüren wir diesen nur selten ausgesprochenen Vorwurf und identifizieren uns mit der dahinter stehenden moralischen Anklage. Man mache sich klar, daß an diesem Ort, mitten in der Großstadt, und mit der Zustimmung des damaligen Oberbürgermeisters und eines nicht geringen Teils der deutschen Psychiater und Neurologen in weniger als 9 Monaten quasi die gesamte Bevölkerung einer Kleinstadt aus Berliner und brandenburgischen, aus sächsischen, rheinischen, saarländischen und anderen Heilanstalten hierher verschleppt, getötet und verbrannt wurde.

Ausgerechnet auf dieser historischen Mordstätte, wo die erste Probevergasung im Rahmen der Euthanasie-Morde stattfand, auf diesem authentischen historischen Ort, wo das Instrument der Gaskammer als Mittel zur Lebensvernichtung zunächst von Zehntausenden Kranken und schließlich von Millionen Menschen, in erster Linie Juden, erfunden wurde, hier, wo der erste Massenmord durch Giftgas an Juden stattfand, ausgerechnet hier haben wir uns offenbar am schwersten damit getan, nach der Anbringung einer Gedenkstafel 1962 und der Präsentation einer open-Air-Ausstellung 1997 durch die Stadt Brandenburg jetzt auch eine Gedenkstätte als zeithistorisches Museum und aktiven Lernort einzurichten.

Es ist heute nicht der Ort und nicht die Zeit über die Gründe für diese peinliche Verspätung zu sprechen. Eines aber ist sicher: Dort wo die Stimmen von Überlebenden fehlen, die für ihre ermordeten Kameradinnen und Kameraden eintreten können, weil alle Opfer von den Nazi-Tätern fast ausnahmslos getötet und damit zum Schweigen gebracht wurden, vor allem dort müssen wir, die Nachgeborenen, umso stärker und engagierter  die Verantwortung für eine dauerhafte Erinnerung übernehmen.  Sind wir nicht gerade denjenigen besonders verpflichtet, die selbst keine Stimme mehr haben, um für sich zu sprechen?

Mit der Eröffnung der Dauerausstellung im historischen Wirtschaftsgebäude und der pädagogischen Projektwerkstatt in ehemaligen Hauptgebäude des alten Zuchthauses tun wir einen großen Schritt voran, um gegenwärtigen und zukünftigen Generationen deutlich zu machen, wohin es führt, wenn Menschen andere Menschen als sogenannte unnütze Esser betrachten und so das Lebensrecht von Kranken und Schwachen grundsätzlich in Frage stellen.

 

Es ist mir ein großes Bedürfnis denjenigen zu danken, ohne deren Unterstützung und Hilfe unsere Stiftung diese neue Gedenkstätte nicht einrichten konnte. Ich danke vor allem der Landes- und der Bundesregierung für die Bereitstellung von erheblichen finanziellen Mitteln, die zusätzlich zur jährlichen Förderung der Stiftung ausgereicht wurden. Mein Dank gilt auch der Stiftung Klassenlotterie Berlin, mit deren finanzieller Unterstützung ein erstes Gedenkbuch für die ermordeten Berlinerinnen und Berliner erarbeitet werden konnte. Die Stadt Brandenburg hat sowohl das Ausstellungsgebäude als auch die Räume der pädagogischen Projektwerkstatt der Gedenkstättenstiftung kostenlos überlassen. Zusammen mit dem Gebäude- und Liegenschaftsmanagement der Stadt konnten zahlreiche logistische Probleme in guter Zusammenarbeit gelöst werden. Dafür möchte ich vor allem der Oberbürgermeisterin, Frau Tiemann, meinen ganz persönlichen Dank übermitteln. Zusammen mit dem Architekturbüro Ulli Krieg, dem Ausstellungsgestalter Hans Dieter Schaal und den Mitarbeitern des Brandenburgischen Landesbetriebes für Liegenschaften und Bauen (BLB) konnten wir unsere inhaltlichen Konzeptionen und Überlegungen in Stein, Holz und Glas umsetzen. Gerade auch beim nicht einfachen Umbau der aus dem achtzehnten Jahrhundert stammenden Räume des Hauptgebäudes zu einer modernen pädagogischen Projektwerkstatt hat sich die Zusammenarbeit mit den genannten Büros sowie der Denkmalpflege bewährt. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die Ausstellung realisierten, fanden wie immer bei den Mitgliedern des internationalen Beirates sowie der Fachkommission der Stiftung  verständnisvolle Hilfe und fachkundige Beratung.

Für die Erarbeitung der Ausstellunginhalte, der begleitenden Publikationen sowie eines Gedenkbuches für die Opfer des Krankenmordes mußte in vielerlei Hinsicht eine nicht einfache Grundlagenforschung betrieben werden. Ich bin sehr dankbar, daß wir dafür besonders qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen konnten, deren kleines Team von Astrid Ley, einer ausgebildeten Medizinhistorikerin, geleitet wurde. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gedenkstätte Sachsenhausen hat sie sich sofort dazu bereit erklärt, die nicht einfache Pionierarbeit zu übernehmen und sie mit großer Leidenschaft und enormen wissenschaftlichem Ehrgeiz ausgefüllt. Ihr und allen anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Projektteams danke ich gleichfalls von ganzem Herzen.

Nach dem Dank, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Gäste, ist eine Begrüßungsrede, die, wie es heißt, in erster Linie kurz sein soll, in der Regel beendet. Gestatten Sie mir trotzdem zum Schluß noch einen Appell an die Bundes- und an die Landesregierung heranzutragen. Die Dokumentationsstätte Brandenburg, die sich in der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten nicht nur mit der Vermittlung der Geschichte der Euthanasiemorde, sondern auch mit der zweifachen Geschichte des Zuchthauses Brandenburg-Görden beschäftigen soll, ist vor etwa zwanzig Jahren als eine sehr sehr kleine Gedenkstätte in die Stiftung eingegliedert worden. Schon eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages hatte deshalb  Ende der neunziger Jahre  vorgeschlagen, sie aufgrund ihrer besonderen überregionalen historischen Bedeutung in die institutionelle Förderung der Bundesregierung mitaufzunehmen. Ein solcher Schritt ist angesichts vieler anderer Bewerber weder einfach für den Bund noch für das arme Land Brandenburg. Zuletzt wurde dieses Privileg der von uns verwalteten Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße in Potsdam gewährt, wofür wir sehr dankbar sind. Lassen Sie mich heute den Wunsch und die Bitte öffentlich formulieren, dass ähnlich wie die Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße auch unsere Dokumentationsstätte in der Stadt Brandenburg/Havel hoffentlich bald die gleiche institutionelle Förderung durch Bund und Land erhält; nur so kann sie ihren pädagogischen und inhaltlichen Aufgaben als vollwertige Gedenkstätte gerecht werden.